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Landesgeschichte

Nationalsozialismus: Mehr als 6500 Juden wurden nach Gurs verschleppt

Am 22. Oktober 1940 begann für tausende Jüdinnen und Juden aus Baden, dem Saarland und der Pfalz ein Weg ohne Wiederkehr. Sie wurden von den Nazis in das südfranzösische Lager Gurs verschleppt. 85 Jahre später erinnern gleich mehrere Veranstaltungen daran.
Lkw mit Plane, mehrere Personen auf Straße, Gebäude im Hintergrund, Kind im Vordergrund.

Kurt Salomon Maier (hinten zweiter von rechts) wurde als junger Bub aus dem badischen Kippenheim mit seiner Familie 1940 nach Gurs deportiert. Er war einer der wenigen Überlebenden.

Jüdisches Museum Berlin, Depositum Wilhelm Fischer)

Karlsruhe/Gurs. Der 22. Oktober 1940 war ein dunkler Tag für die jüdische Bevölkerung in Baden, dem Saarland und der Pfalz. Mehr als 6500 jüdische Frauen, Männer und Kinder wurden von den Nationalsozialisten aus den damaligen NS-Gauen Baden und Saarpfalz in das Internierungslager Gurs in Südfrankreich deportiert. 85 Jahre später erinnern Gedenkveranstaltungen, Mahnwachen und Vorträge unter anderem in Karlsruhe, Heidelberg, Pforzheim und Neckarzimmern an die Deportation.

Nach der Niederlage Frankreichs im Zweiten Weltkrieg wollten die NS-Gauleiter von Baden und der Pfalz, Robert Wagner und Josef Bürckel, ihre „Gaue“ als die ersten im Deutschen Reich für „judenfrei“ erklären. Eine Vereinbarung zwischen der deutschen Waffenstillstandskommission und der französischen Vichy-Regierung zur Abschiebung französischer Juden aus dem Elsass und aus Lothringen wurde von den Gauleitern so interpretiert, dass auch badische, pfälzische und saarländische Juden ausgewiesen werden sollten.

Am letzten Tag des jüdischen Laubhüttenfestes wurden die Menschen am frühen Morgen aus ihren Wohnungen geholt und in Waggons verfrachtet. Nach einer strapaziösen Fahrt durch Frankreich kamen sie im Internierungslager am Fuße der Pyrenäen an. Die Deportierten mussten mit dem Schlimmsten rechnen.

Viele starben an den unwürdigen Lebensbedingungen

Gurs war zwar kein Vernichtungslager, dennoch starben bereits im harten Winter 1940/41 über 1000 meist ältere Menschen an den menschenunwürdigen Lebensbedingungen, mangelnder Hygiene und unzureichender medizinischer Versorgung.

Hilfsorganisationen wie das Rote Kreuz und das Œuvre de secours aux enfants (OSE) – eine gemeinnützige Organisation zum Schutz jüdischer Kinder – konnten zunächst Kinder und Kranke außerhalb des Lagers unterbringen. Einigen gelang bis 1942 die Flucht über Kindertransporte in die USA oder nach England.

Doch ab Sommer 1942 wurden alle jüdischen Insassen nach Auschwitz-Birkenau oder Sobibor weiterdeportiert und ermordet. Nur wenige überlebten. Wegen des extremen Leids und der tödlichen Lebensbedingungen ist das Lager Gurs Überlebenden als „Vorhölle von Auschwitz“ im Gedächtnis geblieben.

Einer dieser Überlebenden ist Kurt Salomon Maier aus dem südbadischen Kippenheim. Der heute 95-jährige war damals gerade zehn Jahre alt, als er mit seiner Familie nach Gurs kam. Heute ist er einer der wenigen noch lebenden Zeitzeugen aus Baden. In diesen Tagen wollte er eigentlich in Baden-Württemberg bei Veranstaltungen seine Geschichte erzählen, die er aber aus gesundheitlichen Gründen absagen musste.

Vor ein paar Jahren war er in Kippenheim und berichtete von den Geschehnissen damals. „Ich erinnere mich noch genau, als meine Eltern extra ein Taxi von Kippenheim nach Freiburg bestellten, um uns dort von der Schule abholen zu lassen“, erzählte Maier. Dann mussten schnell die nötigsten Sachen zusammengepackt werden, als ein Militärlaster der Gestapo Maiers Großeltern, Eltern und den drei Jahre älteren Bruder abholte und auf den Bahnhof in Offenburg brachte.

Der Großvater starb im Lager nach einem Schwächeanfall

Knapp drei Tage habe die Fahrt mit dem Zug gedauert, so Maier weiter. Zusammen mit einem halben Dutzend anderer jüdischer Familien wurden sie ins Internierungslager nach Gurs in den Pyrenäen nahe der spanischen Grenze gebracht. Kaum angekommen, erlitt sein Großvater einen Schwächeanfall und starb.

Sein älterer Bruder wurde in der Männerbaracke untergebracht, er selbst in der Frauenbaracke mit seiner Mutter. Morgens bekamen sie eine Art Kaffee und ein Stück Brot, abends eine Suppe mit Rüben, die in Blechdosen serviert wurde. Viele Juden starben in Gurs an Typhus und Durchfallerkrankungen, weiß Maier, der selbst an Diphtherie erkrankte.

„Doch wir hatten Glück“, sagt er: Weil seine Familie bereits Jahre zuvor auf dem Stuttgarter Konsulat einen Pass für die Ausreise nach Amerika beantragt hatte, bekamen die Maiers nach gut sechs Monaten in Gurs im August 1941 die Mitteilung, dass sie „jetzt an der Reihe“ wären. Mit einem zugestellten Dokument fuhren sie nach Marseille, um von dort mit dem Schiff über Casablanca nach New York auszuwandern.

In New York besuchte Kurt Salomon Maier die Schule, studierte danach deutsche Literatur. Seit 1978 arbeitete er in Washington an der dortigen Kongress-Bibliothek in der Literatur- und Geschichtsabteilung. Im Jahr 2010 wurde ihm der Verdienstorden des Landes Baden-Württemberg verliehen. (Ralf Schick und epd)

Ausstellung im Stadtmuseum Karlsruhe mit Fotografien

Eine Ausstellung im Stadtmuseum Karlsruhe dokumentiert von 26. Oktober bis 1. Februar das NS-Unrecht anhand von 45 Fotografien. Die Bilder wurden von Nachbarn, Schulkindern und Passanten aufgenommen. Sie zeigen jüdische Menschen, die unter Polizeibewachung ihre Häuser verlassen, zu Sammelpunkten gebracht und auf Lastwagen verladen werden. Eine Fotoserie aus Lörrach dokumentiert zudem in 25 Bildern nahezu filmisch den Ablauf der Deportation.

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