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Interview

DGB-Chef Burmeister: „Wir brauchen eine Investitionsoffensive“

DGB-Landeschef Kai Burmeister fordert eine Investitionsoffensive, um die Wirtschaft zu stärken und die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und China zu verbessern. Zur Not über neue Schulden. Burmeister will das im Schulterschluss mit den Arbeitgebern erreichen. Dafür wollen die Gewerkschaften auch auf die Straße gehen.

DGB-Landeschef Kai Burmeister beschäftigt sich seit Langem mit der Transformation der Autoindustrie.

Julian Rettig)

Staatsanzeiger: Die Wirtschaft hat Schlagseite: Entlassungen, Insolvenzen und Unternehmen, die Betriebsteile ins Ausland verlagern. Welche Ideen haben die Gewerkschaften, um die Wirtschaft wieder auf Kurs zu bringen?

Kai Burmeister: Wir schaffen die Wende nur mit den Beschäftigten und nicht gegen sie. Die Grundfrage wird sein: Schaffen wir es, wirtschaftliche Stärke und Sicherheit für Arbeitsplätze zusammenzudenken? Wenn wir das als Gegensätze sehen, schaffen wir es nicht. Und wir müssen die Probleme angehen: unzureichende Infrastruktur, einsturzgefährdete Brücken, zu wenig Digitalisierung und zu hohe Energiepreise. Ich erwarte, dass Politik und Unternehmen entschlossen gegensteuern. Die Devise lautet: Investieren, investieren, investieren!

Was genau schlagen Sie vor?

Es geht um ein Zukunftsversprechen. Die Landesregierung muss den Menschen und der Wirtschaft mit einer Investitionsoffensive in Baden-Württemberg Sicherheit geben. Wir haben das konkret berechnet: Wir brauchen für Klimaschutz, Infrastruktur, Wohnen, Gesundheit, Bildung pro Jahr 16,5 Milliarden Euro – und das in den nächsten zehn Jahren.

Allein für Baden-Württemberg?

Ja. Das ist eine gewaltige Summe. Aber das zeigt auch, wie groß die Herausforderungen sind. Und gerade weil Baden-Württemberg jetzt noch stark ist, besteht die Gefahr, tief zu fallen. Daher müssen wir die Frage von mehr öffentlichen Investitionen genau jetzt thematisieren.

Streitpunkt wird sein, wie man das finanziert.

Ich empfehle, dass wir das Land Baden-Württemberg wie ein Unternehmen betrachten. Jedes Unternehmen, das eine neue Fabrik bauen will, nimmt einen Kredit auf und profitiert perspektivisch von der Rendite. Ja, für den Staat bedeutet das Schulden aufzunehmen. Wir brauchen eine betriebswirtschaftliche Sichtweise auf öffentliche Investitionen. Denn wir müssen wichtige Zukunftsaufgaben wie die Energiewende, die über lange Zeiträume wirken, auch über Kredite finanzieren. Dafür haben wir unter den Bedingungen der Schuldenbremse Möglichkeiten, aber wir müssen auch über die Schuldenbremse als solche reden.

Sie wollen das auch über neue Schulden finanzieren. Gibt es eine Grenze für Sie?

Wir stehen in einem internationalen Standortwettbewerb. Die USA nehmen massiv Geld in die Hand, um die Industrie wieder aufzubauen und die Infrastruktur nach vorne zu bringen. China macht das auch. Das Gute ist, die Verschuldung in Deutschland ist sehr gering. Wir haben 63 Prozent Staatsverschuldung gemessen am BIP – im Euro-Raum sind es 87 Prozent, in Japan und den USA ist sie noch höher. Wir müssen mit einer reformierten Schuldenbremse Investitionen finanzieren, die bei uns Arbeitsplätze und Unternehmen sichern.

China baut mit geringen Löhnen und billiger Energie gute und günstige Autos. Trump droht mit Zöllen und lockt deutsche Unternehmen mit niedrigen Steuern und günstiger Energie, ihren Sitz in die USA zu verlagern. Wie können wir dem begegnen?

