Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Buchlesung

Angela Merkel liest in Stuttgart aus ihrem Buch „Freiheit“

Lange hat man nichts mehr von der Altkanzlerin gehört. Und dann ist sie plötzlich wieder da, steht vor 2000 Gästen in der Stuttgarter Liederhalle, und liest aus ihrem Buch „Freiheit“. Und irgendwie fühlt es sich so an, als wäre sie nie weggewesen.

Angela Merkel in der Liederhalle in Stuttgart.

Sebastian Wenzel / Literaturhaus Stuttgart)

Stuttgart. Nein, sie hat sich kaum verändert. Das Gesicht ein wenig mehr eingefallen, aber sonst ist Angela Merkel noch so, wie man sie kennt aus 16 Jahren Kanzlerschaft. Als die 70-Jährige den Saal betritt, brandet Applaus auf. Nach anderthalb Stunden erhebt sich der Saal, es gibt Standing Ovations.

Dass Merkel in ihrer Amtszeit durchaus umstritten war, ja teilweise eine Hassfigur ihrer Kritiker von rechts, wie weggeblasen.

Doch sich von Emotionen übermannen zu lassen, das ist ihre Sache nicht. Sie setzt sich hin, und liest aus ihrem Buch, steht auf, bedankt sich, und rät zum Abschied, doch „gerne noch weiterlesen“ zu können.

Die unbekannte Seite von Angela Merkel

Und doch entblättern sich Seiten an Angela Merkel, die sie der Öffentlichkeit in der Zeit als Politikerin sorgsam verborgen hat. „Ich hatte eine glückliche Kindheit“ in der DDR, sagt sie. Sie wuchs, geschützt von den Verbiegungen des Systems, in einem Pfarrerkolleg als Schutzraum auf, mitten in der Natur.

Lesen Sie hier: Die aktuelle Kanzlerwahl von Friedrich Merz

Schon damals hat sie die Fähigkeit des Aussitzens erlernt: Als sie in der Schule vom Zehnmeterbrett springen sollte, zögerte sie. 20 Minuten, 45 Minuten, bis der Pausengong ertönte.

Schon als Kind entwickelt sie die Fähigkeit des Aussitzens

Schließlich sprang sie doch. „So entstehen die langlebigen Eigenschaften“, schmunzelt sie. Da auch in der DDR zwei plus zwei vier war, studierte sie Physik. Und musste nach ihrer Scheidung eine Wohnung besetzen: sie tauschte mit dem Schlagbohrer das Schloss aus.

Doch um den Aufenthalt zu legalisieren, musste sie bei der Polizei die Wohnadresse im Pass eintragen, und bezirzte den Volkspolizisten: „Ist es nicht ein Zufall, dass ich aus Templin stamme und in der Templiner Straße wohne?“

Mit einem Trick zur legalen Wohnung in der DDR

Der junge Mann lächelte, und trug die Adresse ein. Dann erzählt die Ex-Kanzlerin von ihrem Gang durch die Institutionen der DDR und der Bundesrepublik. Als Vize-Regierungssprecherin von Lothar de Maziere durfte sie bei der Aushandlung des Zwei-Plus-Vier-Vertrags mit dabei sein, und in Moskau Außenminister Hans-Dietrich Genscher in einem Hintergrundgespräch begleiten: „Wir Ostdeutschen war einfach nur neugierig, wie er das den Journalisten kommunizieren würde.“

Schließlich wurde sie Frauen- und später Umweltministerin, CDU-Vorsitzende, Kanzlerin. Erstaunlich offen schildert Merkel, wie ihre DDR-Vergangenheit ihr immer wieder zur Last gelegt wurde.

So warf ihr ein Journalist einmal vor, dass sie keine „gebürtige Bundesbürgerin und Demokratin“ sei, sondern nur eine „angelernte“. Und selbst im Bericht der Konrad-Adenauer-Stiftung war vom „Ballast der DDR-Biografie“ die Rede. „Muss man sich auch nach 30 Jahren als ehemaliger DDR-Bürger noch rechtfertigen?“, fragt sie das erstaunte Publikum.

Gerhard Schröder ließ sie einfach abperlen

Lebendig schildert sie den Moment, als der damalige SPD-Kanzler Gerhard Schröder 2005 nach der Wahlniederlage in der legendären Talkshow sie anblaffte: „Glauben Sie im Ernst, dass meine Partei eine Regierung unter ihrer Führung bilden wird?“ Merkel schildert den Moment so: „Ich dachte nur, Wahnsinn! Was ist denn hier los. Warte ab, sage nur etwas, wenn du angesprochen wirst.“ Schröder war der erste einer langen Reihe mächtiger Männer, die die Frau aus Templin unterschätzten.

Merkel verteidigt die Grenzöffnung von 2015

Zur Zäsur in der Flüchtlingspolitik im Jahr 2015 sagt Merkel heute: „Wenn man sich entschuldigen muss, dass man in einer Notsituation ein freundliches Gesicht zeigt, dann ist das nicht mein Land.“ Damals die Grenzen kurzzeitig geöffnet zu haben, das verteidigt sie auch heute.

Es gibt viele Anekdoten, etwa die erste Begegnung mit Donald Trump („Ich habe so getan, als wäre er ein normaler Gesprächspartner“), den Auftritt mit Finanzminister Peer Steinbrück in der Bankenkrise 2008 („Die Einlagen der Sparer sind sicher“). Und sie streift den Ukraine-Krieg: „Niemand weiß, ob es den Angriff Russlands 2022 gegeben hätte ohne Corona.“ Putin war nicht mehr im Dialog. Manchmal fragt man sich, wie sie wohl heute agieren würden.

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 199 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch