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Interview 

Martin Löffler: „Der Titel Große Kreisstadt kann Müllheim helfen“

Als die Kassenärztliche Vereinigung im Frühjahr die Zahl der Notfallpraxen eindampfen wollte, gab es viel Protest und eine Klage von 13 Städten, die im einstweiligen Verfahren gescheitert ist. Sprecher der betroffenen Kommunen war der Bürgermeister von Müllheim im Markgräflerland, Martin Löffler. Der Sozialdemokrat wird seine Amtsbezeichnung wohl bald ändern müssen. 

Auf entschiedenen Widerstand von Martin Löffler ist die Entscheidung der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gestoßen, Notfallpraxen zu schließen. Der SPD-Bürgermeister von Müllheim im Markgräflerland machte sich zum Sprachrohr des Protests. Foto: Isabelle Godbillon

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Das Ansinnen auf Erhalt der 18 Notfallpraxen ist gescheitert.

Das Sozialgericht hat den vorläufigen Rechtsschutz am 24. März zwar abgelehnt, aber wir haben dennoch einen kleinen Teilerfolg errungen, denn das Gericht hat der KVBW, also der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg, und dem Sozialministerium in einigen Punkten widersprochen. In der Hauptsache hat das Sozialgericht noch nicht entschieden. Man liest aber schon heraus, dass das Anliegen dort verstanden worden ist.

Wenn das Gericht das Anliegen versteht, versteht es das Gesundheitsministerium?

Aus der Landespolitik haben wir viel Unterstützung und Verständnis erhalten  – auch von Abgeordneten der Regierungsfraktionen. Im Gesundheitsministerium hat sich allerdings gar nichts bewegt. Das Ministerium hat sich wohl schon vor Verkündung der Praxisschließung mit der KVBW abgestimmt. Trotz des Aufschreis im Land hat es als Rechtsaufsicht nicht eingegriffen und unsere Bedenken ignoriert.

Öffentlich-rechtliche Selbstverwaltungsorganisationen wie die KVBW entscheiden aber in eigener Zuständigkeit.

Das ist tatsächlich so geregelt und das ist meines Erachtens ein Systemfehler, denn in der Verwaltung gilt ansonsten der Grundsatz, dass die Betroffenen angehört werden müssen. Rettungsdienste, Klinik-Notaufnahmen oder gar die Patientinnen und Patienten wurden aber überhaupt nicht beteiligt, und da gibt es erhebliche Betroffenheiten.

Was hätte eine Anhörung geändert?

Es hätte eine höhere Legitimität gegeben und die Entscheidung wäre wohl bei einigen Standorten anders ausgefallen. Bei einer SPD-Veranstaltung im Landtag hagelte es zu Recht Kritik. Die Notaufnahmen müssen die Schließung der Notfallpraxen nämlich ausbaden. Neben der Anfahrtszeit, die sich für viele Hunderttausende Menschen erheblich erhöht, lässt die KV die eh schon überlasteten Notaufnahmen in den Kliniken und die Rettungsdienste allein. Das halte ich für sehr gefährlich.

Die Ampelregierung hat ein neues Notfallgesetz nicht mehr verabschiedet. Wie steht die neue Bundesregierung dazu?

Die neue Koalition hat den Gesetzentwurf wieder aufgegriffen und will dafür sorgen, dass die Notaufnahmen KV-Fälle nun selbst abrechnen können. So haben wir zwar erst mal eine juristische Niederlage in der Eilentscheidung erlitten, aber es ist ein Gesetz auf dem Weg, das unser Problem löst, zumindest für Müllheim, weil wir ein Krankenhaus mit leistungsfähiger Notaufnahme haben. Leider fehlt das an anderen Schließstandorten.

Verfolgen Sie die Klage weiter?

Wenn alle Standorte geschlossen sind, ist das Hauptsacheverfahren wohl sinnlos geworden. Wir werden uns dazu im Kreis der klagenden Kommunen abstimmen. Es kommt darauf an, ob das Sozialgericht rechtzeitig entscheidet. Noch halten wir das Hauptsacheverfahren am Laufen.

Sollte die KVBW das Recht verlieren, über Schließungen allein zu bestimmen?

Ja. Dass jemand einseitig zu Lasten anderer entscheiden kann und diejenigen dann die finanziellen und medizinischen Folgen ausbaden müssen, kann ja nicht richtig und vom Gesetzgeber gewollt sein. Die Entscheidungsfreiheit der KV, nur beschränkt durch die Rechtsaufsicht, sollte keinen Bestand haben.

Anderes Thema: Müllheim hat über 20000 Einwohner und überlegt, den Titel Große Kreisstadt zu beantragen. Braucht es das?