Es nervt mich, den Standort Deutschland schlecht zu reden. Ich werbe dafür, an unsere Stärken anzuknüpfen: Wir haben qualifizierte Beschäftigte mit einem Ausbildungssystem, um das wir international beneidet werden. Wir haben eine starke Industrie, die großartige Maschinen und Autos herstellen kann. Wir haben eine tolle Forschung. Ja, wir haben Standortprobleme, die man angehen muss. Aber der gemeinsame Kraftakt muss sein, hier zu investieren.

Hindernis dafür sind sehr hohe Energie- und Arbeitskosten, hohe Unternehmenssteuern und Bürokratiekosten.

Eindeutig: Die Energiekosten sind zu hoch. Der DGB schlägt vor, energieintensiven Unternehmen mit einem Industriestrompreis eine Brücke zu bauen. Unsere Verwaltung ist oft ineffizient. Was verschlankt werden kann, muss verschlankt werden. Eine rote Linie beim Bürokratieabbau ist für uns ein Angriff auf Arbeitnehmerrechte und soziale Standards.

Untersuchungen zeigen, dass das Verbrennerverbot der EU Tausende Arbeitsplätze in Baden-Württemberg kosten könnte. Was sagen Sie Betroffenen, die ihren Arbeitsplatz verlieren?

Unser Anspruch ist, dass kein Beschäftigter seinen Arbeitsplatz verlieren darf. Wir stehen für sichere Beschäftigungsperspektiven in der Autoindustrie. Dafür müssen Unternehmen Beschäftigte qualifizieren, statt sie rauszuschmeißen. Wir brauchen eine Vorwärtsstrategie. Wir werden uns mit der Autoindustrie um zukunftsfähige Produkte kümmern müssen: Batteriezellen, Ladeinfrastruktur und Lkw-Brennstoffzellen. Wir müssen das ganze Bündel an neuer Mobilität erschließen. Dann wird der Wandel in der Autoindustrie keine Nachteile für Beschäftigte haben.

Ab 2025 droht die EU deutschen Autoherstellern mit Strafzahlungen aufgrund verschärfter CO 2 -Flottengrenzwerten. Diese könnten sich auf bis zu 15 Milliarden Euro summieren. Sollte die EU die Strafen aussetzen?

Man sollte nicht über Strafzahlungen jammern. Einzelne Hersteller haben es geschafft, die Flottengrenzwerte zu erreichen und andere nicht. Wir sollten den Blick nach vorne richten: Wie wäre es, nachhaltige Mobilität, den Umbau der Werke und sichere Jobs zusammendenken und darüber zu reden, dass die 15 Milliarden Euro an Strafzahlungen, die im Raum stehen, in die Zukunft der Autoindustrie fließen? So fördern wir Technologien und Arbeitsplätze.

Sind Sie da mit den Arbeitgebern bereits im Gespräch?

Wir haben in den letzten zehn Jahren als Gewerkschaften den Arbeitgebern die Hand gereicht für eine sozialverträgliche Transformation. Die IG Metall hat das Zukunftstarifverträge genannt. Wir erleben aber, dass sich die Unternehmen anders entscheiden. Nämlich gegen die Beschäftigten, indem viele Zulieferer mit Arbeitsplatzabbau und blinder Kosteneinsparung reagieren. Als Gewerkschaften werden wir daher am 15. März bundesweit auf die Straße gehen und Druck machen: für eine aktive Industriepolitik und für sichere Arbeitsplätze.

Das Gespräch führte Wolfgang Leja

Zur Person

Kai Burmeister, geboren am 3. November 1976 in Lübeck, ist seit Februar 2022 Vorsitzender des DGB Baden-Württemberg. Der studierte Volkswirt blickt auf eine langjährige Karriere in der IG Metall zurück, wo er als Gewerkschaftssekretär etwa für die Transformation in der Automobilindustrie zuständig war. Burmeister engagiert sich neben seiner Gewerkschaftsarbeit auch politisch. Er ist seit 1992 SPD-Mitglied und gehört seit November 2022 dem Landesvorstand und Präsidium der SPD Baden-Württemberg an.

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