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Verhalten im Notfall

Aktionstag Katastrophenschutz: Schüler proben spielerisch den Ausnahmezustand

Schon Sechstklässler sollen praxisnah lernen, wie sie sich im Notfall richtig verhalten: So beim Aktionstag Katastrophenschutz in Tübingen, wo die gesamte Blaulichtfamilie im Einsatz war.

Schüler erproben mit einem Modell, wo Sandsäcke zu platzieren sind, damit sie Häuser bei einer Überflutung schützen.

Steffen Schanz)

Tübingen. „Im Rhein schwimmen, das ist genauso, wie auf der Autobahn Fahrrad fahren“. Der junge Mann im dunkelblauen T-Shirt mit gelbem Aufdruck DLRG (Deutsche Lebens-Rettungs-Gesellschaft) steht vor dem Kepler-Gymnasium in Tübingen, nahe dem Neckar, bei einem hochkant aufgestellten Schlauchboot zur Rettung Ertrinkender. Es tröpfelt leicht an diesem wolkenverhangenen Dienstagvormittag, kurz vor den Sommerferien. Aktionstag Katastrophenschutz. Gebannt und aufmerksam verfolgt ein Dutzend Sechstklässler die Schilderung der Gefahren, die auch in Flüssen lauern.

Gegenüber, ein Blickfang vor dem Schuleingang, steht ein Feuerwehrauto. Rechts daneben zum Schulhof hin füllen Jungen und Mädchen Säcke mit Sand und bilden anschließend eine Kette zu deren Transport. Welcher Abstand ist sinnvoll, damit die Säcke schnell und reibungslos weitergereicht werden können? Spielerisch lernen sie, was im Notfall funktioniert. Wenige Meter daneben simuliert ein Modell die Überschwemmung einer Ortschaft. Wo müssen die Säcke platziert werden, damit sie Häuser wirklich schützen?

Schüler diskutieren, ob eine Zahnbürste ins Notgepäck gehört

Das ist eine von acht Stationen, die an diesem Aktionstag erlebbar machen, was Katastrophenschutz bedeutet und wie er aussieht. In einem Schulraum bekommen Mädchen und Jungen zehn Minuten Zeit, um für 72 Stunden, also drei Tage, ein Notgepäck vorzubereiten. „Brauchen wir das oder nicht?“ lautet bei allem, was auf dem Tisch liegt, die Frage. Schicke Flip-Flops sind schon aussortiert. Ebenso eine Tiertraining-DVD: „Wir haben keinen Hund“, argumentiert ein Mädchen.

Dann entbrennt eine heftige Diskussion darüber, wie wichtig Körperpflege unter diesen Umständen ist: „Ich brauche keine Zahnbürste!“, meint ein Junge und legt sie zur Seite. Ob die Entscheidung richtig war? Denn nach der Übung ist Manöverkritik, erläutert der Betreuer der Station: „Das Notgepäck jeder Gruppe wird ausgeleert und der Inhalt besprochen“. Szenenwechsel, der Erste-Hilfe-Raum. Ein „Bewusstloser“ liegt unter einem Tisch. Was tun? Fast alle Schüler wollen zeigen, wie es richtig geht. Ein Junge beugt sich über den „Bewusstlosen“, überstreckt ihn, bringt ihn in die stabile Seitenlage, beatmet ihn. Applaus.

Besonders dramatisch geht es in dem Raum zu, der evakuiert werden soll. Die Schüler haben dabei auch Rollen zu spielen, die eine Rettung erschweren: Einige sind dementsprechend gehandicapt, einer sogar gelähmt. „Alarm!“, ruft eine Schülerin. Alle, die es können verlassen zunächst einfach den Raum.

Kurz darauf kommen zwei, drei zurück. Reden auf einen ein, der apathisch ist. „Willst Du lieber sterben oder willst Du leben?“,wird er von seinem Klassenkameraden wiederholt gefragt.

„Feuerwehrmann Tom“, alias Thomas Mangold, Fachgebietsleiter für Brandschutzerziehung im Landkreis Tübingen, erläutert den Sinn dieser Übung: Es geht darum, über das Durchspielen von Notfall-Situationen auch das Gefühl anzusprechen. Die Kinder erleben dabei Emotionen, die vergessen sie nie wieder.“

Mangold steht in einer Pause im Kreis mit Vertretern von Rettungsorganisationen und Landratsamt zusammen. Beim Aktionstag am Kepler-Gymnasium sind viele Einrichtungen – Feuerwehr , DLRG, Technisches Hilfswerk und weitere Hilfsorganisationen – beteiligt. Unisono betonen sie die Einigkeit der Blaulichtfamilie.

Das Konzept für den Aktionstag hat eine hohe Auszeichnung erhalten

Beim Konzept, das im Landkreis Tübingen entwickelt wurde, ist es das Ziel, dass „alle alles können“, erläutert DLRG-Einsatzleiter Konrad Steibli. Monatelang wurden Ehrenamtliche für die Übungseinheiten am Aktionstag Katastrophenschutz geschult, unabhängig von ihrer Spezialisierung. „Wurscht, welche Farbe der Kittel hat“, sagt Mangold dazu. Und schiebt das Musketier-Motto nach, dass den Tag durchzieht und auch den Schülern für ihr Handeln vermittelt werden soll. „Einer für alle, alle für einen!“

Die Übungen sollen den Kindern Notfallkompetenz vermitteln und ihre Selbsthilfefähigkeit stärken, erklärt Mangold. Sie sollen lernen, die Situation einzuschätzen und dann mit Mut zu handeln. Zudem schildern sie das Erlebte und Gelernte daheim der Familie und werden so zu Multiplikatoren.

Bald, um 14 Uhr, werden noch Innenminister Thomas Strobl und Landrat Joachim Walter (beide CDU) erwartet. Denn das Projekt „Aktionstag Katastrophenschutz“, eine Idee des Innenministeriums und im Landkreis Tübingen vorbildlich umgesetzt, hat im Dezember 2024 Deutschlands höchste Auszeichnung für ehrenamtlichen Bevölkerungsschutz, die „Helfende Hand“, erhalten. Jetzt erfolgt die feierliche Preisübergabe.

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