Warum die Beziehungen zur Schweiz wichtig sind

Winfried Kretschmann (Bündnis 90/Die Grünen, m), Ministerpräsident von Baden-Württemberg, und Peter Bodmer (l), Präsident der Stiftung Innovationspark Zürich, gehen im Space Hub der Universität Zürich an einem Nachbau der Friendship 7 Raumkapsel vorbei. Am letzten Tag von Kretschmanns Reise stehen Unternehmensbesuche in der Raumfahrtbranche und politische Gespräche mit der Kantonsregierung Zürich auf dem Programm. Foto: Marijan Murat
Ilkay Karakurt / Staatsministerium Baden-Württemberg)Zürich. Größer könnte die Ehre kaum sein: Winfried Kretschmann hält bereits zum zweiten mal – im großen Festsaal der Universität Zürich eine Grundsatzrede. Dort, wo einst 1946 der englische Premierminister Winston Churchill mit seiner „Rede an die akademische Jugend“ die Einigung Europas ausrief. Nun steht hier der 77-jährige Ministerpräsident, und muss angesichts eines neuen Krieges in Europa wieder zur Kooperation aufrufen.
Die Begrüßung ist herzlich, der Züricher Universitätsrektor Michael Schaepmann macht Scherze über den Dienst-Mercedes von Kretschmann („Sieht irgendwie chinesisch aus“), es gibt einen Empfang in der Bibliothek, später bekommt er eine Packung Ricola Kräuterbonbons überreicht. „Unsere Schweiz-Strategie ist eine Liebeserklärung auf 40 Seiten“, zitiert Kretschmann die Schlagzeile einer Boulevardzeitung; „in dem Fall stimmt da jedes Wort.“
200 Kilometer gemeinsame Grenze mit der Schweiz
Immerhin teilen Baden-Württemberg und die Eidgenossenschaft 200 Kilometer gemeinsame Grenze, 60 000 Menschen pendeln täglich über die Grenze, das Handelsvolumen mit der Schweiz von 39 Milliarden Euro wird nur noch von dem mit den USA übertroffen. Es gibt eine stabile Partnerschaft mit dem Kanton Zürich, dessen aktueller Präsident Martin Neukom auch ein Grüner ist. „Wir freuen uns über die guten Beziehungen“, sagt er.
Die Grenzkontrollen sind hier kein Thema, auch weil die Bundesbeamten schon vorher in die Züge steigen und kontrollieren. Streitpunkte sind das geplante Endlager nahe der deutschen Grenze, oder der Fluglärm vom Flughafen Zürich.
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Viel grundsätzlicher ist eine Volksabstimmung in der Schweiz, in der es um neue bilaterale Abkommen mit der EU geht, und damit auch um die Teilnahme an Austauschprogrammen wie Erasmus, und dem Zugang zum Europäischen Wirtschaftsraum. „Alle sagen: bei einem Scheitern wird es nicht einfach“, meint der Südwest-Premier. In seiner Rede wählt er eine geschickte rhetorische Figur: „Die Schweiz selbst könnte eine Blaupause sein für die EU, eine Konstruktion verschiedener Sprachgemeinschaften als Willensnation.“
Die Schweiz habe in den Verhandlungen viel herausgeholt, betont er. Es ist eine Gratwanderung: Zu viel Werbung für ein Ja zu den Verträgen könnte als Einmischung gewertet werden. Das Alpenland hat viele Ausnahmen ausgehandelt, etwa Schutzklauseln und paritätisch besetzte Schiedsgerichte. Und dann wird Kretschmann persönlich, und erzählt, wie wichtig ihm Europa ist. „Meine Familie stammt aus dem heutigen Polen und wurde 1945 zur Flucht gezwungen“, erzählt er.
Kretschmanns Familie weiß, wie wichtig Frieden in Europa ist
Dabei sei ein älterer Bruder von ihm als Säugling gestorben. Seine Stimme bricht, als er die Szene beschreibt, wie die Eltern die Kinder auf ein Pferdefuhrwerk setzen mussten und sie davonfuhren ließen. Sein dringender Appell: „Wir können nur in einem geeinten Europa leben, das war die Erfahrung meiner Familie nach dem Krieg, ist aber auch meine intellektuelle Überzeugung.“
Dass die Demokratie wieder unter Druck steht, in den USA gerade demontiert zu werden droht, dass in der Ukraine durch Putins Überfall Krieg herrscht, und dass die Schweizer von US-Präsident Donald Trump mit 39 Prozent Zöllen belegt werden, gibt zu denken. Sein Fazit: „Das Schicksal Europas heißt Kooperation.“
Kretschmann, das macht der Kantonalpräsident Martin Neukom deutlich, gilt als Botschafter in Berlin und Brüssel, verstehe die Schweizer wie kaum ein anderer deutscher Politiker. Dieser Anker wird Zürich nach der Landtagswahl zweifellos fehlen, egal wer nachkommt.
Was sagt die Schweiz?
Der Regierungspräsident des Kantons Zürich, Martin Neukom, erklärt im Wortlaut: „Multilateralismus beginnt nicht in Genf oder Brüssel, sondern im regionalen Kontext – dort, wo Vertrauen und gemeinsame Interessen aufeinandertreffen. Unsere Zusammenarbeit ist ein Beispiel dafür, wie Regionen Verantwortung übernehmen und Lösungen entwickeln, die über nationale Grenzen hinauswirken. Ich bin tief überzeugt, dass der Multilateralismus einen großen Wert hat und wir gut beraten sind, den Beziehungen zwischen der EU und der Schweiz, sowie Baden-Württemberg und dem Kanton Zürich besondere Aufmerksamkeit zu schenken.“