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„Wir sollten gute Argumente liefern, warum die Menschen für die Windkraft vor Ort sein sollten“

"Windkraftanlagen sind gut - aber nicht vor meiner Haustür" - mit dieser Einstellung einiger Bürger haben Kommunen oft zu kämpfen. Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags gibt Tipps, wie mehr Anreize für Bürger und Kommunen geschaffen werden können.

Um den Ausbau der Windkraft vor Ort zu fördern, schlägt der Gemeindetag ein Anreizsystem vor, von dem Kommunen und Bürger profitieren.

dpa/ Jochen Tack)

STUTTGART. Der Gemeindetag Baden-Württemberg fordert mehr Anreize für die Kommunen und Bürger, damit sie Anlagen für die Gewinnung von Energie aus erneuerbaren Energien wie Windparks und Freiflächensolaranlagen vor Ort akzeptieren. Im Gespräch mit dem Staatsanzeiger erläutert Gemeindetagspräsident Steffen Jäger die Vorschläge.

Staatsanzeiger: Standort-Kommunen für Windkraftanlagen erhalten Gewerbesteuereinnahmen, können von Pachteinnahmen profitieren sowie neuerdings auch freiwillige Zahlungen der Betreiber erhalten. Warum reicht das aus Sicht des Gemeindetags nicht aus?

Steffen Jäger: Wir sind der Ansicht, dass wir gute Argumente liefern sollten, warum die Menschen für die Windkraft, für Erneuerbare-Energien-Anlagen vor Ort sein sollten. Denn auch wenn viele Menschen abstrakt für den Ausbau der erneuerbaren Energien sind, erleben wir, wenn es konkret wird häufig die Sankt-Florians-Haltung. Das heißt: Die Anlage darf überall stehen, aber bitte nicht vor meiner Haustür. Wir haben uns deshalb gemeinsam mit den Gemeinden weitere Anreize überlegt, um diese Grundstimmung ins Positive zu verändern. Wir brauchen weitergehende Anreize, nicht allein für die Kommunen, sondern auch für die Bürger selbst.

Steffen Jäger, Präsident des Gemeindetags

Foto: Gemeindetag Baden-Württemberg

Sie setzen sich dafür ein, dass Gemeinden, die übermäßig viel Windkraft- oder Freiflächensolar-Anlagen haben, mehr Flexibilität bei der Ausweisung von Wohn- und Gewerbeflächen bekommen.

Versetzen wir uns doch in die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger in solchen vorrangig ländlichen Kommunen. Dort haben wir sehr starke Restriktionen, wenn es darum geht, ob überhaupt noch zusätzliche Flächen ausgewiesen werden können. Viele aus der Perspektive der Bürger gewünschte Projekte scheitern dran, dass dies rechtlich nicht möglich ist. Parallel dazu haben wir dann den notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energien, der zwangsläufig mit einer zusätzlichen Flächeninanspruchnahme verbunden ist.

Laut Umweltministerium ist aber der Flächenverbrauch für Infrastrukturen für den Klimaschutz grundsätzlich anders zu bewerten als Wohn- und Gewerbegebiete. Auch bei der Flächenversiegelung gibt es Unterschiede.

Wir können den Menschen nicht erklären, dass es plötzlich einen guten Flächenverbrauch für erneuerbare Energien und einen schlechten Flächenverbrauch für die Wohnentwicklung gibt. Wir sehen in unserem Vorschlag eine Weiterentwicklung des geltenden Rechtsrahmens. Dort wo eine Entwicklung für Erneuerbare-Energien-Anlagen stattfindet, sollten wir auch weitere Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen.

Sie haben in ihrem Impulspapier auch nochmals einen weiteren Vorstoß bei der Gewerbesteuerzerlegung gemacht. Warum das? Standortgemeinden von Erneuerbaren-Energien-Anlagen können doch neuerdings 90 Prozent der Steuereinnahmen aus dem Betrieb dieser Anlagen erhalten.

