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Interview

LKA-Präsident Andreas Stenger: „Innere und äußere Sicherheit sind zwei Seiten derselben Medaille“

Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts (LKA) Baden-Württemberg, spricht im Interview über die Herausforderungen mit Blick auf die innere und äußere Sicherheit. Und er warnt vor den Gefahren durch Desinformation.

Aus Sicht von Andreas Stenger, Präsident des Landeskriminalamts Baden-Württemberg, müssen Sicherheitsbehörden, Nachrichtendienste und internationale Partner enger zusammenarbeiten.

dpa/Bernd Weißbrod)

Staatsanzeiger: Herr Stenger, die Gefährdung durch Desinformation nimmt zu. Wie macht sich dies bemerkbar?

Andreas Stenger : Desinformation ist längst kein Randphänomen mehr. Sie ist zu einem strategischen Instrument geworden – Fake News werden zunehmend im Rahmen gezielter Desinformationskampagnen in den Sozialen Netzwerken koordiniert. Deren einziges Ziel ist es, Verunsicherung und Zweifel an wissenschaftlichen Fakten, unabhängigen Medien und rechtsstaatlichen Institutionen zu säen.

Wie sehen die Kampagnen aus?

Sie nutzen gezielt aktuelle Anlässe, um ihre Botschaften zu platzieren, und verwischen die Grenzen zwischen Meinung und scheinbarer Information. Das macht es für viele Menschen schwer, Quellen richtig einzuordnen. Das Problem verschärft sich, wenn reale Personen diese Posts teilen: KI-gesteuerte Algorithmen lernen, was besonders große Reaktionen erzeugt, und verbreiten deshalb gezielt polarisierende Inhalte. Russische Troll-Armeen gelten in Fachkreisen als ein wichtiges Instrument der hybriden Kriegsführung. Statt mit Waffen operieren sie kostengünstig, anonym und skalierbar im digitalen Raum.

Ein Problem ist auch, dass man Desinformation auf den ersten Blick nicht unbedingt erkennt. Wie kann und muss man die Gesellschaft resilient machen?

Zum einen müssen wir als Gesellschaft in unsere digitale Kompetenz investieren. Medienbildung muss auf einer Stufe stehen mit Lesen, Schreiben und Rechnen. Wer Informationen kritisch prüft, ist weniger anfällig für Manipulation. Zum anderen müssen wir an den Missständen arbeiten, auf denen Desinformationskampagnen aufbauen. Natürlich machen staatliche Institutionen Fehler. Aber funktionierende Demokratien haben Mechanismen entwickelt, um diese Fehlentwicklungen zu korrigieren. Und die müssen wir konsequent nutzen. Und zu guter Letzt müssen wir uns die Frage stellen, ob wir ohne Weiteres akzeptieren wollen, dass Algorithmen, die nur auf Klickzahlen und maximale Resonanz ausgerichtet sind, völlig unkontrolliert ihr Unwesen im Netz treiben?

Wie geht das LKA dagegen vor?

Wenn durch Fake News konkrete Gefahren für die öffentliche Sicherheit entstehen, ergreifen wir Maßnahmen. Deshalb richten wir beispielsweise drei Monate vor der anstehenden Landtagswahl eine sogenannte Informationssammelstelle Wahlen ein. Das hat sich in den vergangenen Jahren bewährt: Wir können schnell und behördenübergreifend agieren, wenn politisch motivierte Straftaten und Desinformationsversuche im Raum stehen. Mit der neu geschaffenen Internet-Monitoring-Einheit beim Staatsschutz- und Anti-Terrorismuszentrum Baden-Württemberg erkennen wir aber auch außerhalb der Wahlphasen frühzeitig radikalisierende Falschinformationen im Netz. Damit steht das Thema Fake News im Fokus staatlicher Sicherheitsarchitektur.

Auch Spionage und Sabotage nehmen zu. Es sind Drohnen und Low-Level-Agenten unterwegs, mutmaßlich gesteuert aus Russland. Wie stellt man sich auf solche Dinge ein?

Spionage und Sabotage werden in den kommenden Jahren weiter an sicherheitspolitischer Relevanz gewinnen. Wir arbeiten im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten eng mit den anderen Sicherheits- und Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern zusammen, um mögliche Bedrohungen und relevante Personen frühzeitig zu identifizieren und Taten zu verhindern. Natürlich berührt das Thema zahlreiche Aufgabengebiete des LKA – sei es im Staatsschutz oder bei der Korruptionsbekämpfung. Deshalb setzen wir bewusst auf eine multidisziplinäre Ausrichtung und arbeiten in agilen, abteilungsübergreifenden Strukturen.

