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Achim Brötel: „Die Konnexität gilt zu 100 Prozent und nicht nach Lust und Laune“

Landrat Achim Brötel Neckar-Odenwald-Kreis beim Staatsanzeiger Interview.
Achim Zweygarth)Staatsanzeiger: Acht Milliarden Euro aus dem Sondervermögen, 550 Millionen über den Finanzausgleich: Reicht das Geld, das vom Land kommt?
Brötel: Definitiv nicht. Das sogenannte Sondervermögen schafft zwar Spielräume für neue Investitionen. Bei alledem wird aber immer auch ein kommunaler Eigenanteil übrig bleiben, für den wir dann in der doppischen Welt wieder Abschreibungen erwirtschaften müssen. Die Investitionshilfe lädt uns also genau dort, wo unsere eigentlichen Haushaltsprobleme liegen, nämlich im Ergebnishaushalt, in Wirklichkeit sogar noch ein weiteres Päckchen auf. Die 550 Millionen betreffen hingegen originär den Ergebnishaushalt. Das hilft uns dort zweifelsohne, aber es löst unser strukturelles Problem auch nicht. Dazu müssen deutlich größere Schritte folgen.
Sie waren mit den anderen beiden Kommunalverbänden bei Kanzler Merz essen. Was hat er auf Ihre Kritik hin gesagt?
Der Bundeskanzler war in seiner Bewertung sehr klar. Sein Fokus liegt eindeutig auf der Ausgabenseite. Da die Einnahmesituation des Bundes nicht beliebig vermehrbar sei, müsse die Lösung über eine Senkung der Ausgaben kommen. Dafür hat er das Bild eines Fasses ohne Boden gebraucht, das zunächst abgedichtet sein muss, bevor der Bund mehr Geld ins System geben kann. Das betrifft insbesondere die regelrecht explodierenden Sozialkosten. Ob die Bundesregierung allerdings eine politische Mehrheit zum Abdichten findet? Auf die oft beschworene Sozialstaatskommission setze ich da jedenfalls keine allzu großen Hoffnungen. Die großen Kostentreiber in Gestalt der beitragsfinanzierten Systeme Rente, Gesundheit und Pflege und das Bundesteilhabegesetz sind dort sogar ausdrücklich ausgenommen. Ich rechne deshalb eher mit kosmetischen Korrekturen.
Wie können Sie beim Bundesteilhabegesetz auf die Politik einwirken?
Vorab: Die Idee der personenzentrierten Teilhabe ist absolut richtig. Allerdings ist das Gesetz völlig überzogen konstruiert. Da ist es tatsächlich, das oft zitierte Brombeergestrüpp. Städte und Kreise, genauso aber auch die Leistungserbringer müssen sich erst einmal mühsam bis zur Brombeere durchkämpfen. Die dabei anfallenden Personalkosten werden so zu Kosten der Eingliederungshilfe, ohne dass die Brombeeren, also die eigentlichen Leistungen, wachsen. In der Schule würde man sagen: Da hat der Gesetzgeber schlicht das Thema verfehlt. Ich will nur ein kleines Beispiel nennen. Wir müssen für jeden Fall alle zwei Jahre ein Planungsverfahren durchführen, egal ob eine Behinderung sich dynamisch weiterentwickelt oder statisch ist. Da würde sicher auch ein längerer Turnus reichen. Das Land hat uns im Rahmen der Entlastungsallianz versprochen, eine Bundesratsinitiative zur Vereinfachung des Bundesteilhabegesetzes zu prüfen. Passiert ist aber nichts. Derweil explodieren die Kosten der Eingliederungshilfe in Baden-Württemberg munter weiter, allein seit 2020 von 2,1 Milliarden auf inzwischen fast drei Milliarden Euro pro Jahr.
Wie stehen die Verhandlungen um mehr Umsatzsteueranteile für die Kommunen?
