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Wie geht es in der G-9-Debatte jetzt weiter?

Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat Freund und Feind mit einem „Bürgerforum“ zum achtjährigen Gymnasium überrascht. Parallel läuft der Volksantrag der Initiative „G 9 jetzt“, der zum Volksentscheid führen könnte – wie passt das zusammen? 
Leere Stühle im Klassenzimmer

Wie es in den Klassenzimmern von Baden-Württembergs Gymnasien künftig weitergehen könnte – in diese Debatte kommt nun Bewegung. Foto: Pexels/Pixabay

Pexels/Pixabay)

STUTTGART. Die zwei Frauen, die seit Monaten die Landespolitik in Atem halten, wissen nicht so recht, was sie von der Sache halten sollen. Die Ankündigung des Regierungschefs, in Sachen G 9 einen Bürgerdialog zu starten, sei „wie das Angebot eines Berliners mit Puderzucker, in dem Senf drin ist“. Auch die Landespresse staunte nicht schlecht, als das Kabinett am Dienstagvormittag den Weg frei machte für ein neues Verfahren.

Es war interessanterweise nicht das eigentlich zuständige Kultusministerium, sondern die Staatskanzlei selbst, welche die Mitteilung verschickte. Die Ministerin Theresa Schopper (Grüne), bekanntlich wie Kretschmann keine Anhängerin der Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium, ließ dann auch mitteilen: „Die großen Herausforderungen in unserem Bildungssystem liegen im vorschulischen und im Grundschulbereich.“ 

Es war also der Regierungschef selbst, der Bewegung in die Sache gebracht hat. „wir nehmen seit einigen Jahre war, dass offenbar eine sehr deutliche Mehrheit der Menschen im Land weg von G 8 wollen. Das gleiche gilt für Lehrer und Schulleiter. Das er selbst davon wenig hält, machte er in der Landespressekonferenz erneut klar: Die Debatte sei „verengt“ und die Belastung der Schüler in der Mittelstufe sei nur „gefühlt“. Aber er ließ auch mitteilen: „Wir gehen als Landesregierung offen in das Beteiligungsverfahren.“

Es bewegt sich also etwas. Den Grund benannte der 75-jährige Grünenpolitiker gleich mit: den Volksantrag der Initiative „G 9 jetzt BW„, der von den beiden Müttern Feller und Plesch-Krubner angestoßen wurde. „Wir hören, dass die Initiatoren die Unterschriften zusammen haben“, sagte Kretschmann, „dann müssen wir sowieso diskutieren.“

Daher also jetzt ein Bürgerforum – das aus 60 bis 70 zufällig ausgewählten Bürgern bestehen soll. Bewusst auch mit allen Bildungsabschlüssen, nicht nur mit Abitur. Diese „dialogische Bürgerbeteiligung“ propagiert die grün-schwarze Landesregierung schon länger – die Staatsrätin Barbara Bosch etwa empfiehlt diese Foren mit zufällig ausgewählten Bürgern Kommunen, um die „schweigende Mehrheit“ zu aktivieren.

Porträt Winfried Kretschmann
Foto: Lena Lux

„Offenbar will eine deutliche Mehrheit der Menschen im Land weg von G 8.“

Winfried Kretschmann, Ministerpräsident

Die spannende Frage ist: Handelt es sich um einen strategischen Vorstoß, um der G-9-Initiative den Wind aus den Segeln zu nehmen? Bürgerforum und G 9 parallel zum Volksantrag – zumal die Gruppe, anders als von Kretschmann gemeldet, erst 20 000 der benötigen knapp 40 000 Unterschriften beisammen hat. Ist dieses Quorum von 0,5 Prozent der Wahlberechtigten erfüllt, muss der Landtag den Antrag beraten.

Immerhin freuen sich Fellner und Plesch-Kubner: „Wir haben es geschafft, das Thema G 9 in die Landesregierung zu tragen und zur Chefsache zu machen.“ Allerdings herrscht Verwirrung, wie beide Prozesse nebeneinander laufen sollen. Der Philologenverband spricht gar von einem „trojanischen Pferd“ und fragt: „Will man ein anderes Votum konstruieren?“ 

Das Ringen um die Deutungshoheit geht also weiter. Die G-9-Initiative wird ihren Volksantrag jedenfalls weiter aufrecht erhalten – bis 12. November müssen die Unterschriften beisammen sein. Dann muss der Landtag beraten. Lehnt der den Gesetzesentwurf ab, müssen innerhalb von drei Monaten 780 000 Unterschriften für ein Volksbegehren gesammelt werden – dann käme es zur Volksabstimmung.

Klar ist: Dieses Szenario scheut vor allem der grüne Teil der Landesregierung wie der Teufel das Weihwasser,  denn da rechnen alle mit einer klaren Mehrheit für G 9, also die Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium.