Was setzt das Landeskriminalamt den zahlreichen Cyberattacken entgegen?

Bei einem Cyberangriff zählt oft jede Minute, um größeren Schaden und eine Ausweitung des Angriffs zu verhindern. Dafür haben wir unsere Zentrale Ansprechstelle Cybercrime, kurz ZAC. Wenn ein Unternehmen oder eine Behörde von einem IT-Sicherheitsvorfall betroffen ist, kann die ZAC sofort Expertinnen und Experten aus allen Spezialisierungsbereichen zusammenziehen und passgenau Maßnahmen treffen, um noch vorhandene Daten zu retten und die betroffene Stelle wieder arbeitsfähig zu machen. Natürlich wollen wir auch die Täter dingfest machen. Häufig sitzen diese im Ausland – dank unserer engen Vernetzung mit internationalen Partnerbehörden und der Justiz haben wir aber auch schon mehrfach erwirken können, dass die Täter nach Deutschland ausgeliefert wurden und ihnen hier der Prozess gemacht werden konnte.

Welches Phänomen beschäftigt Sie derzeit am meisten?  

Die Bandbreite der von uns registrierten Cyberangriffe umfasst das gesamte Spektrum an Cybercrime-Phänomenen. Immer wieder kommt es zu Phishing-Angriffen oder Ransomware-Erpressungen, um nur zwei der gängigsten zu nennen. Früher haben sich hauptsächlich Wirtschaftsunternehmen an uns gewandt. In den letzten Jahren verzeichnen wir aber auch immer häufiger Kontaktaufnahmen von Kommunen und Städten, deren Systeme lahmgelegt wurden und die tagelang nicht arbeiten können. Da wären wir dann wieder beim Vertrauen in den Staat, das gezielt untergraben wird.

Hat die Polizei für die Cybercrime-Bekämpfung ausreichend Mittel und Befugnisse?

Die Polizei Baden-Württemberg hat personell, technisch und organisatorisch in den letzten Jahren deutlich aufgerüstet. Auch die Kooperation mit dem BKA, europäischen und internationalen Partnern und privaten IT-Sicherheitsfirmen wurde intensiviert. Die Cybersicherheitsagentur Baden-Württemberg bildet einen weiteren zentralen Baustein der Cybersicherheitsstrategie im Land. Sie vernetzt staatliche Akteure, Behörden, Kommunen, Wirtschaft und Wissenschaft und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur effektiven Bekämpfung der Cyberkriminalität. Wir haben eine leistungsstarke, ausdifferenzierte Sicherheitsarchitektur. Gleichzeitig gilt es, die Herausforderungen offensiv anzunehmen und die eigenen Fähigkeiten permanent weiterzuentwickeln.

Kann man innere und äußere Sicherheit heute noch getrennt denken?

Nein, innere und äußere Sicherheit sind heute zwei Seiten derselben Medaille. Wer sie getrennt denkt, läuft Gefahr, die Dynamik moderner Bedrohungen zu unterschätzen. Cyberangriffe, hybride Bedrohungen, Desinformation oder Spionage überschreiten Grenzen. Ein Angriff auf kritische Infrastrukturen kann von einem anderen Kontinent ausgehen und trifft dennoch direkt die innere Sicherheit. Kriminelle Netzwerke agieren transnational. Besonders deutlich wird dies im Bereich Terrorismus und Extremismus: Radikalisierung findet online statt, Finanzströme und Logistik laufen global. Die Trennlinie zwischen innen und außen verwischt.

Braucht es gesetzliche Anpassungen?

Sicherheitsbehörden, Nachrichtendienste und internationale Partner müssen enger zusammenarbeiten. Nationale Sicherheitsstrategien brauchen einen „vernetzten Sicherheitsansatz“. Ein ganzheitlicher Ansatz, agile Strukturen, flache Hierarchien und schnelle Entscheidungsfindungen sind zentral, um vor die Lage zu kommen. Dafür braucht es den legislativen Rahmen. Mit organisatorischen Innovationen im Sicherheitsbereich und zum Beispiel auch mit der aktuellen Novellierung des Polizeigesetzes stellen wir uns zunehmend mit Blick auf die diversen Bedrohungsszenarien und Handlungserfordernisse zukunftsfest auf.

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