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Interview: Initiative „G9 Jetzt!“

„Unser neuer Gesetzentwurf ist ein Kompromissangebot“

Die Initiative „G9 Jetzt!“ will mit einem neuen Volksantrag erreichen, dass auch Schüler höherer Klassen noch ins neunjährige Gymnasium wechseln können. Was ihre weiteren Ziele sind und ob sie glauben, bis zum Fristende am 17. Dezember die erforderlichen Unterschriften dafür zu bekommen, erläutern Marita Raschke und Mirjam Bohr-Wiens im Gespräch mit Christoph Müller. 

Bohr-Wiens und Raschke im Gespräch mit Redakteur Christoph Müller (vl).

Achim Zweygarth)

Staatsanzeiger: Sie haben bisher rund ein Drittel der notwendigen fast 40.000 Stimmen für einen Volksantrag. Woher nehmen Sie die Hoffnung, Ihr Ziel noch zu erreichen?

Mirjam Bohr-Wiens: Der Mai war ein guter Monat. Aber die letzten zwei Wochen kam wenig rein. Wir wissen, dass manche sammeln, die die Stimmen noch nicht gemeldet haben. Aber es könnte natürlich sein, dass wir das Ziel knapp verfehlen.

Planen Sie für den Schlussspurt noch besondere Aktionen oder Events?

Marita Raschke: Hoffnung setzen wir auf Freibäder. Weil man dort oft an Engstellen gut sammeln kann und in kurzer Zeit viele Stimmen bekommt. Die Erfahrung vom letzten Volksantrag zeigt, dass die freien Sammlungen am besten funktionieren. Besser, als wenn man per E-Mail informiert und hofft, dass der Empfänger das Formular ausfüllt und zur Post bringt.

Sie fordern vor allem, dass Schüler aus laufenden G8-Klassen noch in eine gestreckte G9-Variante wechseln können sollen. Ist das nicht allein schon organisatorisch sehr komplex?

Bohr-Wiens: Die Lehre aus dem ersten Volksbegehren für uns war, es etwas einfacher und pragmatischer anzugehen. Darum sehen wir eine Abfragemöglichkeit für den Bedarf nach G9 vor. Wir wissen schon von Schulen, die das abgefragt haben. Dort sind zum Teil in vierzügigen Gymnasien 100 Prozent für G9.

Was aber, wenn ein Teil in höheren Klassen nicht zu G9 wechseln, sondern bei G8 bleiben will?

Bohr-Wiens: Das Recht auf G8 bleibt. In den höheren Klassen erwarten wir, dass nicht mehr so viele wechseln wollen. An größeren Schulen könnten sich Möglichkeiten ergeben. Es nimmt auf jeden Fall den Druck raus, wenn es mehr Angebote im Sinne der G9-Modellschulen gibt. Die beruflichen Gymnasien allein werden es nicht mehr richten können.

Mirjam Bohr-Wiens im Gespräch.

Gibt es Länder, die den Wechsel zu G9 so vollzogen haben, wie es ihnen vorschwebt?

Bohr-Wiens: Ja, Niedersachsen hat damals bis Klasse acht umgezogen. Unser Vorteil in Baden-Württemberg ist ja aber gerade, dass es die G9-Modellschulen gibt. Diese haben drei Streckungsmodelle. Eines ist genau das Mittelstufen-Streckungsmodell, das nach Klasse sieben ansetzt und aus danach drei Schuljahren vier macht.

Trotzdem entsteht mehr Aufwand als bei dem G9plus-Modell der Landesregierung. Ist das der Grund für die Ablehnung seitens der Politik?

Raschke: Der erste Ablehnungsgrund waren die Kosten. Daran haben wir stark gedreht. Bei den weiteren Argumenten gibt es oft Missverständnisse – zum Beispiel glauben viele, dass wir das neue G9 auch für die G8-Klassen fordern. Dem ist aber nicht so.

Man hätte also Möglichkeiten?

Raschke: Ja genau, die hätte man. Auch an den Modellgymnasien haben ja nicht alle Schüler G9. Gerade ein sechszügiges Gymnasium würde die Parallelität gut hinkriegen und trotzdem eine Kursstufe meistern können. Es ist unserer Meinung nach eher politisch motiviert, dass man die oberen Klassen nicht mitnimmt in ein gestrecktes G8.

Wie ist Ihr Rückhalt in der Öffentlichkeit und bei Eltern, Schülern und Lehrern?

Bohr-Wiens: Im Persönlichen eigentlich sehr gut. Von den Verbänden hat sich niemand groß geäußert. Es braucht erst einmal Stimmen, um den Druck zu erhöhen. Das zeigt die Erfahrung mit dem letzten Volksantrag.

