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Green Tech: Vom Hochtemperaturofen zu Wasserstoff vom Bauernhof

Der Firmengründer der WS, Joachim A. Wünning, hat in diesem Monat nicht nur eine neue Betriebshalle eingeweiht, sondern forscht mit 95 Jahren auch immer noch an neuen Produkten.
WS Wärmeprozesstechnik GmbH)Renningen/Stuttgart. Joachim A. Wünning brennt für den Umweltschutz. Und das auch noch im Alter von 95 Jahren, wo sich die meisten längst in den Ruhestand verabschiedet haben. Erst im März erhielt der umtriebige Unternehmer aus Renningen (Kreis Böblingen) das Bundesverdienstkreuz. Inzwischen führt er das Tagesgeschäft nicht mehr selbst. Das hat sein Sohn Joachim G. Wünning übernommen. Doch im Unternehmen, der WS-Gruppe, mit seinen rund 180 Mitarbeitern ist er nach wie vor regelmäßig anzutreffen.
Erfindergeist und der Mut zur schnellen Umsetzung haben ihn und sein Unternehmen geprägt. Und er richtet seinen Blick nach wie vor auf die Zukunft – eine Zukunft, die er vermutlich nicht mehr selbst erleben wird. Sein Ziel: Einen Beitrag leisten im Kampf gegen den Klimawandel für eine Zukunft, in der Industrie, Gesellschaft und Umwelt im Einklang stehen können. Und dafür entwickelt er weiterhin neue Ideen, feilt an innovativen Erfindungen, testet diese im Entwicklungslabor und drängt auf eine schnelle Umsetzung.
Unternehmen wurde nach der Energiekrise gegründet
Joachim A. Wünning hat sein Unternehmen, die WS Wärmeprozesstechnik , 1982 gegründet, als Folge der Energiekrise in den 1970er-Jahren. Sein Ziel: Sparsamer mit der Energie umgehen. Rund 80 Patente haben Wünning und seine Unternehmensgruppe inzwischen. „Um uns weltweit zu behaupten, müssen wir technisch vorne dran sein“, sagt sein Sohn, Geschäftsführer Joachim G. Wünning.
Die WS ist ein Unternehmen im Bereich Green Tech, einer Branche, die in Baden-Württemberg inzwischen mit drei Prozent aller Erwerbstätigen und vier Prozent der Bruttowertschöpfung ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor ist. Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums ist die Green-Tech-Branche inzwischen vergleichbar mit anderen Schlüsselbranchen des Landes wie dem Maschinenbau, dem Fahrzeugbau oder der Elektroindustrie.
Die Grundlagen der WS-Gruppe liegen in der Beheizungstechnik für industrielle Hochtemperaturprozesse, etwa in der Stahlherstellung. Die Öfen müssen Temperaturen von 1000 und mehr Grad erzeugen. Zugleich kommt der Thermoprozesstechnik eine große Bedeutung für den Klimaschutz zu. Denn ein Drittel des Energiebedarfs der Industrie in Deutschland entfällt auf solche Hochtemperaturprozesse, die sich in vielen Fällen nicht oder nur sehr aufwendig elektrifizieren lassen.
Hoher Wirkungsgrad bei geringen Emissionen
Das Ziel: einen möglichst hohen Wirkungsgrad mit geringen Emissionen zu erzielen. Zum Standard des Unternehmens zählt deshalb inzwischen ein Wirkungsgrad nahe 90 Prozent und Stickstoff-Emissionen von unter 100 Milligramm pro Normal Meter-Cube, einem Standard, in dem das Volumen von Gasen gemessen wird.
Geschäftsführer Joachim G. Wünning rechnet vor, was das für den Klimaschutz bedeutet: Allein der heute mit weit über 100 000 WS-Brennern ausgestattete Anlagenpark von Unternehmen in aller Welt spart gegenüber konventioneller Beheizungstechnologie jedes Jahr etwa 15 000 Tonnen Stickstoffoxid und zehn Millionen Tonnen Kohlendioxid. Die durch die Technik eingesparte Energiemenge übersteige deutlich die jährliche Erzeugungsleistung der drei zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke in Deutschland.
