Wie man Grundgesetz und Demokratie schützen kann

Mit einer Grundgesetzänderung soll das Bundesverfassungsgericht besser vor Verfassungsfeinden geschützt werden.
IMAGO/Udo Herrmann)Stuttgart. „Die aktuellen Brüche waren noch nicht absehbar. Grundrechte sind kostbar und zerbrechlich.“ Sibylle Thelen, Direktorin der Landeszentrale für politische Bildung (LpB) Baden-Württemberg, beschreibt, wie sie und ihr Team in Kooperation mit dem Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht der Universität Stuttgart die Tagung „Verfassungsresilienz. Grundgesetz und Demokratie vor ihren Feinden schützen“ konzipierten.
Nun fand sie im Audimax der Universität statt. Und das Thema hätte aktueller nicht sein können ob der Weltlage, der Kriege, autokratischen Tendenzen, dem Vormarsch antidemokratischer, rechtspopulistischer Kräfte und dem politischen Machtzuwachs von Techkonzernen. Laut YouGov sind just die Hälfte der Wahlberechtigten mit der Demokratie unzufrieden – sieben Prozent mehr als Anfang Januar 2025.
„Es sind die Menschen selbst, die für Demokratie einstehen müssen“
Wie kam es dazu? Das wollte Felix Heidenreich, Professor am Internationalen Zentrum für Kultur und Technikforschung der Universität Stuttgart, wissen, als er das Podiumsgespräch „Wie resilient muss eine Verfassung sein?“ moderierte. „Kriege, Wirtschaftsprobleme, viele Dinge, die man zuvor für selbstverständlich gehalten hat, sind infrage gestellt – das verunsichert“, antwortete Justizministerin Marion Gentges (CDU). Wichtig gewesen sei daher, dass Ende vergangenen Jahres SPD, Grüne, FDP und CDU/CSU nach dem Ampel-Aus sich auf eine Grundgesetzänderung einigten, um das Bundesverfassungsgericht besser zu schützen vor Verfassungsfeinden. „Doch ob wir nun mit Debatten oder Gesetzen Sorge tragen, dass der Staat wehrhaft ist und die Demokratie funktioniert, der Staat allein kann es nicht machen“, sagte Gentges. „Es sind die Menschen selbst, die für Demokratie einstehen müssen, der römische Staat hieß ja nicht von ungefähr Res Publica, also die Sache des Volkes. Man muss sich einsetzen, darf nicht bequem werden.“
So sahen das auch Miriam Meßling, Richterin am Bundesverfassungsgericht, und Alexander Thiele, Professor für Staatstheorie und Öffentliches Recht an der BSP Business and Law School in Berlin. Letzterer betonte, vor 20 Jahren hätte man wohl kaum eine Tagung zur Verfassungsresilienz durchgeführt. „Da schaute man noch von der EU aus empört nach Österreich auf den rechtspopulistischen Jörg Haider.“ Nun komme bald der FPÖ-Kickl. „Die Weimarer Verfassung ist ja nicht wegen, sondern trotz der Verfassung gescheitert, die kritische Masse fehlte, die sie verteidigte. Ohne sie gibt es ein Problem.“ Klar, sei es nicht verfassungswidrig, unpolitisch zu sein und zu konsumieren. „Aber man muss aktiv werden, die Menschen überzeugen vom Willen zur wehrhaften Demokratie.“ Institutionen seien nicht gefeit vor der Übernahme der Populisten, siehe Ungarn und aktuell die USA.
Thiele mahnte vor ‚so schlimm wird’s ja nicht werden’. „Man kann zumindest über ein Parteiverbot nachdenken.“ Und in andere Staaten schauen, etwa Belarus und Russland. Laut Vergleichsuntersuchungen lebten „nur fünf bis acht Prozent der Menschen auf der Welt in so einem freien Land wie in Deutschland“.
Entscheidungen müssen nachvollziehbar sein
Bundesverfassungsrichterin Meßling unterstrich das. Als 2024 das deutsche Grundgesetz 75 Jahre wurde, sei sie zur Verfassungspatriotin geworden. „Unser System ist es wert zu schützen. Wenn man sich anschaut, wie die Freiheit des Einzelnen ausgestaltet wurde – jeder Bürger, jede Bürgerin kann Verfassungsbeschwerde einreichen!“ Deren Zahl habe zugenommen. Die Erwartungen der Einreichenden – Thiele hatte den Begriff Erwartungsmanagement eingeworfen – könnten nicht immer erfüllt werden. „Letztlich geht es um das Austarieren von Freiheiten.“
Bei Demokratien in einer pluralen Welt gehe es um repräsentative Mehrheiten. Um nah dran zu sein an dem, was Bürgerinnen und Bürger umtreibe, gebe es am Bundesverfassungsgericht regelmäßig Gesprächsrunden mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Soziologie, Migrationsforschung und anderen Bereichen. „Entscheidungen müssen nachvollziehbar sein“, sagt Meßling. Schlimm, dass in den USA Trump so über die Verfassung hinweg fege, trotz „Checks and Balances“. Umso wichtiger seien unabhängige Gerichte als Bollwerk. „Mutige Richter versuchen nun, seine Dekrete aufzuhalten. Doch wie wird das konservativ besetzte Supreme Court urteilen?“
