Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Datenpanne

Schulen: Kritik wegen der „Geisterstellen“

Der Aufschrei ist groß: Im Land gibt es 1440 vorhandene, aber unbesetzte Lehrerstellen. Verbände und Politik fordern Aufklärung.

1440 Lehrerstellen sind zwar in der Datenbank vorhanden, aber nie 
besetzt worden. Verbände hatten 
im November ein Lehrerdefizit von 1500 Stellen festgestellt.

dpa/ZB/Thomas Eisenhuth, Montage: Herrgoss)

Stuttgart. Nach Bekanntwerden der Datenpanne, die an Baden-Württembergs Schulen zu 1440 vorhandenen, aber unbesetzten Lehrerstellen geführt hat , wird nicht nur nach den Ursachen geforscht. Im Raum steht der Vorwurf, das Kultusministerium habe deutlich länger von dem Fehler im Personal- und Stellenprogramm gewusst als bisher bekannt.

Sebastian Kölsch, Vorsitzender des Landeselternbeirats, umreißt die Dimension: „Mit drei Ministerpräsidenten, sechs Kultusministerinnen und Kultusministern, fünf Finanzministerinnen und Finanzministern und fünf im Landtag vertretenen Parteien im fraglichen Zeitraum der vergangenen 20 Jahre geht der Skandal quer durch alle politischen Lager.“ Und sie alle seien am „größten Bildungsskandal seit Jahrzehnten“ beteiligt.

Bereits im November auf Bedarf von 1500 Stellen hingewiesen

Der Landesschülerbeirat (LSBR) verweist darauf, im Kultusministerium zu Unstimmigkeiten bei nicht abgerufenen Haushaltsmitteln bereits im August 2024 nachgefragt zu haben. „Wir haben gemeinsam mit anderen Interessenvertretungen im November 2024 einen zusätzlichen Bedarf von 1500 Lehrkräftestellen festgestellt“, so der LSBR-Vorsitzende Joshua Meisel. „Diese Zahl liegt erschreckend nah an den nun aufgedeckten 1440 Geisterstellen.“ Die Anfrage sei „bis heute unbeantwortet.“

Klarheit herrscht nach Angaben des seit 2021 erstmals grüngeführten Hauses zumindest darüber, wie der Fehler entdeckt wurde. Das Landesamt für Besoldung nahm zusammen mit der Kultusverwaltung eine Neuberechnung der insgesamt rund 95.000 Stellen vor. Dabei seien die Abweichungen in der Ist-Besetzung festgestellt worden. Schon seit 2005 erfasst die eingesetzte Software den damals eingeführten Stellenpool und nicht die Stellen. Fest steht auch, dass die Zahl der nicht besetzten Stellen langsam Jahr für Jahr angestiegen ist.

Matthias Wagner-Uhl, Vorsitzender des Vereins für Gemeinschaftsschulen in Baden-Württemberg, rechnet vor: Rund 30.000 Unterrichtsstunden seien den Schülern Woche für Woche vorenthalten worden. „In einer einzigartigen Mischung aus Unvermögen, Achtlosigkeit und Desinteresse sabotiert die Kultusverwaltung seit rund zwei Dekaden die Bildung in Baden-Württemberg“, erklärt Wagner-Uhl. Die Folgen seien „schlechte Lernbedingungen, ständiger Unterrichtsausfall, überlastete Lehrkräfte, Schulleitungen und Schulverwaltungspersonal am Rande des Nervenzusammenbruchs“. Es sei „schon happig, was sich die so genannten Fachleute im Kultusministerium auf dem Rücken unserer Kinder und Jugendlichen leisten“.

Auch der Philologenverband sieht „erheblichen Aufklärungsbedarf“, die Landesvorsitzende Martina Scherer will wissen, ob es „ein Zufall ist, dass das Kultusministerium, das gerade wegen mangelnder Planung bei der Einstellungspolitik am allgemeinbildenden Gymnasium unter heftigem Beschuss steht, gerade jetzt etwa 1500 Stellen ‚findet‘, die seit Jahren nicht besetzt sind“. Im kommenden Schuljahr dürfe keine dieser Stellen weiterhin unbesetzt bleiben.

Solche und andere Fragen wollen SPD und FDP in einer Sondersitzung des Bildungsausschusses am kommenden Mittwoch, in der letzten Plenarwoche im Landtag vor den Sommerferien, geklärt wissen. Es müsse offengelegt werden, „wie es zu diesen Fehlentwicklungen kommen konnte und welche Konsequenzen daraus gezogen werden“, verlangt Timm Kern, der Bildungsexperte der Liberalen. Und Ex-Kultusminister Andreas Stoch (SPD), einer jener, in dessen Mitverantwortung der Erfassungsfehler fällt, verlangt nach einer umfassenden Fehleranalyse.

Die Grünen haben eine „Aktuelle Debatte“ beantragt

„Uns geht es nicht um Schuldzuweisungen“, sagt der bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Andreas Sturm, der ebenfalls „eine zeitnahe und umfassende Aufarbeitung “ fordert. Deutlich schärfer reagiert die Junge Union. Denn deren Landesvorsitzender Florian Hummel spricht von einem „letzten Weckruf“. Dieser Vorgang offenbare „die zunehmende Dysfunktionalität im Kernbereich staatlichen Handelns und ist zutiefst besorgniserregend“. Deshalb müssten alle politischen Akteure, „strukturell alle staatlichen Aufgaben, Prozesse und Organisationen kritisch hinterfragen und durchleuchten“. Eine Gelegenheit bietet sich ebenfalls am kommenden Mittwoch: Die Grünen haben eine „Aktuelle Debatte“ beantragt zum vielsagenden Thema „verbesserte Unterrichtsversorgung“.

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 199 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch