Wahlrecht: Nach der Reform ist vor der Reform

Maximilian Mörseburg hat sein Bundestagsmandat verloren, obwohl er in seinem Stuttgarter Wahlkreis die meisten Erststimmen auf sich vereinen konnte.
IMAGO/teutopress GmbH)Wie könnte das Bundestagswahlrecht erneut reformiert werden, um zu vermeiden, dass auch der Sieg in einem Wahlkreis nicht den Einzug ins Parlament garantiert.
Sogar der einfachste Weg ist kompliziert: Die Wahlkreise vergrößern, sie neu zuschneiden, um ihre Anzahl zu verringern. Diese Lösung wäre sauber, die Unruhe vielerorts aber riesig, weshalb gerade die Union lange Zeit dagegen war. 2023, als die Wahlrechtsreform der Ampelkoalition beschlossen wurde, hatten CDU und CSU dann doch eine Verringerung der Wahlkreise von 299 auf 270 vorgeschlagen, allerdings bei einer nur teilweisen Beibehaltung von Ausgleichs- und Überhangmandaten. Die sind infolge der Zersplitterung des Parteiensystems hauptverantwortlich für das Anwachsen des Bundestags weit über die „normierte Regelgröße“ von 598 Mandate hinaus.
Was bedeutet der Verzicht auf einen Teil des Ausgleich?
In der Bundestagsdebatte zur Verabschiedung des neuen Wahlrechts hatte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann auf die Bedeutung von Überhang und Ausgleich für ein Anwachsen des Parlaments hingewiesen: Ein einziges Überhangmandat könne wegen der Vielzahl der zur Wahl antretenden Parteien bis zu 16 Ausgleichsmandate auslösen. Würden solche Überhänge aber nicht ausgeglichen, könne eine Schieflage eintreten, bei der Parteien trotz Stimmenmehrheit nicht zu einer Mehrheit der Sitze im Parlament kommen: „Der Grundsatz, jede Stimme ist gleich viel wert, darf seine Gültigkeit nicht verlieren.“
CDU und CSU können sich aber weiterhin den Verzicht auf Ausgleichsmandate vorstellen. Den Vorwurf der Verfassungswidrigkeit der Wahlrechtsreform der Ampelkoalition mussten sie aber fallen lassen, nachdem das Bundesverfassungsgericht die neuen Regelungen in weiten Teilen abgesegnet hat.
Könnte ein Grabenwahlrecht helfen?
CDU-Landtagsabgeordneter Albrecht Schütte will sich wie viele seiner Parteifreunde nicht damit abfinden, dass direktgewählte Abgeordnete nicht mehr in den Bundestag einziehen, wenn ihre Erstimmen durch das Zweitstimmenergebnis nicht gedeckt sind. Schütte kommt aus dem Sinsheim. Im Rhein-Neckar-Raum ist die CDU besonders von der Reform betroffen, weil mehrere direktgewählte Abgeordnete nicht in den Bundestag einziehen. Er kann sich, als eine Variante, ein Grabenwahlrecht vorstellen, bei dem Direkt- nicht auf Listenmandate angerechnet werden, also ein Graben entsteht.
Das wird allerdings auch schon seit halben Jahrhundert diskutiert. Denn schon in den 1950er-Jahren hatte die Bundesregierung unter Konrad Adenauer (CDU) mit der Einführung geliebäugelt, obwohl der Koalitionspartner FDP dadurch viele Sitze im Bundestag eingebüßt hätte. Wie heikel und schwierig Kompromisse in Fragen der Wahlrechtsreformen sind, politisch wie rechtlich, zeigte sich damals am Verhalten der Liberalen. Die wechselten in Nordrhein-Westfalen von der CDU als Koalitionspartner zur SPD, um dem von der Union erdachten System die Mehrheit im Bundesrat verwehren zu können.
Was muss Baden-Württemberg aus Erfahrungen im Bund lernen?
Die Kritiker des neuen Zweistimmen-Wahlrechts im Land sind überzeugt, dass die neuen Möglichkeiten des Stimmensplittings durch Überhang und Ausgleichsmandate zu einem vergrößerten Landtag führen werden. Nachdem der Verfassungsgerichtshof die Landesregierung angewiesen hat, das von der FDP angestoßene Volksbegehren doch zuzulassen, werden viele Argumente abermals ausgetauscht werden.
Der zuständige Innenminister Thomas Strobl (CDU), dessen Nein zur Zulassung eines Volksbegehrens jetzt vom Verfassungsgerichtshof korrigiert wurde, will nun auf dessen Initiatoren zugehen, „um mit ihnen Details über den Ablauf des Volksbegehrens zu besprechen und abzustimmen“. Im Anschluss erfolge die öffentliche Bekanntmachung des Volksbegehrens mit dem zugrundeliegenden Gesetzentwurf und den Fristen für die Sammlung der erforderlichen rund 770 000 Unterstützungsunterschriften im Staatsanzeiger für Baden-Württemberg. Vorgelegt werden dürfte auch eine Info-Broschüre.