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Zwischen Pragmatismus und Schönfärberei

Photovoltaik-Anlage auf der Schwäbischen Alb.
IMAGO/Arnulf Hettrich)Weniger Öko – mehr Pragmatismus: Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) strebt so einen Kurswechsel in der Energiepolitik an. Die Wende soll „effizienter“ werden und weniger kosten. Wer will da widersprechen. Jeder Bürger hofft doch insgeheim, dass die Aufwendungen zur Stromversorgung von morgen geringer ausfallen und so auch das eigene Budget weniger belasten. Ähnlich geht es einer großen Zahl von Unternehmen. Die Wirtschaft moniert seit Jahren, dass die hohen Energiekosten in Deutschland ein Standortnachteil sind.
Der Kurswechsel in der Energiepolitik ist überfällig. Zu sehr hat die marktferne Politik der Ampel für Verdruss gesorgt. Mit dem Ansatz „der Staat weiß es besser“ hat Reiches Vorgänger Robert Habeck (Grüne) erst die Bürger und folglich die Wähler verloren. Das Grundproblem aber bleibt: Deutschland muss die Energieversorgung nachhaltig gestalten und möglichst unabhängig werden. Seit Jahren geistert dazu unter Experten eine gewaltige Kostenschätzung: 1,2 Billionen Euro müssten dazu bis 2045 allein für die Stromversorgung aufgewendet werden. Dabei müssten die Kommunen hohe dreistellige Milliardenbeträge stemmen.
Strombedarf wird heruntergerechnet
Woher das Geld kommen soll, ist unklar. Wohl auch deshalb sucht die Bundesregierung nach einem neuen Ansatz. Dabei wird der Strombedarf heruntergerechnet. Die Elektromobilität und die Umrüstung der Gebäude auf Wärmepumpen kämen langsamer voran, so die Begründung. Dabei wird ausgeblendet, dass künstliche Intelligenz viel Strom für die Rechenzentren benötigt. Für Europa rechnet die Beratungsgesellschaft McKinsey mit einer Verdreifachung des Bedarfs bis 2030. Deutschland gilt dabei als der wichtigste Standort. Ferner kommt die E-Mobilität verzögert voran, aber sie kommt. Der Kauf und Einbau von Wärmepumpen ist wegen der Krise vertagt, doch die Hausbesitzer haben sie im Blick.
Reiche sieht kostensparende Optimierungen vor. Zum ähnlichen Schluss kam bereits eine Studie des Energieversorgers EnBW aus dem Frühjahr. Demnach könnte man bis zum Jahr 2045 rund 700 Milliarden Euro einsparen. Das sei durch mehr Effizienz und weniger Windkraft auf hoher See erreichbar. Die EnBW betreibt selbst solche Anlagen.
Noch hakt es bei den neuen Gaskraftwerken
Die Landesregierung könnte das nun zum Anlass nehmen, den Ausbau der Windkraft, erst recht schleifen zu lassen. Gerade im Wahljahr – am 8. März 2026 findet die Landtagswahl in Baden-Württemberg statt – will ohnehin niemand Ärger mit dem Bürger. Die dezentrale Stromversorgung im Südwesten kommt aber so nicht voran.
Wird weniger Stromverbrauch unterstellt, bedeutet das auch weniger Gaskraftwerke. Die sind nötig, um Schwankungen der Produktion durch Wind und Sonne auszugleichen. Die Energiekonzerne wollen, dass sich der Staat am Bau neuer Anlagen beteiligt, denn die werden ja nicht voll genutzt. Reiche verspricht eine Lösung für das seit Jahren schwelende Thema. Ihr neuer Kurs sieht das Ende der Förderung der Erneuerbaren vor. Dass sie dabei die Hausbesitzer ratlos zurücklässt, nimmt sie offenbar in Kauf.
Der Bau von Ausgleichskraftwerken drängt, gerade auch im Südwesten. Denn der Bau dieser Anlagen braucht Zeit, die man nicht mehr hat. Doch geschehen ist bisher nichts. Das liegt auch daran, dass Berlin ein Konzept so erarbeiten muss, damit es in Brüssel nicht als verdeckte Subvention ankommt. In Belgien wird das schon umgesetzt. Statt das zu übernehmen, verheddert sich der Bund mal wieder im ideologischen Labyrinth. Doch ohne diese Anlagen steht die ganze Transformation auf tönernen Füßen. Hier ist also ein Kurswechsel überfällig.
Der Investitionsbedarf bleibt hoch
Eine Abkehr vom Klimaschutz bedeutet der Berliner Kurswechsel jedoch nicht. Die Versorger sind längst klar auf Transformationskurs. Das bedeutet aber auch: Der Investitionsbedarf bleibt hoch, so dass die Konzerne und Stadtwerke kaum Anlass sehen, die Preise zu senken. Für die Endkunden ändert sich also nichts. Dazu müsste Berlin schon an der Steuerschraube drehen.
Prinzipiell festhalten sollten Bund und auch das Land am Ausbau der Erneuerbaren – gerade jetzt. In den USA verteufelt die Trump-Regierung die Sonnen- und Windenergie. Das bietet Europa eine unerwartete Chance. Gelingt es mittelfristig, billigen Strom und Wasserstoff zu produzieren, würde das nicht nur einen gewaltigen Wettbewerbsvorteil bedeuten. Die Abhängigkeit von politisch zweifelhaften Partnern wäre auch kleiner.