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Geisteswissenschaft

Vor 50 Jahren starb die Philosophin Hannah Arendt

Sie prägte die Formel von der „Banalität des Bösen“, als sie über den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem berichtete. Vor 50 Jahren starb Hannah Arendt. Ihre Studienjahre verbrachte die jüdische Philosophin im Südwesten.
Person mit Zigarette, schaut in die Kamera, trägt eine Kette und ein Hemd.

Die berühmte Philosophin Hannah Arendt starb am 4. Dezember 1975.

IMAGO/Bridgeman Images)

Heidelberg. Es war die prominenteste Bettgeschichte der deutschen Geisteswissenschaft. Noch Jahrzehnte später schwärmte Martin Heidegger von den „dunklen Locken“ und den „großen stillen Augen“ der 18-Jährigen, die da in seinen Marburger Lehrveranstaltungen saß und immer alles wusste.

Kurz vor Ende des Wintersemesters 1924/25 werden sie ein Paar: der kantige Philosoph aus dem Schwarzwald und die Studentin Hannah Arendt. Sie haben heimlich Sex, schreiben sich Gedichte und Liebesbriefe in gestelzter Gelehrtenprosa. „Ganz aus der Mitte Deiner Existenz bist Du mir nah und für immer in meinem Leben wirkende Kraft geworden“, schreibt Heidegger.

Doch nach ein paar Monaten wird dem verheirateten Professor die Beziehung zu heikel. Auch Arendt leidet unter dem Versteckspiel. Zunächst zieht es sie nach Freiburg. Aber in der alten Heimat Heideggers fühlt sie sich ziemlich unwohl.

Aufstieg zu der wichtigsten politischen Theoretikerin

Also empfiehlt der Marburger Extraordinarius das blitzgescheite „Fräulein Arendt“ an seinen Kollegen Karl Jaspers in Heidelberg. Erst hier beginnt für die Tochter ostpreußischer Juden der Aufstieg zur international wichtigsten politischen Theoretikerin des 20. Jahrhunderts. In ganz Deutschland tragen Straßen, Schulen oder Forschungseinrichtungen ihren Namen.

Vor 50 Jahren starb Hannah Arendt in New York. Ihre Bücher und Aufsätze lesen sich gerade so beängstigend aktuell, als wären sie erst gestern geschrieben worden. Vor allem „Ursprünge und Elemente totaler Herrschaft“. Hellsichtig entlarvt das zunächst in den USA erschienene Werk die Strategien, die damals dem Faschismus zur Macht verhalfen: die gezielten Lügen der Propaganda wie das Spiel mit den kollektiven Ängsten.

Als Augenzeugin verfolgte Arendt den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem. Ihre Berichte prägten die berühmt gewordene Formel von der „Banalität des Bösen“. Die Philosophin beschrieb den Holocaust-Logistiker nicht als fanatisches Monster. Eichmann war für sie der kleinbürgerliche Bürokrat, der aus Gehorsam und Gleichgültigkeit Menschheitsverbrechen begangen hat.

Auschwitz und Hitlerstaat sind scheinbar noch weit weg, als sich Arendt zum Sommersemester 1926 in Heidelberg immatrikuliert. Sie wohnt zur Untermiete in der Villa „Am Schlossberg 16“. Das sonnige Klima und die studentische Kneipenszene tun ihr gut: Aus der schüchternen Marburger Erstsemesterin wird am Neckar das It-Girl der akademischen Gesellschaft.

Zu ihrem Freundeskreis gehören der aufstrebende Germanist Benno von Wiese und der Psychoanalytiker Erich Neumann. Ganz emanzipierte Frau der 1920er-Jahre trägt sie Bubikopf, raucht Zigarette oder sogar Pfeife und hat kurze Affären mit ihren Kommilitonen, doch ohne sich zu binden. Gleichzeitig pflegt sie weiterhin den Kontakt zu Heidegger. In seiner Mischung aus bäuerlicher Vitalität und Intellektualität bleibt der Pumphosen-Professor ihr erotisches Idealbild. Fachlich gewinnt Arendt mehr und mehr an Profil. 1928 reicht sie in Heidelberg ihre Dissertation über den „Liebesbegriff bei Augustinus“ ein. Mit der Arbeit beginnt die Befreiung aus dem geistigen Schatten Heideggers. Während dieser den Menschen durch seine Sterblichkeit bestimmt sieht, erkennt Arendt Geburt und Familie als die existentiell stärkeren Instanzen.

Aus dem sogenannten Prinzip der Natalität zieht die junge Wissenschaftlerin nicht zuletzt Konsequenzen für ihre eigene Zukunft. „Hannah Arendt lernte, als sie ihre Dissertation schrieb“, resümiert die Arendt-Biografin Elisabeth Young-Bruehl, „dass sie durch Geburt Jüdin war.“

Langsam erwacht Arendts wissenschaftliches Interesse am Judentum, obwohl sie sich selbst weiter als säkular definiert. In einem Brief stellt sie Heidegger wegen dessen antisemitischer Äußerungen zur Rede. Der schreibt barsch zurück: „Dass ich Juden nicht grüßen soll, ist eine so üble Nachrede, dass ich sie mir allerdings künftig merken werde…“

Arendt flieht erst nach Paris und dann in die USA

Anfang des Jahres 1933 bricht die Korrespondenz ab. Heidegger unterstützt als Rektor der Universität Freiburg nun ganz offen die rassistische Ideologie. Seine einst glühendste Verehrerin ist tief enttäuscht von ihm.

Als dann auch der langjährige Heidelberger Freund Benno von Wiese in die (NSDAP) eintritt und Arendt kurzzeitig von der Gestapo verhaftet wird, steht ihr Entschluss fest: Sie flieht zunächst nach Paris, später dann in die USA. Erst nach ihrem Tod erfährt die Welt von der schwierigen Liebe zu Heidegger.

Heidegger: Opportunist und Schürzenjäger

Manche würden es eine toxische Beziehung nennen, auf die sich Arendt eingelassen hat. Heidegger war ein Schürzenjäger, der permanent erotische Abenteuer mit jüngeren Frauen suchte. Wegen seines Engagements im NS-Regime durfte er nach 1945 zunächst keine Lehrveranstaltungen mehr abhalten. Auch um seine Beamtenbezüge musste der Philosoph fürchten. So nahm er den Kontakt zu Arendt wieder auf. Der Opportunist hoffte auf die Fürsprache seiner mittlerweile sehr einflussreichen Ex-Studentin.

„Der Sinn von Politik ist Freiheit“ von Winfried Kretschmann.
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