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Interview 

Generalstaatsanwalt Jürgen Gremmelmaier: „Wir brauchen die Vorratsdatenspeicherung“

Jürgen Gremmelmaier leitet seit Anfang des Jahres die Generalstaatsanwaltschaft in Karlsruhe. Im Interview zeigt er auf, was das dort angesiedelte Cybercrime-Zentrum so einzigartig macht und warum es aus seiner Sicht für eine effiziente Strafverfolgung die Speicherung von Vorratsdaten braucht.
Älterer Mann im Anzug sitzt an einem Tisch, hält eine Brille, Bild im Hintergrund.

Generalstaatsanwalt Jürgen Gremmelmaier in seinem Büro in Karlsruhe.

Jennifer Reich)

Staatsanzeiger:

Herr Gremmelmaier, Sie leiten seit Anfang des Jahres die Generalstaatsanwaltschaft in Karlsruhe. Von 2007 bis 2017 waren Sie dort bereits Vize. Also alles nicht neu für Sie?

Jürgen Gremmelmaier: Neu war für mich das Cybercrime-Zentrum. Dort beschäftigen wir uns seit bald zwei Jahren mit den Bereichen Darknet und Organisierte Kriminalität, Sexualdelikte – mit dem Schwerpunkt Kinderpornografie – sowie Cyber- und Wirtschaftskriminalität. Gerade im Bereich Kinderpornografie ist die Zentralisierung der Fälle bei uns hilfreich, denn so können wir Tendenzen und Entwicklungen erkennen. Es ermöglicht uns auch eine einheitliche Bewertung der Bilder und eine einheitliche Rechtsanwendung. Allein vom Landeskriminalamt bekommen wir jede Woche etwa 100 Fälle. Die herausgehobenen behalten wir. Wenn etwa der Verdacht besteht, dass der reale Missbrauch eines Kindes dahinter steht. Da handeln wir sofort.

Welche neuen Phänomene machen Sie aus?

Zum Beispiel das Phänomen Live-Distant Child Abuse. Da sitzt einer vor dem Rechner, hat Bild und Ton, und steuert aus der Ferne, wie ein Kind zu missbrauchen ist. Das ist für die Kollegen, die solche Verfahren bearbeiten, eine große Belastung.

Gibt es weitere?

Die Com-Netzwerke. Com steht für Community. Da haben wir aktuell auch einen Haftfall. Das fängt in solchen Fällen damit an, dass labile Menschen im Internet gesucht werden. Dann lassen sich die Täter etwa kompromittierende Bilder schicken. Teilweise geht das so weit, dass die Menschen dazu gebracht werden, sich selbst zu verletzen, da steckt oftmals eine Menge Sadismus dahinter. Ich sage immer: Als Staatsanwalt darf einem nichts Menschliches fremd sein. Auch das ist mental eine Herausforderung. Die Abteilungsleiter schauen da genau auf ihre Mitarbeiter.

Auch die Betrugsanzeigen nehmen zu. Menschen legen auf vermeintlich seriösen Plattformen im Internet Geld an und werden Opfer von Betrügern.

Wir haben bundesweit immer mehr Geschädigte. Die Staatsanwaltschaften ermitteln bundesweit gegen die Gleichen. Die Täter sitzen meist in Ländern, in denen wir nicht an sie herankommen, selbst wenn wir sie identifizieren könnten. Da hat die Abteilung Cyberwirtschaft nun einen neuen Ermittlungsansatz. Man wartet nicht auf Betrugsanzeigen, sondern arbeitet unter anderem mit der BaFin, der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, zusammen. Wer Finanzdienstleistungen anbietet, der braucht eine Genehmigung. Die BaFin teilt uns also mit, welche Seiten keine Genehmigungen haben. Das ist ein Formaldelikt, ein Vergehenstatbestand. Wir haben dann quasi ein Verfahren gegen unbekannte Beschuldigte.

Mit welchem Ergebnis?

Wir beschlagnahmen die Seiten und leiten sie auf einen Server des LKA um. Wird die Seite aufgerufen, erscheint ein Banner im Landesdesign, da steht: Diese Seite ist wegen ihres kriminellen Inhalts beschlagnahmt. Da haben wir bereits zweimal zugeschlagen. Einmal haben wir 900 Seiten beschlagnahmt und einmal 1400 Seiten. Nach der Beschlagnahme der 900 Seiten gab es allein im ersten Monat 21 Millionen Zugriffe auf die Seiten. Das muss man sich mal vorstellen. Auf diese Weise kommen wir zwar nicht an die Beschuldigten heran, aber wir zerstören ihre Infrastruktur. Das hat eine starke präventive Wirkung. Die Leute, die auf die umgeleitete Seite kommen, sehen, dass sie Glück hatten. Dass sie beinahe Betrugsopfer geworden wären.

