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Tübinger Streitgespräch

Was bleibt nach Boris Palmers Debatte mit dem AfD-Chef?

Die mediale Aufmerksamkeit war riesig, die Proteste und Störungen beim Rededuell zwischen dem Tübinger OB Boris Palmer und dem AfD-Landeschef Markus Frohnmaier ebenfalls. Welche politischen Erkenntnisse kann man aus der umstrittenen Veranstaltung ziehen? Von Carsten Beneke
Mann in Anzug klatscht, umgeben von applaudierenden Menschen im Freien.

Boris Palmer bei der Gegendemo zum Streitgespräch in der Hermann Hepper Halle

dpa/Markus Ulmer)

Tübingen. Schon im Umfeld der Tübinger Hermann-Hepper-Halle sind viele junge Menschen, die mit Fahnen, Demoplakaten und T-Shirts mit Aufschriften wie „EkelhAfD“ oder „Katzen ja, AfD nein“ unterwegs sind. Auch die unüberschaubar vielen Polizeieinsatzfahrzeuge lassen erahnen, dass das kein ruhiger Abend werden wird. Bei der Menge demonstrierender Menschen ist nicht immer klar, ob sie gegen die AfD demonstrieren oder gegen die Veranstaltung.

Diese sei, betont gleich zu Beginn der Tübinger Moderator und Rhetorikprofessor Joachim Knape als „Informationsveranstaltung der Stadt Tübingen für die Tübinger Bürgerinnen und Bürger“ gedacht.

Sprechchöre und Unterbrechungen

Schon nach den ersten Einlassungen des Bundestagsabgeordneten und AfD-Spitzenkandidaten Markus Frohnmaier zur Meinungsfreiheit, um die es in Deutschland aus seiner Sicht schlecht bestellt sei, bricht in der Halle lautstarker Protest aus mit Sprechchören wie „Es gibt kein Recht auf Nazipropaganda“. So ist 20 Minuten lang erst mal nicht an ein Weitermachen zu denken. Die Polizei geleitet die Lautesten aus der Halle, und Palmer droht, die Debatte in eine Nebenzimmer mit Livestream zu verlegen, wenn keine Ruhe herrscht.

Lesen SIe auch den Kommentar: Welche Lehren kann man ziehen?

Wie läuft die Diskussion? Eigentlich immer nach dem gleichen Muster. Palmer, der sich gelegentlich im Zaum halten muss, konfrontiert den AfD-Mann mit konkreten Anfragen an die Absichten der AfD, oftmals mit dezidierten Tübinger Beispielen.

Frohnmaier distanziert sich von radikalen Zitaten

Zum Thema Meinungsfreiheit trägt Palmer eine Reihe von Zitaten von AfD-Funktionsträgern vor: „Das Pack erschießen, oder nach Afrika zurückprügeln“ oder solche, die hervorheben, dass es mal „wieder Zeit für einen Holocaust“ sei oder auch für die Gründung einer SA. Palmer fragt: „Ist das noch Meinungsfreiheit oder Hass und Bedrohung gegenüber bestimmter Menschengruppen?“ Frohnmaier bügelt das ab und erklärt, in seiner Landespartei würde er alle ausschließen, die so etwas sagten.

Palmer bricht immer wieder die Themen auf die konkrete kommunalpolitische Ebene herunter. Und fragt Frohnmaier: „Verstehe ich das AfD-Programm richtig, dass der Ausbau von Windkraft und Photovoltaik gestoppt werden soll? Wollen Sie das alles wirklich zerstören?“ Dazu meint der AfD-Mann nur lapidar: „Klima hat sich immer verändert.“

Palmer nennt immer wieder lokale Fakten

Bei der inneren Sicherheit sieht Frohnmaier seit Merkels Willkommenspolitik 2015 einen Zuwachs und fordert eine Null-Toleranz-Politik mit konsequenten Abschiebungen. Woraufhin Palmer die Kriminalstatistik zitiert, wonach das Land sicherer sei als 2000: „Wer damals keine Angst hatte, braucht auch heute keine haben.“

Dazu gibt es einen kuriosen Dialog: Frohnmaier, sagt, eine Statistik müsse man auch lesen können, worauf Palmer darauf hinweist, dass er Mathematik studiert habe. Dann konfrontiert Palmer die AfD mit dem Kampfbegriff „Remigration“ und zählt sämtliche Aufenthaltstitel auf, nur 200 von 19.000 Migranten in Tübingen seien ausreisepflichtig. „Welche Gruppen davon wollen Sie abschieben?“ Frohnmaier legt sich nicht fest, sagt aber: „Wer sich legal aufhält und sich an Gesetze hält, kann natürlich bleiben.“ Und er will den Begriff „Remigration“ überdenken.

Wie fällt die Bilanz des Tübinger Streitgesprächs aus?

Unterm Strich hat Markus Frohnmaier auf oft konkrete Nachfragen Palmers ins Leere laufen lassen. So ganz nimmt man ihm den gemütlich-konservativen 80er-Jahre-CDU-Onkel nicht ab, weil dies im Kontrast steht zur Einstufung der Partei als rechtsextremer Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz.

Ist das Experiment gelungen? Ist die AfD in die Mitte mit ihren Aussagen vorgedrungen? Oder konnte Palmer sie „entzaubern“? Die Demonstranten vor der Halle würden das bestreiten. Palmer selbst auf Facebook: „Einen klaren Sieger gab es nicht. Damit ist die These, man könne in Debatten mit der AfD nur verlieren, widerlegt.“ Das Experiment habe Hinweise erbracht, wie man die AfD schlagen könnte.

Eine Analyse

Einen Sieger der Debatte kann der Stuttgarter Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider nicht ausmachen. „Ich habe meine Zweifel, dass jemand seine Meinung ändert oder ins Nachdenken kommt. Es sei richtig gewesen, dass Palmer den Versuch unternommen habe, aber: „Im Nachhinein würde ich sagen, das Format war ungeeignet oder missglückt.“ In einem Studio mit einem professionellen Moderator hätten die beiden besser ins Gespräch kommen können.

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