Vater und Sohn erhielten für diese Technik – Flox genannt – 2011 den Deutschen Umweltpreis der Bundesstiftung Umwelt, damals der höchstdotierte Umweltpreis in Europa. Flox steht für das Verfahren der flammenlosen Oxidation, das es ermöglicht, umweltschädliche Stickoxidemissionen von Industriebrennern auf ein Minimum zu reduzieren. Im Unterschied zu konventionellen Brennern vermeidet die ausgeklügelte Durchmischung von Brenngas, Brennluft und rezirkulierendem Abgas bei den Brennern Spitzenwerte in der Verbrennungstemperatur. Eine Erfindung, die die industrielle Verbrennungstechnik maßgeblich verändert hat. Erst kürzlich waren wieder Kunden aus China zu Besuch. Denn China ist für die WS-Gruppe, die mit Partnerfirmen in vielen Ländern zusammenarbeitet und eigene Niederlassungen in Tschechien und den USA betreibt, ein wichtiger Markt.
Wasserstoffproduktion aus Biogasanlagen auf Bauernhöfen
Auf dem bisher Erreichten will man sich bei der WS nicht ausruhen. Es wird weiter geforscht und verbessert, etwa beim Einsatz von Wasserstoff und Ammoniak für die Verbrennung. Zur Jahrtausendwende, als die Automobilindustrie intensiv an Brennstoffzellenautos arbeitete, setzte auch WS auf Wasserstoff und Brennstoffzelle für Blockheizkraftwerke. Der Hochlauf blieb damals aus. 2019 entwickelte man dann die Technik weiter. Es entstand eine kleine Anlage für Landwirte mit Biogasanlagen, die aus der Förderung fallen und sich ein neues Standbein aufbauen wollen. Diese erzeugt Wasserstoff für die Mobilität, etwa für Lkw oder Busse. Eine erste Testanlage wurde vor rund zwei Jahren in Hemmingen (Kreis Ludwigsburg) vorgestellt und läuft seitdem auf einem Hof in Krefeld.
Erzeugt wird der Wasserstoff aus Biogas . Interesse für diese Technologie besteht bereits. So eine Anlage kann etwa 400 Kilogramm Wasserstoff am Tag herstellen. Damit könnten 15 bis 20 Lkw betankt werden, rechnet Wünning vor. So ließe sich schnell ein Hochlauf in der Fläche erreichen. Zugleich bestehe die Möglichkeit, bei den Anlagen noch eine CO 2 -Abscheidung nachzurüsten, um etwa später Kohlenstoff für die chemische Industrie zu gewinnen. Das Unternehmen hat in Forschung und Entwicklung investiert – und hofft nun, dass die Rechnung auch aufgehen wird.
Wasserstoff: In Hemmingen entsteht Treibstoff aus Gülle und Mist | Staatsanzeiger BW
Die Green-Tech-Branche ähnlich bedeutend wie der Fahrzeugbau
Drei Prozent der Erwerbstätigen arbeiten inzwischen in Baden-Württemberg im Bereich Green Tech. In der Branche wird ein Umsatz von vier Prozent der Bruttowertschöpfung im Land erzielt. In Zahlen waren das 2023 rund 23,1 Milliarden Euro. Damit ist die Branche inzwischen vergleichbar mit anderen Schlüsselindustrien im Land. Der Fahrzeugbau hat eine Bruttowertschöpfung von 3,7 Prozent erzielt, die Elektroindustrie von 3,3 Prozent und der Maschinenbau von 4,8 Prozent.
Die Branche schafft nach einer Studie der Prognos AG im Auftrag des Wirtschaftsministeriums mit ihren über 201.000 Mitarbeitern auch einen ökologischen Mehrwert. Die Studienmacher sprechen von einer doppelten Dividende: Für jeden Euro Bruttowertschöpfung, den die Green-Tech-Branche erwirtschafte, entstehe ein zusätzlicher ökologischer Nutzen von bis zu 3,80 Euro. Den ökologischen Mehrwert der Maßnahmen schätzen die Fachleute auf insgesamt 18,2 Milliarden Euro.
Es werden CO2-Emissionen eingespart, Sekundärrohstoffe bereitgestellt, Schadstoffe reduziert oder der Rohstoffeinsatz verringert und die Kreislaufwirtschaft gestärkt. Zugleich wächst die Branche deutlich stärker als andere Branchen im Land, wobei der Bereich der Energieeffizienz innerhalb der Branche als besonderer Wachstumstreiber gilt. Nach Nordrhein-Westfalen und Bayern ist Baden-Württemberg bundesweit der drittgrößte Green-Tech-Standort. Der Branche wird auch eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche Stabilität im Land zugeschrieben. Zugleich ist sie nach der Studie auch ein Motor für die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaftsweise.
Kommentar: Green Tech ist ein Zukunftsbereich | Staatsanzeiger BW
Green-Tech BW
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