Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Schutz muss früh beginnen, um Opfer zu verhindern

2024 wurden bundesweit 171 000 Fälle von Partnerschaftsgewalt gemeldet. Häusliche Gewalt und Femizide sind jetzt Thema im Landtag.
imago images/Pixsell)Liebe Landespolitiker, Sie können es sich nicht so einfach machen.
Ein neuer Gesetzesentwurf, der Opfer häuslicher Gewalt besser schützen soll: Klingt gut. Ein erfolgreiches System aus Spanien als Vorbild: Noch besser. Es ist durchaus ein löblicher Vorstoß, den Grüne, CDU, SPD und FDP in den Landtag eingebracht haben.
Doch beim genaueren Hinsehen zeigt sich, wie lückenhaft der Plan ist: Das Polizeigesetz soll geändert werden, damit künftig das Tragen einer Fußfessel, Kontaktverbote – im Jahr 2025 auch endlich digital – oder Betretungsverbote angeordnet werden können. Sogar verpflichtende Beratungen für gewalttätige Personen stehen im Raum. Was könnten sich Betroffene mehr wünschen?
Ich will es Ihnen verraten: Es wäre schön, wenn wir uns nicht nur auf den Opferschutz konzentrieren würden, sondern ebenso auf Prävention. Denn sie ist mindestens genauso wichtig. In dem Moment, in dem wir fragen, was wir gegen einen Täter tun können, hat dieser bereits ein Opfer geschaffen. Oder anders gesagt: Er hat bereits erhebliche Gewalt ausgeübt. Und ich persönlich möchte lieber gar nicht erst zum Opfer werden. Ein wirklich erfolgreiches System muss also eingreifen, bevor Gewalt eskaliert.
Hier könnte man sich tatsächlich Spanien als Vorbild nehmen – allerdings nicht so, wie Sie es sich im Landtag vorstellen. Eine Fußfessel klingt nach einer schnellen, drastischen und unkomplizierten Lösung, die ein Familiengericht anordnen kann. Doch man vergisst dabei: In Spanien ist nicht die Fußfessel allein der Grund für den Erfolg im Kampf gegen häusliche Gewalt. Entscheidend ist ein umfassendes Gewaltschutzsystem – von Präventionsprogrammen in Schulen über spezialisierte Polizeieinheiten bis hin zu Gerichten, die ausschließlich geschlechtsspezifische Gewalt bearbeiten. Und das ist nur ein Ausschnitt.
Wenn wir also ähnliche Erfolge erzielen wollen, reicht es nicht, den ohnehin überlasteten Familiengerichten noch mehr Arbeit zuzuschieben. Dann müssen wir auch in vergleichbare Strukturen, Ressourcen und Fachkräfte investieren wie Spanien.
Dabei dürfen wir eines nicht aus dem Blick verlieren: die Betroffenen, die dazu veranlasst werden, Verantwortung zu übernehmen. Denn bei einer Fußfessel tragen nicht nur die Täter eine permanente Erinnerung an die Tat, sondern auch die Unschuldigen. Sie müssen ein Ortungsgerät bei sich tragen, das registriert, wo sie sich aufhalten – einzig, um sicherzustellen, dass der Täter ihnen nicht zu nahe kommt. Und falls es doch passiert, schlägt das Gerät Alarm. Dann klingelt auch das Telefon: Die zuständige Stelle ruft an, um zu überprüfen, ob sie in Sicherheit sind. Können Sie sich den konstanten Stress vorstellen, den dieses Gerät bedeutet? Die Anspannung, die Angst, wenn plötzlich der Alarm ertönt?
Und was glauben Sie, passiert, wenn die angeordnete Zeit für die Fußfessel endet? Sie erkennen selbst: Diese Maßnahme ist nicht nachhaltig, sondern nur eine temporäre Krücke. Danach steht nichts mehr zwischen dem Täter und einem möglichen Rückfall.
Nun wurde in Ihrem Landtag darüber diskutiert, ein Bewegungsprofil von Hochrisikotätern zu erstellen – alternativ oder additiv zur Fußfessel. Aus Sicht des Opferschutzes wäre das ohne Zweifel wünschenswert. Es würde die Bürde von den Schultern der Opfer nehmen. Die eigentliche Frage stellt sich erst bei der staatsrechtlichen Abwägung: Was sagt unser Grundgesetz zu einer solch weitreichenden Form der Überwachung?
Um die 171 000 im Jahr 2024 bundesweit gemeldeten Fälle von Partnerschaftsgewalt und die beinahe alle drei Tage verübten Femizide zu verhindern, kann die Fußfessel ein Anfang sein – ja. Aber sie darf nicht der Endpunkt sein. Sonst wird die Politik irgendwann feststellen, dass die erhofften Erfolge ausbleiben. Vielleicht sollten wir uns also endlich fragen, wie Täter entstehen – und wie wir das verhindern können. Denn Veränderung beginnt dort, wo wir die Ursachen ernst nehmen, nicht erst die Symptome.
Denn, nennen Sie es beim Namen, liebe Landespolitiker: Wenn Sie von „Schutz vor Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ oder von „Gefahren häuslicher Gewalt“ sprechen, dann meinen Sie Vergewaltigungen, schwere Körperverletzungen und Morde. Und genau diese schrecklichen Taten müssen am besten schon seit gestern verhindert werden – und nicht im Nachhinein von Ihnen beklagt.