Die Ingenieurwissenschaftlerin Marita Raschke ist auch im Führungsteam für den neuen Volksantrag und war schon beim ersten Volksantrag für die Rückkehr zu G9 dabei.

Und wie steht es mit politischer Unterstützung, die auch Gewicht hat? Gibt es Abgeordnete in den Regierungsparteien, die Ihnen wenigstens hinter vorgehaltener Hand Recht geben?

Raschke: Ja, die gibt es definitiv. Und zwar in beiden Regierungsfraktionen. Bohr-Wiens :Viele sagen, wir glauben, ihr kriegt die Stimmen nicht, und warten ab. Das letzte Mal sind auch Leute aufgesprungen, als klar wurde, wir knacken das Quorum und fanden es dann toll. Manche drücken uns heimlich die Daumen. Aber teilweise wird die Notwendigkeit nicht gesehen. Der Reflex ist immer, es muss ja keiner aufs Gymnasium. Das ist das Totschlagargument.

Wie viele Mitglieder und aktive Unterstützer hat ihre Initiative denn, nachdem ein gewisser Erfolg ja erreicht wurde und sich die beiden Gründerinnen zurückgezogen haben?

Raschke: Ja, einige sind abgesprungen, aber wir gewinnen auch laufend neue Unterstützer dazu. Sind die eigen en Kinder inzwischen nicht mehr selbst betroffen, verschiebt sich auch die persönliche Komponente. Aber nicht notwendigerweise. Einer unserer Mitstreiter sammelt auf Instagram viele Follower und ist immer noch Feuer und Flamme, obwohl es für seine Kinder zu spät kommt Das gilt auch für mich: Meine Kinder sind noch kleiner, die bekommen sowieso G9. Es darf niemandem verwehrt werden, selbst für seine Kinder zu entscheiden, weil es eben so wichtig ist. Deshalb haben wir einfach gesagt, wir führen das jetzt vollends zu Ende.

D ie beiden Gründerinnen der G9-Initiative, die den ersten Volksantrag eingereicht hatten, haben sich zurückgezogen – und eine hat gesagt, man müsse in einer Demokratie kompromissbereit sein. Sind Sie nicht kompromissbereit?

Raschke: Unser neuer Gesetzentwurf ist ein Kompromissangebot. Wir sind dafür einen großen Schritt gegangen und müssten ja einige Schüler opfern, die für sich noch G9 wollen, wenn es darum geht, wie es sich praktisch umsetzen lässt an den einzelnen Schulen. Außerdem wissen wir auch nicht, wer von den über 100 000 Unterstützern des ersten Volksantrags aus diesem Grund oder wegen G9 allgemein unterschrieben hat.

Bohr-Wiens: Die Streckungsvariante ist ressourcentechnisch möglich. Wir haben keine Luftschlösser gebaut. Wir fordern das Minimum dessen, was geht. Und könnten auch nochmals Abstriche machen. Ich glaube nicht, dass wir schlechte Demokraten sind.

Womit glauben Sie inhaltlich besonders punkten zu können?

Bohr-Wiens: Wir haben für das neue G9 Verbesserungen drin, die von Fachleuten unterstützt werden: Das Profilfach IMP – Informatik, Mathematik und Physik – beizubehalten, wird von den Wirtschaftsverbänden unterstützt. Und die zweite Fremdsprache erst in Klasse sieben zu beginnen, wird eigentlich von sämtlichen Lehrerverbänden unterstützt. Raschke: Hier fordern wir nur, was für null Euro geht. Und das wäre eine bessere Stundentafel für Lehrer und Schüler, mehr Zeit zum Lernen und daneben auch Zeit für Freizeitaktivitäten. Mit dieser Forderung müssen wir uns nicht verstecken.

Neuer Volksantrag will auch das geplante G9 verbessern

Das Land Baden-Württemberg kehrt ab Herbst zum neunjährigen Gymnasium zurück, das war vor allem Resultat einer Elterninitiative zu G9. Doch viele Eltern wollen mit einem neuen Volksantrag noch mehr erreichen, nämlich „die Mitnahme der laufenden Klassen im G8 zu ermöglichen und das geplante, neue G9 zu verbessern“, heißt es im Internetauftritt der „Initiative G9 Jetzt!“. Demnach sollen auch bereits laufende Klassen in eine gestreckte G9-Variante wechseln können. Zudem soll wieder erst in Klasse 7 die zweite Fremdsprache beginnen.

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