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Obstbau

Wie das Erbe des Remstal-Rebellen Helmut Palmer weitergetragen wird

Helmut Palmer war ein Rebell, Dauerkandidat bei OB-Wahlen, ein Kämpfer gegen die Obrigkeit. Doch seine eigentliche Leidenschaft galt dem Obstbau. Der Palmer'sche Schnitt prägt bis heute Württemberg. Seine Tochter Gudrun Mangold und sein bester Freund Helmut Ritter haben daher eine Obstbau-Akademie gegründet.

Helmut Palmer auf einem Obstbaum, mit Eifer und Entschiedenheit - so war der „Remstalrebell“. Seine Baumschnitt-Technik wird jetzt an die nächste Generation weiter getragen.

(C) Gottfried Stoppel)

Weinstadt. Es ist kalt am Steilen Wiesenhang in Strümpfelbach, der erste Schnee ist gefallen. Helmut Ritter steht am Wanderparkplatz, und zeigt auf eine Kastanie. Er kennt den Baum schon als kleine Pflanze. „Das ist der Lutherbaum des Ortes“, sagt er. Und das passt irgendwie zu Helmut Palmer: „Er war der Reformator des Obstanbaus in Württemberg.“

Da werden Erinnerungen wach. Immer Sonntagmorgens um 7 Uhr klopfte Helmut Palmer an die Rollos des Ritter’schen Hauses in Strümpfelbach. „Die Kinder haben nur gerufen: Der Palmer kommt“, erinnert er sich. Dann ging es los, der Lastwagen mit Leiter, irgendwohin nach Sersheim bei Ludwigsburg. Dort hatte Palmer auf einem Grundstück verwilderte Bäume entdeckt.

Die Säge wurde ausgepackt, Helmut Ritter ging den Bäumen an die Äste. „Um 11.30 Uhr mussten wir weg“, erinnert sich Ritter, „dann kam der Besitzer aus dem Gottesdienst.“ Heute würde man das Kamikaze-Aktion nennen – auf unzähligen „Stücklen“ hat der Remstalrebell die Bäume in seinem Sinne beschnitten.

Das hat bekanntlich den Württembergischen Obstbaukrieg ausgelöst – die örtlichen Baumwarte sahen sich in ihrer Existenz bedroht. Und das waren früher nach dem Bürgermeister und dem Pfarrer hoch angesehene Respektspersonen.„Man habt ihm angedroht, ihn mit der Axt zu spalten“, erinnert sich Ritter.

Den Palmer-Schnitt erkennt man von weitem noch nach Jahren

Doch Helmut Palmer wurde dafür nie bestraft. „Niemand konnte ihm nachweisen, dass ein Schaden an den Bäumen entstanden ist“, sagt Ritter und schmunzelt. Es geht den steilen Weg hoch, Apel- und Zwetschgenbäume stehen am Hang. Man erkennt den Palmer’schen Schnitt von weitem: ein sprialförmiger Stamm, schräg nach oben wachsende Leitäste – und an denen die Fruchtäste. „Durch diesen Aufbau kommt überall Licht hin, und 90 Prozent der Äpfel werden vollständig reif“, sagt Helmut Ritter. Diese Technik hat der 2004 verstorbene Helmut Palmer in der Schweiz gelernt.

Der Obstbaukrieg ist längst vorbei. Auch heute gibt es in Fachkreisen noch Widerstand, in vielen Obst- und Gartenbauvereinen wird die „Rundkrone“ gelehrt – eine Mischform. Doch Gudrun Mangold, der Tochter von Helmut Palmer, geht es darum, die reine Lehre zu bewahren. Sie hat ihren Vater einmal vor seinem Tod gefragt, wer sein Erbe antreten soll. „Frag den Ritter, der ist der beste, der Meisterschüler“, soll dieser gesagt haben.