Diese spezielle Gewerbesteuerzerlegung gilt derzeit nur für Gesellschaften, die ausschließlich Erneuerbare-Energien-Anlagen betreiben. Für Betriebe, die weitere Geschäftsfelder haben, gilt dieser Zerlegungssatz nicht. Wir wollen, dass auch in diesen Fällen, die Erträge aus Erneuerbaren Energien nach diesem spezifischen Satz   aufgeteilt werden.

Sie setzen sich auch für Ökopunkte für Erneuerbare-Energien-Anlagen ein. Der Vorstoß ist nicht neu, wurde bislang aber von der Landesregierung stets abgelehnt. Was versprechen Sie sich davon?

Diese Ökopunkte für die erneuerbaren Energien könnten als Ausgleich für den Flächenverbrauch der Anlagen und die Wege zu diesen Anlagen eingesetzt werden. Denn wo sollen die notwendigen Ausgleichsmaßnahmen herkommen? Wir haben ein Waldumwandlungsverbot in Baden-Württemberg, für Streuobstwiesen haben wir einen erhöhten Schutz. Also bleibt in der Regel nur der reflexmäßige Blick auf die landwirtschaftlichen Flächen. Diese haben aber auch einen hohen Wert für die Autarkie unserer Gesellschaft und die landwirtschaftliche Produktion. Das macht nun auch der Ukraine-Krieg nochmals deutlich. Es ist daher wichtig, dass wir über innovative Ansätze sprechen, mit denen nicht noch zusätzliche Fläche für Ausgleich beansprucht werden muss.

Wenn Windparks und Windkraftanlagen geplant werden, finden sich schnell auch Gegner. Auch wenn viele Menschen grundsätzlich für den Ausbau erneuerbarer Energien sind, sieht es häufig anders aus, wenn die Anlagen quasi vor der eigenen Haustür stehen.

Wir nehmen auch wahr, dass, sobald es um konkrete Windräder vor Ort geht, es stets eine Gruppe von Verantwortungsträgern gibt, die sagen: Ja, diese Windräder sind notwendig. Dann gibt es eine große schweigende Mehrheit, die hoffentlich sagt, wenn die Windräder kommen, ist das in Ordnung. Und dann gibt es leider auch an vielen Orten eine sehr laute und gut organisierte Gruppe, die entschieden gegen die Windenergie und inzwischen auch zunehmend gegen Freiflächensolaranlagen opponiert. Da stellt sich zum einen die Frage, ob die Befürworter der Erneuerbaren Energien tatsächlich die richtigen Instrumente zur Verfügung haben, um den Ausbau der erneuerbaren Energien umzusetzen. Doch in jedem Fall wäre es hilfreich, wenn wir für die Kommunen und die Bürger vor Ort entsprechende Anreize schaffen würden, so dass gerade auch die schweigende Mehrheit sich nicht zurücklehnt, sondern sich bewusst pro Windkraft oder pro Freiflächensolaranlage positioniert, weil die Windkraft für sie und die Kommune konkrete Vorteile bringt.

Was können das für Vorteile sein?

Unsere Vorschläge sehen zum Beispiel vor, dass die Bürger zu einem Festpreis für eine bestimmte Zahl an Jahren vom Anbieter des Windparks vor Ort vergünstigt Strom beziehen können. . Eine andere Möglichkeit sind niederschwellige Bürgerbeteiligungen an solchen Anlagen, so dass die Bürger auch von der Rendite profitieren. Auch sollten die Kommunen oder die Bürger für jede auf ihrer Gemarkung stehende CO2-neutrale Energieerzeugung Zuweisungen aus der CO2-Bepreisung erhalten. Auch ein Pachtpooling ist ein Ansatz. Dann profitiert nicht allein der Grundstücksbesitzer, auf dessen Gelände die Anlage steht von den Pachteinnahmen, sondern auch die umliegenden Grundstücksbesitzer. Auch das trägt zu einem gemeinschaftlichen Zusammenwirken bei.

Mehr über die Einnahmemöglichkeiten von Kommunen aus erneuerbaren Energien lesen Sie im Journal Steuern + Einnahmen des Staatsanzeigers.

Stefanie Schlüter

stellvertretende Redaktionsleitung und Redakteurin Politik und Verwaltung

0711 66601-41

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