Studie zum Wohnungsmarkt

Der Wohnungsmangel wird zum Risiko für die Wirtschaft

Sieben Verbände zusammen mit vier Bausparkassen erhöhen den Druck auf die Landespolitik: Die muss rasch auf die prekäre Lage am Wohnungsmarkt reagieren. Dazu hat das Bündnis eine neue Studie des Pestel-Instituts samt konkretem Fahrplan vorgelegt. Bleibt die Trendwende im Wohnungsbau aus, könnte dies die Südwestwirtschaft gefährden.
Bauarbeiter mit Helm auf Baustelle, Kran hebt Baumaterial, Gerüst im Hintergrund.

Schon jetzt fehlen im Land 192.000 Wohnungen. In 41 von 44 Stadt- und Landkreisen herrscht laut Pestel-Institut ein Wohnungsdefizit oder starker Wohnungsmangel.

IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON)

Stuttgart . Der Wohnungsmangel ist kein vorübergehendes Phänomen – er hat sich zu einem strukturellen Problem entwickelt, das tief in Wirtschaft und Gesellschaft hineinwirkt. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Wohnungsmarkt-Studie des Pestel-Instituts im Auftrag von sieben Verbänden der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft sowie der Arbeitsgemeinschaft Baden-Württembergischer Bausparkassen.

Baden-Württemberg braucht Zuzug von Arbeitskräften

„In Baden-Württemberg hat sich die Lage in den vergangenen Jahren zugespitzt“, warnte Institutsleiter Matthias Günther. Wenn es nicht gelinge, die Neubauzahlen wieder deutlich zu steigern, werde das auch die wirtschaftliche Entwicklung ausbremsen, so der Wissenschaftler. Damit die Wirtschaft läuft, brauche es Günther zufolge ausreichend Arbeitskräfte, die nach Baden-Württemberg kommen. „Trotz der jüngsten negativen Meldungen aus der Industrie suchen viele kleine und mittlere Betriebe nach wie vor Arbeitskräfte“, sagte er. Damit bleibt ein ungebrochener Zuzugsdruck zur Befriedigung der Arbeitskräftenachfrage. Doch der Wohnungsmangel bremse dies aus, warnte er. Ohne Zuwanderung würde die Zahl der Erwerbsfähigen in den kommenden Jahren um über 40.000 Personen pro Jahr absinken, so der Forscher.

Schon jetzt fehlen im Land 192.000 Wohnungen. In 41 von 44 Stadt- und Landkreisen herrscht laut Pestel-Institut ein Wohnungsdefizit oder starker Wohnungsmangel. Nur in den Kreisen Tübingen, Calw und Freudenstadt gilt der Markt derzeit als einigermaßen ausgeglichen. „Selbst stabile Baugenehmigungszahlen würden heute nicht ausreichen“. Denn das Defizit entspreche mittlerweile der Bautätigkeit von rund vier Jahren. Ein Rückstand, der sich nach Meinung der Forscher angesichts niedriger Baugenehmigungszahlen in den kommenden Jahren sogar noch vergrößern dürfte.

Anforderungen an Wohngebäude zurücknehmen, um Baukosten zu senken

Eine der großen Hürden sind die hohen Baukosten. Bei Ein- und Zweifamilienhäusern sind die Kosten nach Bayern bundesweit am zweithöchsten, bei Mehrfamilienhäusern rangiert Baden-Württemberg auf Platz drei hinter Hamburg und Bayern, heißt es in der Studie. Hinzu kommen die hohen Baulandpreise. Die Kaufwerte für „baureifes Land“ sind von knapp 171 Euro/Quadratmeter im Jahr 2008 auf 357 Euro/ Quadratmeter im Jahr 2024 gestiegen. Das zeigen Daten der statistischen Ämter.

Einig ist sich das Wohnungsbündnis darin, dass man die stetig gestiegenen Anforderungen an Wohngebäude wieder zurückfahren muss. „Wir müssen wieder einfacher bauen, mit reduzierten Standards und niedrigeren Kosten“, forderte Iris Beuerle, die Direktorin des Verbands baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen. Sie verwies auf den „Hamburg-Standard“. Ein Konzept der Hansestadt, um die Baukosten zu reduzieren: durch effizientere Planungs- und Bauprozesse, eine Streichung überflüssiger Normen und Standards sowie innovativen Bauweisen.

Mit Nachdruck sprechen sich die Partner auch für eine rasche Senkung der Grunderwerbsteuer aus – insbesondere zugunsten junger Familien. Es gehe dabei um beträchtliche Summen für die Käufer, sagte Gerald Lipka, der Geschäftsführer des Verbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen Baden-Württemberg (BFW).

Landesfinanzminister Danyal Bayaz (Grüne) lehnt Senkung der Grunderwerbsteuer ab

Landesfinanzminister Danyal Bayaz (Grüne) lehnt eine Senkung weiterhin ab und verweist auf die Risiken für den Landeshaushalt. Die Bauwirtschaft Baden-Württemberg macht dagegen eine andere Rechnung auf: „Untersuchungen zeigen, dass elf Prozent mehr Wohnungen gebaut werden könnten, wenn man die Grunderwerbsteuer halbieren würde“, sagte Verbandschef Thomas Möller dem Staatsanzeiger. Die damit angestoßene zusätzliche Bautätigkeit würde auch höhere Steueraufkommen generieren und so die Einnahmelücke weitgehend kompensieren, sagte er. Bei der Grunderwerbsteuer zeigte sich Möller optimistisch: „Das Wahlprogramm der Grünen ist noch nicht veröffentlicht, aber wir gehen davon aus, dass dazu etwas drinstehen wird“, sagte er.

Das Bündnis drängt das Land auch, mehr Fördermittel bereitzustellen. Pestel-Forscher Günther verwies auf eine wachsende soziale Schieflage. So gebe es nur noch rund 55.000 Sozialwohnungen im Land, während annähernd 1,3 Millionen Haushalte Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein hätten. Selbst viele Haushalte mit normalen Einkommen könnten sich in den Ballungsräumen kaum noch eine Wohnung leisten. „Das ist kein Randthema – das betrifft die Mitte der Gesellschaft“, so Günther.

Land soll Mittel im sozialen Wohnungsbau aufstocken

Den Partnern zufolge bedürfe es daher einer 100-prozentigen Ko-Finanzierung der Bundesmittel im sozialen Wohnungsbau durch das Land. Während andere Bundesländer wie Schleswig-Holstein, Hamburg oder Nordrhein-Westfalen mehr eigene Mittel in den sozialen Wohnungsbau geben, als sie vom Bund bekommen, habe sich Baden-Württemberg über Jahre eher an das in entsprechenden Verwaltungsvereinbarungen mit dem Bund festgesetzte Mindestmaß gehalten. Selbst für 2025 sei keine komplette Ko-Finanzierung zu erkennen. Angesichts eines Wohnungsmangels, der die wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt, ist mindestens eine eigene Finanzierung in Höhe der vom Bund gewährten Mittel wünschenswert.

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