Stadtentwicklung

Gewerbegebiete – die blinden Flecken der Stadtplaner

Gewerbegebiete am Stadtrand haben häufig ein sehr nüchternes Erscheinungsbild. Funktionale Flachbauten reihen sich meist ohne besondere Ansprüche an die Qualität aneinander, umgeben von vernachlässigten Brachflächen. Selten lassen sich hier langfristige Konzepte ausmachen. Ausgerechnet hier sehen Architekten große Potenziale, um die Stadtentwicklung voranzubringen.

Gewerbegebiete haben nicht nur in ästhetischer Hinsicht oft große Defizite groß. Architekten fordern, sie gezielt zu entwickeln, um Flächen besser zu nutzen.

dpa/Westend61/lyzs)

Stuttgart . Gewerbegebiete waren in den vergangenen Jahrzehnten Sinnbild für wachsenden Wohlstand. Doch die Entwicklung birgt in der Rückschau Schattenseiten. Denn beim Ausweisen von Gewerbegebieten wurden enorme Flächenressourcen verbraucht, die heute so nicht mehr gebraucht werden. So entstanden etwa überdimensionierte Parkplätze. Auch in ästhetischer Hinsicht sind die Defizite groß. „Doch gerade ihre geringe soziale und bauliche Dichte, ihre baukulturelle Irrelevanz und ihre geringer Lebenszyklus schreien nach Weiterentwicklung“, schreibt Gabriele Renz in einem Beitrag der Architektenkammer Baden-Württemberg für das „Deutsche Architektenblatt“. Mit etwa 20 Prozent der Siedlungsfläche seien sie die stille Reserve der Kommunen.

„Wir wollen Gewerbebetriebe nicht verdrängen“

Doch die Areale aus Handel, Dienstleistung und produzierendem Gewerbe sind meist blinde Flecken auf der Landkarte von Architekten, Stadtplanern und den politisch Verantwortlichen, sagt Britta Hüttenhain, Direktorin des Städtebau-Instituts an der Universität Stuttgart und Mitglied im Kompetenzteam „Arbeitswelt“ der Architektenkammer. Viele Kommunen hätten diese Areale kaum auf dem Schirm. Hüttenhain hat daher untersucht, wie sich Gewerbegebiete in produktive Stadtquartiere wandeln lassen.

Großes Flächenressourcen bieten aus ihrer Sicht die in den 1950er bis 1990er Jahren entstandenen Gebiete an den Stadträndern. Sie verfügen über eine geringe Dichte mit Blick auf die Bebauung und sind eher autoorientiert konzipiert worden. „Wir wollen nicht Gewerbe verdrängen“, stellt Hüttenhain klar. Ganz im Gegenteil: es gehe um eine Transformation des Vorhandenen hin zu mehr Qualität. Im Mittelpunkt steht die Frage, wie Flächen anders genutzt werden können, besonders Parkflächen.

Das Forschungsprojekt „GePro“, an der die Universität Stuttgart beteiligt war, sieht etwa schon in kleineren Maßnahmen wie gemeinsamen Pausenbereichen einen Fortschritt. Dabei würden große Konzerne zunehmend innovative Weg gehen, um mehr Urbanität zu erreichen. Das Immobilienmanagement von Bosch, Daimler oder Trumpf etwa zeige, wie die eigene Rationalität einen Wandel der Gebiete vorantreibe. Die Big Player zielen auf eine höhere Attraktivität ihrer Standorte schon allein wegen der Bindung von Fachkräften. Denn für die Beschäftigten sei die örtliche Vernetzung und Integration in ein lebendiges Umfeld zweifelsohne von Vorteil. Dabei würde auch Wohnungen entstehen – wenn auch nur für den Eigenbedarf.

Doch es gibt hohe Hürden für einen Wandel, erklärt Forscherin Hüttenhain. Denn die Flächen, die Entwicklungsmöglichkeiten bieten, sind in aller Regel nicht im Besitz der jeweiligen Kommune. Deshalb schlägt die Städtebau-Expertin vor, Pläne zu erarbeiten und kooperative Prozesse mit den jeweiligen Eigentümern anzustoßen – oft sind das die Unternehmen selbst.

„Man braucht Ideen für den Zeitpunkt, wenn sich etwas entwickelt“, betont sie. Das könne dann sein, wenn die Nachfolge in einem Unternehmen neu zu regeln ist oder wenn sich Standortanforderungen in Unternehmen ändern, die eine Anpassung des Bebauungsplans erforderten.

In einem Gewerbegebiet im Karlsruher Stadtteil Grünwinkel hat man die Transformation über ein Sanierungsgebiet angestoßen. Das bietet für die Unternehmen den Anreiz, Fördermittel zu erhalten. Niedrigschwelliger gedacht, könne man als Kommune auch ein Gebietsmanagement in Form eines „Kümmerers“ installieren, um Impulse für mehr Qualität zu setzen, schlägt Hüttenhain vor.

Stuttgart versucht seine Gewerbegebiete zu organisieren

So wie in Stuttgart. Um die großen Gewerbegebiete für Unternehmen attraktiver zu gestalten, setzt die Landeshauptstadt auf das Instrument des kooperativen Gewerbegebietsmanagements. Häufig fehle vor Ort eine klare Vision, so die Stadt. Das soll anders werden. Mit räumlichen Masterplänen, einer städtebaulichen Qualifizierung und der Anpassung der Infrastruktur. Dabei müssen auch die Unternehmen ihre Denkweise ändern – weg vom Alleinagieren wollen hin zu mehr Miteinander. Sollen die Standorte zeitgemäß weiterentwickelt werden, müssen die Kommunen auf Synergieeffekte setzen und Unternehmen zusammenbringen. So könnte aus zwei großen Firmen-Parkplätzen etwa auf weniger Fläche ein gemeinsames Parkhaus entstehen.

„Im Gegenzug entstehen dafür plötzlich Flächen, die ein Miteinander möglich machen“, erklärt Hüttenhain. Sie wirbt dafür, vorhandene Flächenreserven anders zu nutzen – etwa für Kantinen, die für mehrere Unternehmen zugänglich sind oder für einen gemeinsam genutzten Betriebskindergarten, den sich eine Firma allein nicht leisten kann.

Markus Weismann, ebenfalls im Kompetenzteam „Arbeitswelt“ der Architektenkammer, sieht im Wandel hin zu produktiven Standquartieren riesige Potenziale schlummern: „Deutschlandweit gibt es 62 000 Gewerbegebiete. Das Flächenpotenzial, um sie zu entwickeln, liegt bei rund 500 000 Hektar – eine Fläche, doppelt so große wie das Saarland.“

Große Flächenressourcen bieten die in den 1950er bis 1990er Jahren entstandenen Gebiete an den Stadträndern, sagt Britta Hüttenhain, Direktorin des Städtebau-Instituts an der Universität Stuttgart. Foto: Brigitta Stoeckl
Marcus Dischinger

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