Analyse zum Jahresanfang

Wie startet die Landespolitik in das neue Jahr?

Bauernproteste, Schulfrieden, Energiewende und Migration: 2024 müssen Lösungen gefunden werden. Nur so lässt sich ein Durchmarsch der AfD verhindern. Wie wollen die Parteien das anstellen?

Quo vadis Landespolitik? Nicht nur Ministerpräsident Winfried Kretschmann ist 2024 gefordert, Lösungen anzubieten.

dpa/Bernd Weißbrod)

Stuttgart. Dass im Januar 2024 über die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium und protestierende Landwirte diskutiert wird, hätte man vor einem Jahr kaum ausmalen können. Wieder mal kommen die Impulse für die Landespolitik von außen. Bis Mitte Januar soll die Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) ein Konzept für die Rückkehr zu G9 vorlegen. Bis März muss sich der Landtag mit der Volksinitiative dazu befassen.

Aber damit nicht genug: Das Thema soll eingebettet werden in eine allgemeine Schulreform hin zu mehr praxisbezogenem, Verständnis fördernden Unterricht. Und noch am besten in einem parteiübergreifenden „Schulfrieden“ aus Grünen, CDU, SPD und FDP, damit die neuen Strukturen auf Jahrzehnte stabil bleiben. Und nicht zu vergessen: Absolute Priorität haben die Grundschulen. Darin sind sich alle Parteien einig.

Die G9-Debatte soll nicht überfrachtet werden

Dagegen ist die Quadratur des Kreises eine leichte Fingerübung. Man sollte die Debatte auch nicht überfrachten mit unerfüllbaren Erwartungen. Bei G9 muss schnell entschieden werden – sonst droht, mit einem Volksentscheid jeder Handlungsspielraum verloren zu gehen. Keine Zeit also für Hinhaltetaktik. Das Zeitfenster ist eng. Im Frühsommer wird der Wahlkampf für die Kommunal- und Europawahl und OB-Wahlen die Szenerie dominieren, im Herbst werden mit den Nominierungsversammlungen die Weichen für die Bundestagswahl 2025 gestellt. Will man einen Konsens, muss das schnell geschehen.

Die Stimmung kann schnell überkippen

Und das zweite unerwartete Thema, die Bauernproteste gegen die Berliner Agrardiesel-Subventionskürzung, zeigt, wie unberechenbar die politische Landschaft ist. Der Ärger der Bürgerschaft kann schnell überkippen und die Agenda bestimmen. Die finanziellen Spielräume werden kleiner, die jüngsten Steuerschätzungen werden den Finanzminister Danyal Gayaz (Grüne) zu noch mehr Haushaltsdisziplin zwingen. Eigentlich müsste der Staat in der Krise investieren oder Steuern senken, wie bei der Grunderwerbssteuer. Doch dafür fehlen die Spielräume.

Und dann ist da auch noch die Energiewende, die mit nur 15 neuen Rotoren im Jahr 2023 im Südwesten äußerst schleppend voran kommt. Ebenso der zähe Kampf gegen den Bürokratieabbau. Auch hier muss das Jahr 2024 zum Wendepunkt werden, sollen diese mit viel Elan verkündeten Projekte nicht versanden.

Die Fraktionen haben sich i n den Klausurtagungen aufgestellt. Die Grünen setzen unter Fraktionschef Andreas Schwarz darauf, die G9-Debatte irgendwie zu überstehen und mit solider Sacharbeit zu punkten: Erleichterungen für Fachkräfte, 200 000 grüne Jobs. Die ungelöste Frage, wer 2026 Winfried Kretschmann folgt, lähmt Partei und Fraktion. Cem Özdemir kämpft wie Siegfried gegen den Drachen im Sturm der Proteste , lässt aber seine Zukunft offen.

CDU, SPD und FDP treten geschlossen auf

Die CDU versammelt sich hinter dem Partei- und Fraktionschef Manuel Hagel, der zum dritten Mal Vater geworden ist. Der 35-Jährige gewinnt sichtbar an Statur, nützt die Proteste der CDU-Kernklientel als Rückenwind, um dennoch windschnittig weiter mit mit den Grünen zu regieren. Und er grenzt sich noch deutlicher zur AfD ab, die durch die fehlende Distanzierung gegenüber den rassistischen „Remigrationsplänen“ immer stärker im Abseits steht.

Und was macht die Opposition? Die SPD unter Andreas Stoch legt dort den Finger in die Wunde, wo „der Baum brennt“, wie er sagt: Unterrichtsausfall, Scheitern der Wohnungsbau-Allianz, mehr Tempo bei G9. Und signalisiert, bei einem Bildungspakt mitzumachen. Mit einem solchen Format könnten die Sozialdemokraten ebenso wie die FDP wenigstens endlich wieder konkret sichtbare Bildungspolitik gestalten.

Bereiten Konsensgespräche neue Wege vor?

Die Liberalen hoffen, mit einer Deutschlandkoalition nach endloser Opposition wieder mitregieren zu können. Der Vormann Hans-Ulrich Rülke hofft sogar auf Neuwahlen, falls Grün-Schwarz an den inneren Widersprüchen zerbricht. Sein Hauptgegner, Innenminister Thomas Strobl, tritt ins zweite Glied – mit Hagel kann Rülke deutlich besser. Er stellt daher allzu wilde Angriffe auf die Union ein, konzentriert sich auf die Grünen. Das Signal ist klar: An ihm, Rülke, soll eine erneute Regierungsbildung nicht scheitern. Vielleicht ebnen Konsensgespräche zur Bildung den Weg.

Entscheidend wird sein, das Vertrauen in die Lösungskompetenz der Politik wieder herzustellen. Bei der Bildung, der Energiewende, Migration beim bezahlbaren Wohnen. Nur damit kann ein weiterer Durchmarsch der AfD bei den Wahlen 2024 und 2025 aufgehalten werden.

Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

0711 66601 - 293

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