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Politische Debatte

Sind Populisten Fluch und Segen für die Demokratie?

Der Begriff Populismus ist zu einer politischen Kampfvokabel mutiert. Meist geht es darum, andere Politiker und Parteien zu diffamieren. Dabei lässt sich schwer bestreiten, dass Populisten berechtigte Fragen stellen und legitime Ziele verfolgen. Experten sehen sie deshalb auch als Chance für die Demokratie.

US-Präsident Donald Trump greift nicht selten zur Vereinfachung komplexer Sachverhalte.

IMAGO/Tom Williams)

Stuttgart. Der Populismus, urs prünglich ein Phänomen Lateinamerikas, scheint in Deutschland und Europa zunehmend im Kommen zu sein. Lange wähnte man sich immun gegen populistische Strömungen. Doch wirtschaftliche Strukturkrisen, soziale und kulturelle Umwälzungen können sich auch hierzulande im politischen System widerspiegeln, sagt Werner Patzelt von der Technischen Universität Dresden. Laut dem Politikwissenschaftler gestalten sie die Lebens- und Arbeitssituation weiter Teile der Bevölkerung erheblich um.

Geht der Wandel zu schnell, kann dies entfremden und verunsichern

Verläuft der gesellschaftliche Wandel zu schnell oder führt er zu starken Verwerfungen, erleiden manche Bevölkerungsgruppen Orientierungsverluste, die Statusängste, Zukunftsunsicherheit und politische Entfremdungsgefühle hervorrufen. Die daraus entstehenden Verunsicherungen können in Unzufriedenheit und Protest umschlagen, der Populisten gute Voraussetzungen bietet, Menschen für politische Themen und Sachfragen zu mobilisieren, die von etablierten Parteien vernachlässigt werden, so der Forscher. Populismus gelte daher auch als Ausdruck von Modernisierungs- oder Legitimationskrisen, die Konflikte mit sich bringen.

Man denke nur an die im späten 19. Jahrhundert in den USA aus einer Bauernrevolte entstandene „Populist Party“, der das Phänomen seinen Namen verdankt. Sie verstand sich laut Patzelt als Sprachrohr der Farmer im Süden und Westen des Landes, deren ökonomische Position und kulturelle Lebensweise durch die industrielle Entwicklung bedroht wurde. Schon der griechische Historiker Polybios (200 – 120 v. Chr.) schrieb, dass die Demokratie eine Neigung habe, zur Ochlokratie zu verkommen, zur Herrschaft des Pöbels, in der hinter den Kulissen immer ein Tyrann warte, der im Namen des Volkes die Führung übernehme. Die für die Demokratie charakteristische Gemeinwohlorientierung geht verloren, im Mittelpunkt stehen eigennützige Einzelinteressen.

In Baden-Württemberg schafften neben der NPD (1968) unter anderen die Republikaner in den 1990er-Jahren zweimal in Folge den Sprung ins Landesparlament, wo heute auch die AfD vertreten ist.

Ob Kapitalismus, Sozialismus, Konservatismus, Islamismus, Euroskeptizismus, Globalisierungskritik oder Antiamerikanismus, unter dem Begriff Populismus lassen sich Bewegungen, Parteien, Führer und Regime mit unterschiedlichen ideologischen Ausrichtungen und politischen Zielen fassen, wie Patzelt betont. Alle nähmen für sich in Anspruch, „das einfache Volk“ zu vertreten, das die lateinische Wurzel des Wortes Populismus bildet, abgeleitet von populus, „das Volk“.

Populisten sprechen vor allem die Verlierer in einer Gesellschaft an

Klischeehaft wird ihm ein korruptes, selbstgefälliges und am Machterhalt orientiertes Establishment aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gegenübergestellt, das sich gegen die kleinen, hart arbeitenden Leute verschworen hat, erklärt Florian Hartleb, Habilitand an der Universität Passau.

Nach Angaben des Politikwissenschaftlers wird es verantwortlich gemacht für die negativen Folgen der Modernisierung oder zumindest für deren mangelnde Abfederung. Diese pauschale Abgrenzung, auch gegenüber anderen Minderheiten, werde oft mit vorhandenen Ressentiments in der Bevölkerung verknüpft. So würden insbesondere Modernisierungsverlierer angesprochen, denen ein Gefühl der Zugehörigkeit vermittelt werde.