Ich d enke ja, aber das entscheidet der Gemeinderat. In Müllheim würde sich gar nicht so viel ändern. Wir waren bis 1972 Sitz des Landkreises. Damit nach dessen Auflösung viele Behörden blieben, hat Müllheim einen GVV gegründet, einen Gemeindeverwaltungsverband, und zwar mit Badenweiler. Später kamen Auggen, Buggingen und Sulzburg hinzu. Der GVV behielt die untere Baurechtsbehörde, die untere Verkehrsbehörde, Waffenbehörde, Versammlungsbehörde – der ganze Bereich Sicherheit und Ordnung – also den Löwenanteil an Behörden einer Großen Kreisstadt.

Was wäre dann der Vorteil für Müllheim, wenn es den Titel einer Großen Kreisstadt erhält?

Uns fehlen die Ausländerbehörde, die Wohngeldstelle und das Rechnungsprüfungsamt. Alle drei halte ich für vorteilhaft. Für die Verwaltung ist das Rechnungsprüfungsamt wichtig, denn die Vorgänge sind inzwischen so komplex, dass wir zur Qualitäts- und Effizienzsicherung eine Innenrevision brauchen. Das kann auch Kosten einsparen.

Martin Löffler im Gespräch mit dem Staatsanzeiger-Redakteur Peter Schwab.
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Wie wichtig sind die anderen Behörden?

In Müllheim haben wir fast 4000 ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die zumeist auf die Ausländerbehörde angewiesen sind und häufig persönlich dort erscheinen müssen. Eine Behörde in Müllheim würde ihnen die Fahrten nach Freiburg ersparen. Auch die Wohngeldstelle hat enorm an Bedeutung gewonnen, gerade in einer Stadt im Großraum Freiburg mit angespanntem Wohnungsmarkt wie bei uns.

Warum gab es über den Status einer Großen Kreisstadt für Müllheim im Innenministerium Diskussionen?

Kein GVV im Land hat so viele untere Verwaltungsbehörden wie unserer. Wenn man nun das Landesverwaltungsgesetz wörtlich auslegt, könnten wir nicht Große Kreisstadt werden, weil die unteren Verwaltungsbehörden im Verband konzentriert sind, der ja eine eigene Rechtsperson ist. Oder der Verband müsste aufgelöst werden, damit wir als Stadt die Behörden bekommen, dann aber nur für unsere Einwohner. Seit 2006 hatte sich diese Rechtsauffassung des IM nicht geändert – bis jetzt im Frühjahr. Wir hatten noch einmal mit guten Argumenten nachgefragt, und dann gab es ein anderes Ergebnis.

Woher der Sinneswandel?

Bei der Verbandsauflösung wäre eine Einigung mit den Nachbargemeinden über die Finanzen sehr schwierig geworden. Wie hätten wir Ausgleichszahlungen abwickeln sollen, etwa für künftige Unterhaltungslasten von Gemeindeverbindungsstraßen? Oder der Aktentransfer: Manche Akten sind nicht gemeindescharf sortiert, das Archiv geht 50 Jahre zurück. Der Wendepunkt kam aber, als wir auf die Große Kreisstadt Eislingen gestoßen sind, die seit 2012 Große Kreisstadt ist und die untere Baurechtsbehörde nach wie vor im Gemeindeverwaltungsverband betreibt. Das Innenministerium hatte damals keine Einwände. Natürlich herrscht bei uns eine spezielle Konstellation, aber das Ministerium hatte glücklicherweise ein Einsehen.

Zieht auch der Gemeinderat mit?

I n der vergangenen Legislaturperiode war die große Mehrheit des Gemeinderates nach einem Stimmungsbild dafür. Über den Beschluss, einen Antrag beim Land zu stellen, entscheidet der Rat dann am 24. September.

Müllheim wäre die zweite Große Kreisstadt nach Bad Krozingen im Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald. Würde das Ihrer Stadt Gewicht verleihen?

Der Titel Große Kreisstadt kann Müllheim bei der Vermarktung oder bei Gewerbeansiedlungen helfen und ist ein Signal für Nähe zu Behörden. Ausländerbehörden sind auch für Unternehmen wichtig, weil am Aufenthaltsstatus fast immer eine Arbeitserlaubnis hängt.

Und auch Sie würden einen neuen Titel bekommen …

Es ändern sich nur die Amtsbezeichnungen. Der Beigeordnete wird Bürgermeister, und ich wäre Oberbürgermeister – das Etikett ist vielleicht nicht ganz unwichtig, letztlich ist es aber nur ein Etikett.

Von der Polizei ins Rathaus-Chefbüro

Von Haus aus Polizist mit einem politikwissenschaftlichen Studium blickt Martin Löffler auf eine lange kommunalpolitische Karriere zurück. Diese betrieb er erst im Ehrenamt als Gemeinderat seiner Heimatgemeinde Schwanau (Ortenaukreis), von 2011 ab professionell als Bürgermeister von Heitersheim (Kreis Breisgau-Hochschwarzwald) und seit 2020 ebenfalls als Bürgermeister in Müllheim im Markgräflerland. Dem Kreistag des Landkreises Breisgau-Hochschwarzwald gehört Löffler seit 2014 an, zuletzt als Sprecher der SPD-Fraktion.

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