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Sind extreme Haltungen bald salonfähig?

Der Verfassungsschutz wertet Aussagen von Thüringer AfD-Politikern wie Björn Höcke als Verstoß gegen die Menschenwürde.
IMAGO/Karina Hessland-Wissel)Was heißt Unterwanderung?
Extremisten aller Couleur arbeiten daran, die Brandmauer zur Mitte der Gesellschaft zu überwinden. Dafür nutzen sie Institutionen wie Protestbewegungen, Behörden und auch Parteien, um die eigene Stigmatisierung und Ausgrenzung abzustreifen. So soll die Anschlussfähigkeit an demokratische Bereiche der Gesellschaft erreicht und die eigenen politischen, aber auch gesellschaftlichen Einfluss- und Handlungsmöglichkeiten erweitert werden. Durch die Beeinflussung, Instrumentalisierung und Radikalisierung des demokratischen Spektrums einer Partei versuchen Extremisten, die Trennlinie zum nicht-extremistischen Lager aufzuweichen. So wollen sie ihre politischen Vorstellungen verbreiten.
Gibt es dafür Beispiele?
Wie eine „feindliche Übernahme“ funktioniert, zeigt die AfD, die in ihrer Gründungs- und Aufbauphase eine dezidiert eurokritische Partei war, die verschiedene Spektren vertrat. Erst ab 2014 begann sie, angetrieben durch ostdeutsche Wahlerfolge und die wachsende Zuwanderungsfrage, ein rechtspopulistisches und rechtsextremes Profil zu entwickeln, heißt es auf der Website der Bundeszentrale für politische Bildung. Gleichzeitig seien ehemalige Mitglieder der Republikaner, der Schill-Partei und der Partei „Die Freiheit“ reihenweise der AfD beigetreten und hätten in die Vorstände gedrängt.
Laut Tom Mannewitz, Politikwissenschaftler an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung, nutzte dieser radikale Flügel parteiinterne Konflikte wie Personal- und Richtungsstreitigkeiten, um gemäßigtere Kräfte, von denen viele die Partei verließen, zu marginalisieren. So etwa Jörg Meuthen, Ex-AfD-Chef aus Baden-Württemberg. So gewann der Flügel dem Forscher zufolge innerparteilich die Oberhand und konnte mehrere Parteiausschlussverfahren abwehren. Heute wird die AfD vom Verfassungsschutz beobachtet.
Ist die Infiltration von Parteien ein neues Phänomen?
Entsprechende Prozesse haben Wissenschaftler im Bereich Linksextremismus schon vor gut 40 Jahren beschrieben. So etwa den Marsch der West-68er durch die Institutionen, bei dem Linksradikale in staatlichen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen wie zum Beispiel Parteien, Behörden, Schulen, Universitäten oder Verbänden Anschluss fanden.
Neu ist laut Mannewitz, dass neue rechte Akteure wie die AfD und ihr Umfeld eine richtige Strategie entwickeln, um den demokratischen Verfassungsstaat von innen heraus „auf Linie“ zu bringen, etwa das Bildungssystem, die Justiz und die Verwaltung. Die 68er-Bewegung und Viktor Orbans Ungarn gelte ihnen dabei als nachahmenswerter Weg.
Die Gesamtpartei „Die Linke“ wird zwar nicht vom Verfassungsschutz beobachtet, dafür linksextreme Strömungen innerhalb der Partei. Darunter Trotzkisten, die versuchen die „taktische, meist verdeckte Unterwanderung einer demokratischen Organisation oder Partei“ voranzutreiben, wie der Verfassungsschutz in Bayern auf seiner Homepage schreibt. „Ziel der Trotzkisten ist es, ihre Positionen innerhalb der ‚Wirtsorganisation‘ durchzusetzen und die Organisation so für ihre Zwecke zu instrumentalisieren“, heißt es dort weiter.
In Baden-Württemberg gilt dem Landesamt für Verfassungsschutz innerhalb der Partei „Die Linke“ die Jugendorganisation Linksjugend Solid als linksextremistische Bestrebung.
Welche Faktoren begünstigen solche Strategien?
Extremisten besetzen gezielt gesellschaftlich relevante Themen. Gerade Probleme, die nach Angaben von Mannewitz weite Teile der Bevölkerung tangieren, wie Migration und Klimawandel, bieten Einstiegspunkte ins demokratische Spektrum – vor allem, wenn etablierte Parteien sie vernachlässigen. Hier gelinge es Extremisten etwa durch Wahlerfolge, auch innerparteilich für politische Themen und Sachfragen zu mobilisieren, was ihre Stellung und Einflussfähigkeit stärke. Relevant sei zudem, wie stark sich das demokratische Spektrum von Extremisten und ihren Lösungsansätzen abgrenze oder sie toleriere. Kaschieren sie ihre Ziele durch strategische Mäßigung, sind Aktivitäten kaum als Unterwanderung erkennbar.
Können sich Parteien von extremistischen Einflüssen befreien?
Unterwanderungen sind kaum rückgängig zu machen, nur präventiv abzuwehren, sagt Mannewitz. Parteiinterne Konflikte müssten differenziert und lösungsorientiert bearbeitet werden, um eine polarisierungsbedingte Verschiebung gemäßigter Positionen hin zum Extremen zu verhindern und so die heterogene politische Mitte zu stabilisieren. So würde das demokratische Spektrum als Ausdruck von Meinungsfreiheit und Pluralismus gestärkt. Dagegen würden extremistische Einstellungen, Ideologien und Bestrebungen, die freiheitlich demokratische Verfassungsordnung abzuschaffen, klar ausgegrenzt.