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Wenn Schüler plötzlich Bürgermeister und Gemeinderäte sind

Sitzung statt Unterricht: Schüler in Elzach diskutieren und fassen Gemeinderatsbeschlüsse zum Wohl der ganzen Bürgerschaft.
Wenzel)Elzach. Freitagmorgen, halb neun, kurz vor Schuljahresende. Der Himmel ist wolkenverhangen und es ist recht frisch im schmalen Schwarzwaldtal. Im Hof des Schulzentrums Oberes Elztal nahe Freiburg versammeln sich Schülerinnen und Schüler der achten Klassen, lauschen der Ansprache ihres Rektors und verteilen sich dann auf sechs Gruppen.
Der Unterricht, Pardon die Gemeinderatssitzung, beginnt – nicht nach der Gemeindeordnung, sondern gemäß den (Spiel-)Regeln von „ Community “. Ein Lehrer ist dabei, doch nur als Zuschauer. Studierende der Hochschule Kehl, wo das Spiel entwickelt wurde, moderieren die Gruppen. Eine davon ist Nina Herr.
Sie ist früher selbst in Elzach zur Schule gegangen, nun kehrt sie als Bachelor-Studentin im sechsten Semester zurück an ihre alte Wirkungsstätte. Als sie grundsätzlich über das Spiel und den Ablauf informiert worden sind, haben die fünf Jungen und acht Mädchen „ihrer Gruppe“ einen der ihren, Kilian, zum Bürgermeister gewählt.
Alle spielen Erwachsene, nur eine bleibt auch in ihrer Rolle Schülerin
Der will zuerst weiterhin in der U-förmigen Tischreihe bleiben und von dort aus das Gremium leiten. Doch Nina Herr fordert ihn auf, nach vorne zu kommen: „Als Bürgermeister kriegt man einen besonderen Platz“.
Das Spiel beginnt. Zuerst wird ein Name für die Gemeinde gesucht. Eine leichte Übung, da nur ein Vorschlag kommt. Einstimmig fällt der Beschluss: „Downtown“ heißt nun die Kommune, deren Geschicke der Bürgermeister und der Rat zu leiten haben. Jeder Gemeinderat hat eine Karte gezogen, die ihm eine Rolle zuweist: durch Angaben zu Beruf und Lebensumständen – Alter, Ehestand, Zahl der Kinder, usw. So ist etwa ein Mädchen Imbiss-Besitzerin, eine andere Erzieherin, eine dritte Altenpflegerin. Ein Schüler ist IT-Techniker, ein anderer Polizist, ein dritter Landwirt. Alle Rollen sind ausgelost worden. Nur ein blondes Mädchen bleibt auch in ihrer Rolle eine Schülerin und ist zugleich Mitglied im Jugendrat.
Das Spiel nimmt seinen Lauf. Die Schüler erörtern und beraten, fassen Beschlüsse zu allen möglichen Themen der realen Kommunalpolitik. Dabei geben die Spielkarten zwei oder drei Alternativen vor. Jede Entscheidung wirkt sich auf die Zufriedenheit der Bürger und die Finanzlage der Gemeinde aus – in der Regel in gegensätzlicher Richtung. Einstimmig beschließt der Rat ein großzügiges Modell für den Breitbandausbau.
Lösungen, die alle zufriedenstellen, sind oft teuer
Folge: Die Laune in der Bürgerschaft steigt um drei Punkte, doch die Finanzlage verschlechtert sich gleich um fünf Punkte. Als es anschließend um Hochwasserschutz geht und die drei Vorschläge präsentiert werden: Rückhaltebecken neu bauen, sanieren oder den Fluss umleiten, stellt denn auch die Altenpflegerin als Erstes die Frage: Sind die Kosten für alle Alternativen gleich? Zunächst wählen die Schüler-Gemeinderäte eher die teureren Lösungen, die möglichst viele glücklich machen.
Etliche Entscheidungen müssen getroffen werden, höchst unterschiedlich in Art und Gewicht. Wie im echten (Gemeinde-)Leben – nur deutlich schneller. Von Zeit zu Zeit wird ein Zwischenstand verkündet: Die Zufriedenheit ist hoch, die Finanzlage wird schlechter. Die Erhöhung der Hundesteuer und eine Zweitwohnsteuer werden daher rasch und einstimmig beschlossen; und für die Unterbringung von Flüchtlingen ohne lange Diskussion und fast einstimmig die kostengünstige Turnhallenlösung gewählt. Mitunter ist die Debatte rege und engagiert, die Argumente vielfältig, die Meinungen gespalten. Das Für und Wider eines Jugendtreffs wird differenziert erörtert, ein Neubau dann abgelehnt.
Der Bürgermeister gewinnt im Lauf des Spiels an Dominanz
Im Spielverlauf wird der Bürgermeister dominanter, äußert seine Meinung früher und drängt oft zur Abstimmung. Ereigniskarten, „ein bisschen ähnlich wie beim Monopoly“, sagt Moderatorin Herr, bringen Würze ins Spiel, da sie nicht kalkulierbar sind, wie im echten (Gemeinde-)Leben. So belasten der Bau einer Umgehungsstraße durch das Land, höhere Lohnzahlungen und der unvermeidliche Kauf eines neuen Feuerwehrautos unerwartet die Kasse.
Nach zwei Stunden ist das Spiel beendet, Zufriedenheit und Finanzen in Balance zu halten wurde knapp verpasst. Eine Urkunde gibt es aber für die Schüler. Zudem ein Lob ihres Gemeinschaftskundelehrers: „Es kommen gute Argumente, und viele bringen die Interessenlage ihrer zugewiesenen Rolle gut ein.“ Und die Erkenntnis, dass es nicht einfach ist, allen Interessen gerecht zu werden.
Rollenspiel „Community“
Um die Gemeinschaft geht es, wie schon der Name des Spiels klar macht: „Community“. Gemeinderatssitzungen werden simuliert und Beschlüsse gefasst. Gewinnen kann man nur gemeinsam. Ziel ist es, die Bürger zufrieden zu machen, dabei aber die Finanzen stets im Blick zu behalten. Entworfen und entwickelt haben das Spiel Studierende der Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl. Um Schülern Kommunalpolitik nahezubringen – und auch Nachwuchs fürs Verwaltungsstudium und eine Tätigkeit in der Kommunalverwaltung zu gewinnen, „wo ein abwechslungsreiches Berufsfeld mit vielen spannenden Aufgaben wartet“, wie es in der Spielanleitung heißt.