Soll das neunjährige Gymnasium in Baden-Württemberg wieder eingeführt werden?
  • Ja 83%, 616 Stimmen
    616 Stimmen 83%
    616 Stimmen - 83% aller Stimmen
  • Nein 17%, 122 Stimmen
    122 Stimmen 17%
    122 Stimmen - 17% aller Stimmen
Stimmen insgesamt: 738
15. Juni 2023 - 22. Juni 2023
Die Umfrage ist beendet.

Erst im Herbst soll das Bürgerforum der Landesregierung beginnen. Zunächst werden Themen und Fragestellungen debattiert – dabei soll die G-9-Initiative einbezogen werden. Die Initiatoren soll auch in der ersten Phase des Forums als „Experten“ angehört werden – neben vielen anderen.

Eines ist klar: Was immer das Bürgerforum beschließt, es ist nur ein Ratschlag. „Ein Bürgerforum rät, Beschlüsse fassen die verfassungsmäßigen Organe“, stellt der Ministerpräsident klar, „selbstverständlich kann auch eine Regierung gegen das Votum regieren.“ Das Heft des Handelns liege immer bei der Regierung und den sie tragenden Fraktionen.

Auch das lässt die Initiative skeptisch bleiben. „Es ist eigentlich viel zu spät für Bürgerbeteiligung“, sagt Anja Plesch-Krubner, „die Argumente sind seit Jahren bekannt.“

Rafael Binkowski

Chefredakteur des Staatsanzeigers

0711 66601 - 293

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Lesermeinungen

    von Kristian Raue
    Ich habe 4 Kinder, alle mussten bzw. müssen G8 ertragen,. Sie sind immer mit guten Noten nach Hause gekommen, aber außer Hausaufgaben und Nachmittags Unterricht war nicht viel Zeit für das, was ein Kind in dieser Zeit auch erleben sollte, nämlich andere Aktivitäten, Sport und Zeit für sich. Der Stress war bzw. ist riesig, Und dann ist man mit 17 fertig und macht erst einmal ein Pausen-Jahr um sich zu erholen. Was für ein Unsinn. Und das alles nur, weil ein in die Jahre gekommener Dickkopf seine Ideologie-Meinung durchsetzen will und sich dem Willen der Mehrheit der Eltern verschließt. Zeit für einen neuen Ministerpräsidenten mit klarem Kopf!
    von Mirjam Bohr-Wiens
    Ich habe 3 Kinder in der 1., 5. und 8. Klasse (G8). Mein Sohn wird im Sommer auf G9 wechseln, was eine schwierige Entscheidung war, aber immerhin kennt er dort Leute und ist ein offener Mensch. Meine Tochter ist menschlich sehr glücklich in ihrer 5. Klasse, aber auch ich sehe, dass wir Hobbys werden streichen müssen (oder aber schlechtere Noten in Kauf nehmen oder die Familienzeit am Wochenende opfern - oder alles zusammen). Längst spielt nicht mehr die Intelligenz eine Rolle, sondern lediglich, wie viel "Freizeit" man dem Gymnasium/Abitur opfert. Es ist immer die Frage, zu welchem Preis. Aber egal, welchen Weg man geht: Einen Preis zahlt man immer. Wenn das Kind an der Realschule unterfordert ist und gemobbt wird, weil es "zu gut" ist, ist dies nicht gut. Wenn man die Schule wechselt, um durch die Hintertür eine Art G9 zu machen, ist dies mit einem Bruch der Vita und evtl. einem erhöhten Aufwand für die 2. Fremdsprache (z.B. Spanisch statt Latein) verbunden und raubt ggf. Möglichkeiten für später (z.B. Latinum). Lässt man das Kind alleine ewig durch die Gegend zu einem G9 fahren (so man dort überhaupt einen Platz bekäme), tut ihm das menschlich nicht gut. Lässt man es am Wochenende lernen, leidet die Familie. Streicht man Hobbys, leidet die Persönlichkeit. Lernt man nicht so viel wie die Altersgenossen, rutscht man notenmäßig ab - schlecht für's Selbstwertgefühl. In diesem System ist es wie die Quadratur des Kreises. Darum unterstütze ich mit vollem Herzen den Volksantrag "G9 Jetzt BW", der genau dies fordert: WAHLFREIHEIT! Und zwar echte, ohne die ganzen "Nebenwirkungen" (s.o.), keine auf dem Papier, die oft propagiert wird ("wieso, wir haben doch alles, man kann doch wählen, man kann doch Realschule + BG, man kann doch auf die G9-Modellschule etc."). Im Prinzip kann man sich oft nur zwischen Pest und Cholera entscheiden, und das tut mir als Mutter sehr weh. Warum hört uns Eltern niemand zu? Hallo, Herr Kretschmann, ich würde gerne mit Ihnen darüber reden! Und: Meine Kinder gehörten zu den Klassenbesten in der Grundschule, das sind also keine Wackelkandidaten, die "auf dem Gymnasium eigentlich nichts verloren haben". Nur möchten sie Freizeit, Ehrenamt, Musik, Sport und auch mal Bilder malen, Geschichten schreiben, Freunde treffen, in's Freibad gehen,...

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