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Der digitale Überfall aus Brüssel

Der digitalen Brieftasche gehört die Zukunft, wenn es nach Brüssel geht.
Ruediger Rebmann)Wie macht man Deutschland, dem digital kranken Mann Europas, Beine? Diese Frage wird nicht nur in Stuttgart oder Berlin, sondern auch in Brüssel gestellt. Und eine Vorgabe der EU könnte tatsächlich dazu führen, die Digitalisierung hierzulande voranzubringen. Bis Ende 2026 sind alle EU-Mitgliedsstaaten verpflichtet, ihren Bürgern und Unternehmen gratis die „EUDI-Wallet“ zur Verfügung zu stellen.
Mit dem deutschen E-Rezept in eine italienische Apotheke
Dahinter verbirgt sich eine digitale Brieftasche, die wie eine klassische Brieftasche Ausweise, Zahlungsmittel und Dokumente enthält. Ebenso sollen Zeugnisse aller Art in der Wallet mitgeführt werden können, vom Meisterbrief bis zur Promotionsurkunde. Und die elektronische Patientenakte lässt grüßen, auch Rezepte und andere Gesundheitsunterlagen. Diese stehen dann unionsweit zur Verfügung, damit ist zum Beispiel die Einlösung eines deutschen E-Rezepts in einer italienischen Apotheke möglich.
Dies eröffnet die Chance für eine umfassende E-Government-Offensive, mit der Deutschland seinen teilweise jahrzehntelangen Rückstand aufholen könnte. Doch der Weg ist noch weit. Wie weit, zeigt ein Beispiel: Während andere Mitgliedsstaaten wie Dänemark, Frankreich, Österreich, Polen, Spanien und Griechenland bereits digitale Führerscheine haben, würde dies für Deutschland ein Novum darstellen. Ein unsigniertes PDF des Plastikführerscheins genügt jedoch nicht. Es bräuchte eine qualifizierte oder fortgeschrittene Signatur oder eine gleichwertige „Attributsbescheinigung“, die den deutschen Behörden immer noch nicht zur Verfügung steht.
26 Jahre lang ist nicht passiert
Nach dem gescheiterten nationalen Alleingang mit der De-Mail, der Kommunen viel Geld gekostet und viel Arbeit gemacht hat, bleibt das Problem digitale Kommunikation weiterhin ungelöst. Die Einführung elektronischer Siegel, seit 1999 durch die damalige Signaturrichtlinie ermöglicht, ist auch nach 26 Jahren hierzulande nicht erfolgt. Ob ein knappes Jahr für die Umsetzung reicht? Das wäre schon eine Sensation, wenn man das Tempo der Digitalisierung in den vergangenen Jahrzehnten betrachtet.
An sich wäre es einfach: Sogar Griechenland hat seit der Finanzkrise digital aufgeholt und Funktionalitäten, von denen man in Deutschland träumt, sind dort schon gelebte Realität wie die digitale Wallet samt Führerscheinen, Ausweisen et cetera. Das 5G-Netz ist eines der besten in der EU. In fast allen Kategorien des Digitalisierungsindex der EU liegt Griechenland vor Deutschland. In Deutschland versuchen die 16 Bundesländer und rund 10 000 Kommunen, sich auf eigene Faust zu digitalisieren. Das kann nicht gut gehen. Griechenland hat seit 2011 einen Digitalisierungsminister. Den hat Deutschland nun auch, doch mangelt es ihm an Durchgriffsmöglichkeiten. Auf Institutionen wie den IT-Planungsrat und die Föderale IT-Koordination hat er keinen Durchgriff.
Strobls Vorzeigeprojekt scheitert an Hunderten von Registern
Ambitionierte Vorhaben wie „i-Kfz“, das Vorzeigeprojekt von Landesdigitalminister Thomas Strobl (CDU), können bundesweit nicht ausgerollt werden, weil die Grundlagen fehlen: Nach wie vor befinden sich die Daten, die man für eine Kfz-Zulassung benötigt, bei den regionalen Zulassungs- und Fahrerlaubnisbehörden in Hunderten von führenden Registern. Dem Kraftfahrzeugbundesamt in Flensburg liegen nur mehr oder minder aktuelle Kopien vor. Ganz anders sieht es in einem digital fortgeschrittenen Land wie Österreich aus. Dort haben bereits 1995 alle Zulassungsbehörden geschlossen – das erledigen seither die Kfz-Versicherungen.
Deutschland muss jetzt die Versäumnisse der Vergangenheit im Laufschritt, fast schon in der Geschwindigkeit eines 100-Meter-Sprinters nachholen: Denn sonst wartet eine Menge Ärger. Nicht nur die seit der Finanzkrise besser als Deutschland digitalisierten Staaten wie Griechenland oder Portugal, sondern auch EU-Mitglieder wie Ungarn und die Slowakei, die die deutsche Migrationspolitik nicht goutieren, könnten mit einer gewissen Genugtuung Vertragsverletzungsverfahren einleiten.