Wir wollen mindestens eine Verdreifachung des kommunalen Umsatzsteueranteils. Der Bund ist offenbar aber nicht bereit, etwas abzugeben. Auch da war der Bundeskanzler sehr deutlich. Die Länder werden jedoch gerade umgekehrt auch sagen „nicht zu unseren Lasten“. Da reiben sich mit anderen Worten also zwei Elefanten aneinander. Und: Die Kommunen sind in der Sandwichposition und werden dabei zerrieben. Wir sollen die Aufgaben erfüllen und bezahlen, die andere beschlossen haben. Eigentlich müssten Bund und Länder schon aus Gründen der Staatsverantwortung heraus gemeinsam zum Verzicht bereit sein.
Die Finanzminister von Bund und Land würden sagen: „Auch wir sind überschuldet und können nichts geben.“
Da hält sich mein Mitleid dann doch ziemlich in Grenzen. Wo kommen die Kosten her? Der Bundestag hat die Gesetze beschlossen und der Bundesrat hat ihnen zugestimmt. Solange die Länder halt nicht endlich auch einmal „Nein“ sagen, übernehmen sie politisch die Verantwortung dafür, dass die Kommunen am Ende ihre Kosten erstattet bekommen. Konnexität steht in der Landesverfassung – und die gilt zu 100 Prozent und nicht nach Lust und Laune oder nach der eigenen Kassenlage, sondern immer.
Mit Neinsagen gewinnt man aber keine Wahlen.
Man verliert aber auch Wahlen, wenn man aus finanzieller Not Krankenhäuser oder Schwimmbäder vor Ort schließen muss. Da, wo es staatspolitisch erforderlich ist, müssen wir alle bereit sein, Einschnitte mitzutragen. Das verlange ich auch von der Politik. Wir Kommunen müssen es doch genauso tun. Ich bin jedenfalls auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gespannt: Die Kreise Kaiserslautern (Rheinland-Pfalz), der Salzlandkreis und der Landkreis Mansfeld-Südharz (Sachsen-Anhalt) wollen wissen, ob ein Land bei der Konnexität überhaupt sagen darf: „Wir haben aber selbst nichts“? Oder muss das Land sich dann eben notfalls verschulden, um seinen Verpflichtungen nachzukommen? Wir rechnen uns gute Chancen aus, dass Letzteres gilt.
Parteien spielen im Wahlkampf mit der Forderung, eine Verwaltungsebene abzuschaffen – was sagen Sie dazu?
Verwaltung muss sich immer auch selbstkritisch hinterfragen. Baden-Württemberg ist mit der großen Verwaltungsreform 2005 sehr gut gefahren. Wenn man etwas ändern will, wären alle Beteiligten deshalb sicher gut beraten, der kommunalen Ebene noch mehr Verantwortung zu geben. Im Übrigen würde ich mir lieber einzelne Prozesse anschauen, als ganze Ebenen infrage zu stellen. Wir haben oft genug Doppel- und Dreifachbefassungen.
Was wäre ein Beispiel?
Beim Entwicklungsprogramm Ländlicher Raum beispielsweise sind drei Verwaltungsebenen beteiligt. Ist so etwas noch zeitgemäß? Und: Braucht es immer eine engmaschige Kontrolle mit tausend Verwendungsnachweisen und Berichtspflichten? Mehr Vertrauen und weniger Misstrauen in den jeweils anderen würden dem gesamten System guttun. Einen solchen Vertrauensbeweis hätten die Kommunen doch auch verdient. Immerhin haben sie die Flüchtlingsbewegungen, die Pandemie oder die Folgen des Ukrainekriegs gewuppt. Ein Vorschlag geht ja ganz aktuell dahin, zehn Prozent der Landesbeamten einzusparen. Ich persönlich würde da schon einmal bei 100 Prozent der Staatssekretäre anfangen.
Zur Person
Der 62-jährige Achim Brötel (CDU) ist seit 2024 Präsident des Deutschen Landkreistags und hat die Funktion ein Jahr später im Südwest-Verband übernommen. Der promovierte Jurist arbeitete zunächst in der Justiz, darunter am Bundesgerichtshof, wurde 1998 Bürgermeister von Buchen im Neckar-Odenwald-Kreis und 2005 Landrat des Kreises.