Dabei wird laut Endre Borbath von der Universität Heidelberg suggeriert, dass „das Volk“ eine Einheit sei. Gegensätzliche Interessen, Meinungen und Lebensstile, die es in modernen Gesellschaften in vielfacher Weise etwa zwischen Schichten, Berufs- oder Bevölkerungsgruppen gibt, würden so implizit geleugnet, wie der Politikwissenschaftler feststellt.

Eine wesentliche Rolle würden dabei oft charismatische Führungsfiguren spielen, die sich zu Vertretern des Volkes hochstilisierten und für sich reklamierten, dessen Bedürfnisse zu verstehen und damit den „wahren Volkswillen“ zu repräsentieren, so Borbath. Das widerspreche dem für Demokratien zentralen Pluralismus, dem alle Bürger umfassenden Gleichheitsprinzip und der Universalität der Menschenrechte. Trotzdem sind Parteien, nur weil sie populistisch sind, nicht automatisch auch extremistisch.

Von „Raubtierkapiltalismus“ und „Ökoterrorismus“ 

Solange die Grundprinzipien der freiheitlich demokratischen Verfassungsordnung anerkannt werden, haben auch radikale politische Auffassungen und Zielvorstellungen in der pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz, sagt Hartleb. Allerdings bleibt das Verhältnis des Populismus zur Demokratie auch wegen seiner typischen Rhetorik ambivalent, heißt es vonseiten der Landeszentrale für politische Bildung (LpB). Sie verwendet Stilmittel wie Verkürzung, Tabubrüche, Dramatisierungen, Schwarz-Weiß-Malerei oder den Gebrauch von Gewaltmetaphern wie „Raubtierkapitalismus“ oder „Ökoterrorismus“.

Dadurch kann es laut LpB zu einer Polarisierung der Gesellschaft kommen, was eine differenzierte und lösungsorientierte Debatte erschwert oder verhindert. „Populismus wirkt aber auch positiv auf die Demokratie“, ist Borbath überzeugt. „Er macht ihre Schwachstellen sichtbar, weist auf Defizite bei der Umsetzung des Prinzips der Volkssouveränität hin, regt Bürger zu mehr politischem Engagement und der Kontrolle politischer Repräsentanten an.“

Umgang mit der AfD sorgt auch in der Politik für Differenzen 

Die AfD hat sich als fester Bestandteil in der Parteienlandschaft etabliert und erzielt zunehmend Wahlerfolge. Auch in Baden-Württemberg. Währenddessen ringen Politik, Gesellschaft und Medien um den richtigen Umgang mit den rechten Akteuren. Das Ignorieren und Ausgrenzen der Partei hat sich ebenso wenig als Strategie bewährt, wie die programmatische Nachahmung, Konfrontation und Auseinandersetzung der Altparteien, sagt Endre Borbath von der Universität Heidelberg.

Nach Angaben des Politikwissenschaftlers tendieren Wähler zum authentischen Original, dessen Ideologie mit der Übernahme rechter Positionen durch andere Parteien den Anschein der Normalität erwecke.

Statt sich mit ihrem Markenkern abzugrenzen, würden sich die Altparteien um die rechten Mitbewerber drehen und so an eigenständigem Profil verlieren. Dem Wähler erschienen sie so als wenig aussagekräftiger Einheitsblock, wie der Wissenschaftler weiter ausführt.

Studie untersucht BSW-Parteiprogramm

Wie viel Populismus steckt im Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)? Antwort liefert eine im vergangenen Jahr veröffentliche Studie der Universität Potsdam. Dafür wurden rund 10 000 Reden und circa 19 000 Pressemitteilungen aller Linken-Bundestagsabgeordneten aus den Jahren 2005 bis 2023 ausgewertet. Die Ergebnisse zeigen, dass Wagenknecht unter den Linken-Abgeordneten mit Abstand am häufigsten populistische Kommunikationselemente einsetzte.

Mit Wagenknecht wechselten einige ihrer populistischsten Parteikollegen zum BSW. Eine wichtige Rolle spielt in der Rhetorik des BSW-Programms der Studie zufolge die Kritik an der Politik- und Wirtschaftselite. Diese Elitenkritik werde „mit einem starken Bevölkerungsbezug kombiniert, der beispielsweise in der Ansprache der ‚Mehrheit‘ deutlich wird. Insgesamt erscheint damit die Klassifizierung als populistische Partei gerechtfertigt“, heißt es.

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