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Erosion der Tarifbindung

Gewerkschaften starten Kampagne für Tarifwende

Die Tarifbindung bröckelt: Im industriell starken Baden-Württemberg ist nur noch jeder Zweite nach Tarif beschäftigt. Zugleich sinkt die Zahl tarifgebundener Betriebe dramatisch. Die Gewerkschaften schlagen Alarm und wollen mit einer Tarifwende-Kampagne gegensteuern.
Drei Männer im Gespräch, zwei Frauen essen vor einem Infostand im Freien.

DGB-Landeschef Kai Burmeister (Mitte) tauscht sich beim Kampagnen-Start aus mit FDP-Chef Hans Ulrich Rülke (links) und Justizstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU).

DGB)

Stuttgart . Tarifverträge sind ein hohes Gut davon ist Südwestmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Barta überzeugt. Gerade im immer härter werdenden globalen Wettbewerb seien sie ein Stabilitätsfaktor und auch ein Wettbewerbsvorteil. „Schließlich sorgen sie für betrieblichen Frieden und verschaffen den Unternehmen verlässliche Kalkulations- und Planungssicherheit.“

Doch seit Jahren geht die Zahl tarifgebundener Unternehmen zurück, ebenso wie die Zahl der Tarifbeschäftigten. „Diesen Trend müssen wir umkehren“, sagt Kai Burmeister, Vorsitzender des DGB Baden-Württemberg. Deshalb haben die Gewerkschaften jetzt eine „Tarifwende-Kampagne“ gestartet.

Im Jahr 2023 war im Südwesten nur noch wenig mehr als jeder zweite Beschäftigte tarifvertraglich abgesichert, im Jahr 2000 waren es noch 68 Prozent. Einen zentralen Treiber dieser Entwicklung sieht der DGB in der Tarifflucht vieler Arbeitgeber.

Tarifbindung trifft auf Widerstand der Arbeitgeber

„Wir erleben, dass sich etablierte Unternehmen aus der Tarifbindung verabschiedet haben und sich Unternehmen wie Lieferando und Onlinehändler, die neu auf den Markt kommen, zugleich nicht tarifvertraglich binden wollen“, erklärte Burmeister. Die Durchsetzung von Tarifverträgen trifft immer öfter auf offenen Widerstand der Arbeitgeber. Das zeigen prominente Beispiele wie Amazon und Tesla. Selbst traditionell tarifstarke Branchen wie der Einzelhandel oder die Metall- und Elektroindustrie sind betroffen.

„Es treten immer noch Tausende Menschen einer der DGB-Gewerkschaften bei“, sagt Burmeister. Dennoch ist der Mitgliederschwund unverkennbar. Mit der Tarifwende-Kampagne will der DGB-Chef den Beschäftigten die Vorteile von Tarifverträgen aufzeigen: „Das Einkommen ist höher und sicherer als ohne Tarifvertrag. 3000 Euro mehr netto im Jahr, 90 Minuten kürzere Arbeitszeiten – das sind die klaren Vorteile, die auch Beschäftigte schätzen“, sagt er. Für Burmeister gilt das umso mehr in Zeiten, in denen Unternehmen Jobs abbauen und den Beschäftigten Einkommensverluste drohen.

Anteil der Betriebe und Beschäftigten mit Tarifbindung (Angaben in Prozent).
Hans-Böckler-Stiftung / Grafik: Herrgoß)

Der Vorsitzende der Landes-FDP, Hans-Ulrich Rülke, der dem Start der Kampagne in Stuttgart beiwohnt, pflichtet dem DGB-Chef bei: „Es hat sich bewährt, dass sich die Tarifpartner an einen Tisch setzen und gemeinsam Löhne und Arbeitsbedingungen aushandeln. Das bringt uns sozialen Frieden und letztlich auch wirtschaftlichen Wohlstand.“ In Ländern, in denen das nicht so sei, habe man sehr viel mehr Streiktage, und daran könne die Wirtschaft kein Interesse haben. Dennoch gehen die Meinungen auseinander, sobald es konkret wird. Anders als die Liberalen unterstützt der DGB die Pläne von Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) für ein Bundestariftreuegesetz.

Damit sollen öffentliche Aufträge nur noch an Unternehmen vergeben werden, die Tarifverträge anwenden. Der Druck soll helfen, Teile der Wirtschaft wieder in die Tarifpartnerschaft hereinzuholen, um so die Erosion der Tarifbindung aufhalten zu können.

In diesem Sinne drängt der DGB auch auf Landesebene darauf, das Landestariftreuegesetz auszuweiten. Danach müssen sich Unternehmen bei der Abgabe von Angeboten für öffentlicher Aufträge im Bau- und Dienstleistungsbereich ab einem Auftragswert von 20 000 Euro (ohne Umsatzsteuer) schriftlich zu tariftreuem Verhalten verpflichten. Der Geltungsbereich müsse jedoch deutlich erweitert werden, sodass es für alle öffentlichen Aufträge des Landes gilt, sagt Burmeister.

Arbeitgeber bauen auf Attraktivität von Tarifverträgen

Doch dagegen gibt es Widerstände „Viele KMU und Start-ups werden sich nicht auf komplexe Nachweise und unterschiedliche Lohnbedingungen einlassen. Das führt zu geringerer Beteiligung an Ausschreibungen und höheren Kosten für staatliche Auftraggeber“, warnt etwa Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut (CDU).

Auch die Arbeitgeber halten diesen Weg für falsch. „Es liegt einzig in der Hand der Sozialpartner, für eine stärkere Attraktivität der Tarifverträge und damit der Tarifbindung zu sorgen“, sagt Barta.

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