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Aufarbeitung der Missstände im Turnsport

Sascha Binder: Aufarbeitung wird betroffenen Turnerinnen nicht gerecht

Auf Antrag der SPD hat sich der Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport an diesem Donnerstag öffentlich mit dem Stand der Aufarbeitung der Vorkommnisse im Turnsport befasst. Ende des vergangenen Jahres waren Missbrauchsvorwürfe und Missstände am Bundesstützpunkt des deutschen Turnerbunds in Stuttgart, und später auch in Mannheim, bekannt geworden. Der Landessportverband hat inzwischen eine Kommission eingesetzt, die die Vorfälle aufarbeiten soll. 
Mann in Anzug geht Treppe hinauf, hält rote Mappe in der Hand.

Der SPD-Abgeordnete Sascha Binder ist mit dem Stand der Aufarbeitung der Missstände und Missbrauchsvorwürfe im Turnsport nicht zufrieden.

dpa/Bernd Weißbrod)

Stuttgart. Der Abgeordnete und Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Landtag, Sascha Binder, findet deutliche Worte: „Wie die Organisationen nach Kenntnis der Missstände ihre Turnerinnen unterstützt haben, bleibt weiterhin gänzlich unklar.“ Er sieht die Arbeit der Arbeitsgruppe „Aufarbeitung und Organisationsentwicklung im Turnsport“ als gescheitert an. Den Turnerinnen sei eine vollständige Aufklärung der Vorkommnisse versprochen worden. Was die Wissenschaftlerin Carmen Borggrefe – ein Mitglied der vom Landessportverband eingesetzten Arbeitsgemeinschaft – im Bildungsausschuss vorgestellt hat, klang für Binder aber nach einem „wissenschaftlichen, langwierig angelegten Forschungsprojekt“. „Das wird den Turnerinnen, die von den Missständen in den Organisationen betroffen sind, nicht gerecht“, so Binder. Borggrefe konnte ihn nicht überzeugen, dass seine Vorstellungen und die Arbeit der AG nicht weit auseinanderliegen.

Spitzensportlerinnen hatten Ende vergangenen Jahres die Vorfälle am Bundesstützpunkt der deutschen Turnerinnen und Turner in Stuttgart öffentlich gemacht. Die Rede war von psychischem Druck, Demütigungen, Drohungen, Erniedrigungen, Training mit Schmerzen und der Missachtung von ärztlichen Anweisungen. Die Vorwürfe sind umso schlimmer, weil gerade die Turnerinnen bereits in sehr jungen Jahren Spitzenleistungen erbringen müssen und ihre Trainer für sie in der Regel die wichtigsten Bezugspersonen sind. Bei einer Anhörung im zuständigen Landtagsausschuss im März hatten Wissenschaftler von strukturellen Problemen gesprochen. Die Landtagsabgeordneten hatten eine vollständige und unabhängige Aufklärung gefordert.

Arbeitsgruppe hat erste Interviews mit Betroffenen geführt

Die vom Landessportverband eingesetzte Arbeitsgruppe hat nun nach theoretischen Überlegungen und dem Aufstellen eines Leitfadens für die Interviews die ersten Gespräche mit Betroffenen geführt. 31 Personen wurden dafür gezielt angesprochen, sowohl Athletinnen, die an den Stützpunkten in den vergangenen zehn Jahren aktiv waren oder es noch sind, Trainer aus der Zeit und auch Personen aus den Turnsportverbänden, die die Verteilung der Mittel verantworten. Nicht alle sind bereit, sich zu äußern, macht Borggrefe deutlich. Zugleich wurde ein Aufruf gestartet, um weitere Betroffene einzubeziehen. Die Auswertung der Interviews erfolge anonym, verspricht sie. Die Ergebnisse sollen dann mit dem Schwäbischen und dem Badischen Turnerbund besprochen werden. „Es geht darum, in Kernstrukturen der Spitzensportförderung vorzudringen“, so Borggrefe. Bis wann der Abschlussbericht der Arbeitsgemeinschaft vorliegen wird, konnte sie im Ausschuss nicht sagen – aber wohl sicher nicht bis Jahresende, wovon in der Vergangenheit die Rede war. Für Binder „keine zufriedenstellende Antwort“.

Er will wissen: Wer hatte die Verantwortung und hat nicht gehandelt? Denn das sei auch für die Vergabe von Fördermitteln wichtig. Eine Antwort, die er allerdings so von der Arbeitsgruppe wohl nicht bekommen wird. Borggrefe macht deutlich, dass ihr Auftrag, den die Arbeitsgruppe vom Landessportverband bekommen hat, beinhaltet, die Strukturen zu analysieren und daraus Rückschlüsse für eine Anpassung und Änderung von Strukturen für die Zukunft abzuleiten.

Auch Kultusstaatssekretär Volker Schebesta (CDU) mache deutlich, dass es um Konsequenzen gehe, dass solche Vorkommnisse wie in der Vergangenheit in Zukunft im Turnsport nicht mehr vorkommen. Zugleich wies er auch auf Ermittlungen der Staatsanwaltschaft hin. Auch Dennis Birnstock von der FDP-Fraktion fragt nach, wie das Kultusministerium denn eine lückenlose Aufklärung der Vorkommnisse erreichen wolle und ob das Ministerium allein auf die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft setze.

Landessportverband erhält Mittel vom Land für Trainer

Nach Angaben des Kultusministeriums erhält der Landessportverband derzeit rund acht Millionen Euro im Jahr für die Bezuschussung der Vergütung der angestellten Landestrainer. „Die Mittel für das Leistungssportpersonal wurden lediglich unter dem Vorbehalt bewilligt und ausgezahlt, dass keine Landesmittel an die im Rahmen der aktuellen Vorkommnisse an den Bundesstützpunkten und Landesleistungszentren für Gerätturnen in Stuttgart und Mannheim freigestellten Trainerinnen und Trainer sowie für das für die Aufsicht verantwortliche Leistungssportpersonal (u.a. Bundesstützpunktleiter) an den Schwäbischen Turnerbund sowie an den Badischen Turner-Bund weitergeleitet werden dürfen“, heißt es in der Antwort des Kultusministeriums auf einen Landtagsantrag der SPD. Der Landessportverband habe schriftlich bestätigt, dies entsprechend umzusetzen.

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