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Wanderausstellung im Staatsarchiv Ludwigsburg: Queere Opfer des Nationalsozialismus

„Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die vielfältigen und oft ambivalenten Lebenswelten queerer Menschen“, sagt der Ludwigsburger Staatsarchiv-Leiter Peter Müller.
Ralf Schick)Lu dwigsburg. Der Mord an dem homosexuellen SA-Chef Ernst Röhm und seinen Vertrauten Ende Juni 1934 bildete den Auftakt zur Radikalisierung. Homosexuelle in den NS-Organisationen wurden zu Staatsfeinden erklärt. In Berlin und München begannen Ende 1934 Razzien in Homosexuellen-Treffpunkten. Verhaftete wurden anschließend mehrere Monate in Konzentrationslager verbracht.
Seit 2024 befindet sich die von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung erarbeitete Ausstellung „gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945“ auf Wanderschaft. „Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die vielfältigen und oft ambivalenten Lebenswelten queerer Menschen“, sagt der Ludwigsburger Staatsarchiv-Leiter Peter Müller. „Ich habe die Ausstellung noch um zehn Fälle aus der Region erweitert“, ergänzt Müller.
Gezeigt werden Dokumente, Grafiken, Fotografien und Zitate. Die Ausstellung gliedert sich in Themenbereiche wie etwa Ausmaß und Bedeutung der Zerstörung queerer Infrastrukturen, Ausgrenzung aus der „Volksgemeinschaft“, Praktiken der Verfolgung, Haftgründe und Haftorte. Und sie wirft auch einen Blick darauf, wie nach 1945 queere Menschen behandelt wurden.
Die Erforschung queerer Lebenswelten in der NS-Zeit und der frühen Bundesrepublik hat in den letzten Jahren einen bemerkenswerten Aufschwung genommen, sagt Müller. Und immer wieder war das Archiv Anlaufstelle für Recherchen, weil es dort eine Vielfalt von Akten dazu gibt.
Auch schwule Nazifunktionäre kamen ins Konzentrationslager
Auch Nationalsozialisten konnten zwischen 1933 und 1945 wegen Vergehen nach § 175 Strafgesetzbuch (Homosexuellen-Strafrecht) in das Visier der Justiz geraten. Aus Wildbad im Schwarzwald etwa stammte Eugen Fischer (1900-1941), der Geschäftsstellenleiter der NSDAP in Bad Wildbad war und sich 1936 vor Gericht verantworten musste.
Der damals 36-Jährige hatte unter anderem mehrere sexuelle Begegnungen mit jüngeren, teilweise noch minderjährigen Männern aus dem Ort und wurde vom Landgericht Tübingen deshalb als gefährlicher Gewohnheitsverbrecher zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt. Diese verbüßte er auf dem Hohenasperg, zeitweise aber auch im KZ Börgermoor im Emsland. Dort unternahm er im Februar 1937 einen Selbstmordversuch. 1941 heiratete er in Pforzheim, nahm sich aber kurz darauf das Leben.
Tödlich endete die Inhaftierung für den 1908 geborenen Stuttgarter Friedrich Enchelmayer. Er hatte sexuelle Begegnungen mit Minderjährigen, die als Lehrlinge im gleichen Betrieb wie er beschäftigt waren, und wurde deswegen zwei Mal zu längeren Gefängnisstrafen verurteilt. Es folgten Inhaftierungen in den Konzentrationslagern Sachsenhausen und Neuengamme. Dort kam er am 9. November 1940 ums Leben.
Denunziation gab es auch in den Künstlerkreisen
1933 gerieten mehrere Mitarbeiter des Staatstheaters in Stuttgart offensichtlich infolge einer Denunziation ins Visier der Polizei. Mangels polizeilicher Quellen lassen sich die Vorgänge laut Müller bruchstückhaft anhand der Personalakten des Theaters rekonstruieren. Zu denen, die damals festgenommen wurden, gehörte der Schauspieler Ernst Waldow. Wie sein Strafverfahren gegen ihn ausging, weiß man nicht. Seine Anstellung beim Staatstheater hatte er jedenfalls verloren.
Auch Schicksale von „Damenimitatoren“ und Transvestiten sind in den Akten des Staatsarchivs überliefert und zwar aus Wiedergutmachungsakten. Toni Simon (1887-1979) etwa, ein überregional bekannter „Transvestit“, der nach dem Krieg in einem Wohnwagen in Kornwestheim wohnte, wurde erst wegen Stadtstreicherei in München zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. 1937 wurde er vom Stuttgarter Sondergericht wegen Kritik an der NS-Regierung zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, aus der er vorzeitig entlassen wurde.
1939 folgte eine erneute Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe, die er im Polizeigefängnis Welzheim verbüßte. Was ihm vorgeworfen wurde, ist nicht bekannt. Nachweise für diese Verurteilung konnte er im Rahmen des Wiedergutmachungsverfahrens nicht beibringen. Seine Bemühungen um eine Entschädigung blieben erfolglos, auch wenn das Verfahren formal nie beendet wurde.
Wanderausstellung
Die historisch-dokumentarische Wanderausstellung „gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945“ wurde von der Magnus-Hirschfeld-Stiftung konzipiert. Hirschfeld hatte im Jahr 1919 das weltweit erste Institut für Sexualwissenschaft in Berlin gegründet. Ziele des Instituts waren die sexualwissenschaftliche Forschung und medizinische Beratung, Sexualaufklärung und Sexualreform. Zudem war es Zufluchtsort für Trans-Menschen.