Man kommt vor die Lage.

Genau. Solche Ermittlungen überfordern die Staatsanwaltschaften personell und dazu enden sie auch meist im Nirvana. Jetzt setzen wir präventiv an und bündeln Kapazitäten.

In der Abteilung Darknet und OK beschäftigt man sich vor allem mit Ransomwareangriffen, die mit einer Verschlüsselung von Daten einhergeht. Davon sind auch Kommunen und Verwaltungen oft betroffen.

Ja. Und da braucht es den Sachverstand unserer IT-Forensiker. Der Ermittlungsgrundsatz Follow the money bleibt der gleiche. Aber den Geldflüssen bei Kryptowährungen zu folgen, ist viel aufwendiger, als wenn man Banküberweisungen hat.

Das klingt nach viel Arbeit. Gibt es ausreichend Personal?

Personell sind wir noch nicht ganz aufgestellt, die Stellen sind zu 80 bis 90 Prozent besetzt. Aber gerade bei den IT-Forensikern haben wir Probleme, die Stellen zu besetzen. Das liegt auch an der Einstufung. Es braucht schon intrinsische Motivation, bei uns zu arbeiten, wenn man sich das Einkommen in der Wirtschaft ansieht. Anfang 2026 fangen drei IT-Forensiker neu bei uns an. Dann sind fünf der sechs Stellen besetzt. Es ist wichtig, dass uns jemand erklärt, was technisch passiert, dann können wir das juristisch umsetzen.

Haben Strafverfolgungsbehörden genug Befugnisse?

Wir wären froh, wenn wir – gerade mit Blick auf die Kinderpornografie-Fälle – die Vorratsdatenspeicherung hätten. Früher wusste man, wer der Beschuldigte ist. Heute hat man eine IP-Adresse. Es gibt nur wenige statische IP-Adressen, der normale User bekommt jedes Mal eine neue, wenn er ins Internet geht. Wenn ich nicht weiß, wem die IP-Adresse zum Zeitpunkt X, als Daten übermittelt wurden, zugewiesen war, komme ich an ihn nicht ran.

Wie lange müssten die Daten gespeichert werden?

Es gibt Statistiken vom Bundeskriminalamt, wonach eine dreiwöchige Speicherfrist dazu führen würde, dass bei 90 Prozent der IP-Adressen die Inhaber ermittelt werden können. Damit habe ich zwar nicht unbedingt den Beschuldigten, aber es ist der erste Schritt, um an ihn heranzukommen. Ich hoffe, der Gesetzgeber setzt um, was im Koalitionsvertrag steht und nutzt, was das Europäische Recht zulässt.

Wie erklären Sie es sich, dass viele bei den Befugnissen für die Strafverfolgungsbehörden so skeptisch sind?

Da spielt der Datenschutz rein. Die Frage ist, ob Menschen, wenn sie wissen, dass das protokolliert wird, ihr Kommunikationsverhalten ändern. Das wird immer als Argument gegen die Vorratsdatenspeicherung angeführt. Aber man muss sehen, dass wir nur mit richterlichem Beschluss an die Daten herankommen. Es gibt keinen gläsernen Bürger, von dem die Strafverfolgungsbehörden zu jeder Zeit wissen, was er im Internet tut. Wenn wir eine effektive Strafverfolgung betreiben wollen, dann brauchen wir dieses Instrument. Aber das ist eine politische Entscheidung.

Politisch entschieden und so gut wie umgesetzt ist die E-Akte, die ab 2026 Pflicht ist.

Im Dezember geht die letzte Staatsanwaltschaft im Bezirk an den Start, die Zweigstelle in Pforzheim. Es ist eine Herausforderung. Damit ändert sich die Arbeit von Justiz und Polizei grundlegend. Was ich sehe und höre, läuft es ganz gut. Klar gibt es Kinderkrankheiten, aber das ist bei einem neuen Auto auch so. Viele wollen mittlerweile nicht mehr ohne E-Akte arbeiten.

Wird der Einsatz der E-Strafakte auch ein Stück weit den Personalmangel ausgleichen?

Sie bringt in Teilbereichen auf jeden Fall Entlastung. So kann man etwa an der Akte weiterarbeiten, auch wenn man einem Anwalt Akteneinsicht gewährt.

Auch bei der Staatsanwaltschaft fällt viel Bürokratie an. Wo könnte man aus Ihrer Sicht für Entlastung sorgen?

Bei Bürokratie denke ich vor allem an die Statistiken, die Anfang des Jahres zu erfüllen sind, das bindet unheimlich viel Arbeitskraft. Das haben wir auch in Richtung Justizministerium kommuniziert. Aber zum Teil sind die Berichtspflichten ja in der Strafprozessordnung verankert. Um die Berichtspflichten zu reduzieren, ist also der Bund gefragt.

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