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Arbeitnehmer

Stellenabbau: Jetzt trifft es auch die Hochqualifizierten

Erstmals seit gut 15 Jahren werden für August wieder mehr als 300 000 Arbeitslose im Südwesten erwartet. Anders als bisher sind von Entlassungen nun auch hochqualifizierte Arbeitnehmer betroffen. Die konjunkturelle Schwäche trifft vor allem Fachkräfte aus der Industrie.
Mann in blauem Anzug mit verschränkten Armen vor Glasfassade.

„Den Unternehmen geht die Luft aus und sie kommen nicht mehr umhin, ihr Personal anzupassen", sagt Oliver Barta, Verbandschef der Unternehmer.

Dominik Obertreis)

Stuttgart . „Die Arbeitslosigkeit ist in den Stammbelegschaften angekommen“, sagt Martina Musati, die Chefin der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit. Überproportional stark seien hoch-qualifizierte Kräfte in der Industrie von Jobverlusten betroffen.

Unternehmen haben sich lange gegen Entlassungen gestemmt

Dies bestätigt auch Oliver Barta: „Der Personalabbau betrifft mittlerweile alle Qualifikationen“, sagt der Hauptgeschäftsführer der Unternehmer Baden-Württemberg (UBW). „Die Unternehmen haben lange versucht, Entlassungen zu vermeiden, etwa durch den Abbau von Überstunden auf den Zeitkonten“, erklärt er. Auch die Zahl der Kurzarbeitsfälle sei zuletzt deutlich gestiegen, obwohl dieses Instrument wegen seiner Kosten nicht die erste Wahl sei. „Jetzt müssen wir allerdings feststellen, dass diese Instrumente ausgeschöpft sind“, sagt Barta. „Den Unternehmen geht gerade die Luft aus und sie kommen nicht mehr umhin, ihr Personal anzupassen“, sagt er.

Seit sechs Jahren reiht sich eine Krise an die nächste. Laut Südwestmetall sind allein in Baden-Württemberg seit 2019 über 50 000 Industriearbeitsplätze verloren gegangen. Etwa die Hälfte davon im letzten Jahr.

Diese Entwicklung spiegelt sich auch bundesweit wider im aktuellen Einkaufsmanager-Index: Die Beschäftigung in der größten Volkswirtschaft des Euroraums ist nun den fünfzehnten Monat in Folge rückläufig. Zuletzt hat sich der Stellenabbau nochmals beschleunigt – insbesondere in der Industrie.

Diesen Trend kann auch der viel beschworene Fachkräftemangel kaum abfedern. „Besonders Großunternehmen investieren stark in die Qualifizierung ihrer Belegschaften“, erklärt Barta. „Doch die Fachkräfte, die fehlen, sind nicht zwangsläufig jene, die aktuell freigesetzt werden – und schon gar nicht in den produktiven Bereichen, in denen die Auslastung fehlt.“ Fachkräfteengpässe bestehen weiter, aber sie betreffen andere Berufsgruppen als jene, die aktuell freigesetzt werden.

„Das ganze Ausmaß der Katastrophe sehen wir eigentlich gar nicht“, ergänzt UBW-Sprecher Volker Steinmaier. Denn aktuell würden viele Babyboomer in den vorgezogenen Ruhestand geschickt und tauchten in der Arbeitslosenstatistik erst gar nicht auf. Ihre Stellen blieben oft unbesetzt.

Im Verband sieht man die Stimmung in den Unternehmen kippen. „Die Vorschusslorbeeren für die schwarz-rote Koalition gehen langsam aber sicher zur Neige“, sagt Barta. Er fordert eine Senkung der Lohnzusatzkosten unter die 40-Prozent-Marke, Entlastungen bei den Energiekosten und endlich spürbare Fortschritte beim Bürokratieabbau. „Das ist es, was wir jetzt von der Regierung erwarten. Die Schonzeit ist vorbei – es braucht jetzt klare und schnelle Maßnahmen.“

Der Wettbewerbsdruck auf deutsche Unternehmen dürfte unterdessen weiter steigen. China bietet in traditionellen Industriebereichen zunehmend hochwertige Produkte zu günstigen Preisen. Und nach den schmerzhaften Zollerhöhungen plant US-Präsident Donald Trump bereits den nächsten Coup. Er will die Unternehmenssteuern auf 15 Prozent senken – in Deutschland würden sie mit rund 30 Prozent dann doppelt so hoch liegen. Das bedroht weitere Arbeitsplätze, gerade bei Unternehmen, die in die USA exportieren. Denn die Vereinigten Staaten sind seit über einem Jahrzehnt das wichtigste Zielland für baden-württembergische Exporte. Die USA sind quasi systemrelevant für die Exportwirtschaft Baden-Württembergs.

Arbeitsmarktexperten sehen keine Deindustrialisierung

Trotz alldem zeigt sich die Bundesagentur für Arbeit verhalten optimistisch. „Wir haben den Arbeitsmarkt bis ins Jahr 2040 analysiert“, sagt Dennis Bachmann, Pressesprecher der Regionaldirektion. Zwar werde die Industrie weiterhin der Schwerpunkt des Beschäftigungsrückgangs sein – rund 190 000 Erwerbstätige könnten bis dahin wegfallen.

Dennoch sei keine Deindustrialisierung zu erwarten: Der Prognose zufolge würden auch im Jahr 2040 noch 28 Prozent der Erwerbstätigen im produzierenden Gewerbe arbeiten – heute sind es 30 Prozent. „Baden-Württemberg bleibt Industrieland“, so Bachmann.

Weiterer Stellenabbau

Seit dem Höchststand Mitte 2019 sind in der baden-württembergischen Metall- und Elektroindustrie (M+E) rund 55 000 Arbeitsplätze verloren gegangen, schätzt der Arbeitgeberverband Südwestmetall. Allein seit Jahresbeginn (bis einschließlich Juli) wurden knapp 17 000 Stellen gestrichen. Und die Personalpläne der Unternehmen weisen auf einen weiteren Stellenabbau hin. Im Juni lag der Saldo von mehr, stabiler oder weniger Beschäftigung deutlich im Minus. Zugleich sind die Gewinne der M+E-Unternehmen 2024 eingebrochen. Die durchschnittliche Umsatzrendite ist auf 1,2 Prozent gefallen – rund ein Viertel dessen, was die Firmen 2023 verdienten.

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