Und so fuhr die Journalistin und Schriftstellerin, die früher für den Süddeutschen Rundfunk (heute SWR) gearbeitet hat, auf dem Hof von Helmut Ritter vor. Jahrelang gab dieser Obstbau-Schnittkurse. Nun die Idee: Eine Akademie soll das Wissen verbreiten. 20 Tage dauert die Ausbildung, von der Veredelung bis zum Oeschberg-Baumkronenschnitt. Wer mag, kann den „Palmer-Baumwirt“ machen als Abschluss. Gemäß dem alten Motto des Remstalrebellen: „Jeder soll sein eigener Baumwart sein.“ Es ist dieser Freigeist, der Helmut Palmer geprägt hat. Natürlich und vor allem politisch. In Schwäbisch Hall wäre er fast Oberbürgermeister geworden, auch in Aalen oder Herrenberg hatte er gute Ergebnisse. Doch die Unerbittlichkeit, mit der er Kritiker anging und auch mal als „Nazi“ beschimpfte, isolierte ihn auch. Eine gewisse Parallele zu seinem Sohn Boris Palmer, dem Oberbürgermeister von Tübingen.

Und beim Obstbau? Auch da polarisierte Palmer. Und seine Technik tut es bis heute. „Es gibt Skepsis bei den Ämtern“, sagt sein langjähriger Freund Helmut Ritter. Doch hier gilt: Ein bisschen Palmer geht nicht. Ganz oder gar nicht.

Etwas vom diesem Rebellengeist hat Helmut Ritter sich bewahrt – und schneidet auch mal auf fremden Grundstücken Bäume zurecht, wenn sie zu verwildern drohen. „Ich habe viel von ihm gelernt“, erzählt der 66-Jährige, „hinzustehen, seine Meinung kundzutun, vor Leuten zu reden.“ Aber auch mit Humor die Menschen für sich einzunehmen.

Und seine Tochter Gudrun Mangold, die als Autorin in Heidelberg tätig ist und ein Buch über ihren Vater geschrieben hat, erinnert sich, wie sie „wahnsinnig gerne“ mit ihrem Vater morgens vor Sonnenaufgang auf den Markt ging: „Im Auto roch es nach Himbeeren.“ Helmut Ritter erzählt aber auch von dem Respekt, den sie vor ihm hatten: „Wenn sie heimlich ferngesehen haben, und das Auto kam, riefen sie: Schnell ins Bett, der Palmer kommt.“ Es ist die andere Seite des Remstalrebellen, der politisch seine Gegner bis aufs Blut reizen konnte. Der Obstbau war seine Leidenschaft. „Das kam lange vor der Politik“, sagt Gudrun Mangold. Und selbst kurz vor seinem Tod, schon von der Krebserkrankung gezeichnet, stieg er noch auf Bäume und gab Schnittkurse.

Gerade deswegen ist es Mangold und Ritter so wichtig, das Erbe zu bewahren. „Würden wir es nicht weitertragen, dann würde es in Vergessenheit geraten“, sagt Helmut Ritter. Und schreitet weiter auf seinen zwei Hektar Obstwiesen, die Mangold als „die schönsten zwischen Nord- und Bodensee“ tituliert. Mit dem Ausblick auf Weinberge und das Tal gibt es Neupflanzungen, alte Obstsorten, die Ritter bewahren will.

Und dann geht es an einem Baum vorbei, den Helmut Palmer vor 30 Jahren selbst beschnitten hat. Er ist zwar verwildert, doch die Struktur – diagonale Äste, hoher Stamm, Fruchtäste ist immer noch erkennbar.

Helmut Ritter setzt das Erbe fort, aber mit mehr Charme

Nun kommen Hobby-Obstbauer wieder ins Remstal, genauer gesagt ins Strümpfelbachtal. Helmut Ritter hat Gruppen von 15 bis 100 Interessenten, die VHS weist auf die Kurse hin. Er muss nicht mehr viel gegen Widrigkeiten kämpfen, und Ritter gelingt es, mit Charme und die Diplomatie die Leute mitzunehmen. Immerhin sieht ein alter Obstbaum nach einem Palmer-Schnitt ziemlich gerupft aus.

Helmut Palmer wollte keine Nachfragen („Grad hab i s’Maul zumacht“), Ritter ist verbindlich. Und so wird das Erbe des Remstalrebellen an die nächste Generation weitergetragen. Mit der selben Leidenschaft, aber ohne die schneidende Schärfe. Palmers Passion, sie bleibt.

Helmut Palmer auf dem Dreikönigstreffen der Liberalen 1983 in Stuttgart: Er sagte „den Untergang der FDP“ voraus und trug einem Trauerkranz in der Hand.
Gudrun Mangold hat das Buch „Der Palmer-Schnitt“ verfasst.
Gudrun Mangold, Tochter des Remstalrebellen Helmut Palmer
Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

0711 66601 - 293

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