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Bund will Gesamtvergaben leichter ermöglichen

Die Bundesregierung will dringliche Infrastrukturvorhaben beschleunigen und dafür vom Losgrundsatz abweichen.
Adobe Stock/Bockthier)Stuttgart . Eine neue sechsstreifige Trasse soll die bisherige steile und kurvige Strecke am Albaufstieg auf der A8 ersetzen. Dank zwei neuer Tunnel und zwei Brücken soll die Strecke flacher und deutlich kürzer werden. Rund 900 Millionen Euro soll das Bauvorhaben kosten, so die zuständige Autobahn GmbH Niederlassung Südwest. Die hat mit der Baugrunderkundung im Bereich Mühlhausen-Hohenstadt nun die erste Ausschreibung auf den Weg gebracht.
Viele regionale Bauunternehmen erhoffen sich von dem Großprojekt Aufträge. Nach Verlautbarungen der Autobahn GmbH ist eine mittelstandsfreundliche Vergabe vorgesehen. Lob dafür kommt von der Bauwirtschaft: „Beim Albaufstieg A8 zeigt sich, dass die klassischen EU-weiten Ausschreibungen in Losen funktionieren“, sagt Rainer Mang, Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht bei der Bauwirtschaft Baden-Württemberg. Eine Gesamtvergabe sei dort ausdrücklich nicht vorgesehen. Für viele mittelständische Unternehmen sei das eine gute Nachricht.
Doch Mang räumt ein, dass auch Gesamtvergaben sinnvoll sein können. Etwa bei besonders komplexen Vorhaben. „Dort, wo eine Gesamtvergabe Projekte schneller, wirtschaftlicher und innovativer macht, muss sie möglich sein“, sagt er. „Gerade partnerschaftliche Vertragsmodelle sowie die engere Verzahnung von Planen und Bauen machen es erforderlich, von der klassischen Losvergabe abzuweichen. Wenn integrierte Ansätze ermöglicht werden, können die Vorteile – reibungsärmere Abläufe, Kostensicherheit und Termintreue – tatsächlich realisiert werden. So lassen sich auch die dringend notwendigen Investitionen in Infrastruktur, Wohnungsbau und Energiewende wirksam beschleunigen“, so der Jurist. Der Verband vertritt die Devise: „Losaufteilung bleibt die Regel, Ausnahmen müssen möglich sein.“
Dringliche Infrastrukturvorhaben sollen beschleunigt werden
Geht es nach der Bundesregierung, könnten solche Ausnahmen zunehmen. Denn sie will „dringliche Infrastrukturvorhaben“ aus dem Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität beschleunigen und dafür vom Losgrundsatz abweichen.
Dafür wird ein neuer Ausnahmetatbestand vom Losgrundsatz im Paragrafen 97 Absatz 4 GWB geschaffen, wie es im entsprechenden Gesetzentwurf heißt. Danach können öffentliche Auftraggeber für die aus dem Sondervermögen finanzierten Infrastrukturvorhaben vom Losgrundsatz abweichen, „wenn dies zeitliche Gründe erfordern – auch wenn dies nicht von den bisher für die Abweichung vom Losgrundsatz anerkennenswerten Gründe wirtschaftlicher und technischer Natur umfasst ist“. So sollen Planung und Genehmigung, Beschaffung und Vergabe dieser Vorhaben beschleunigt werden.
Entscheidend dafür ist die Dringlichkeit. Im Sinne des Paragrafen 97 Absatz 4 Satz 4 GWB kann diese vorliegen, wenn ohne Durchführung des Bauvorhabens eine deutliche Nutzungseinschränkung der betroffenen Infrastruktur zu erwarten wäre.
Dabei wird die Ausnahme aus mittelstandspolitischen Gründen eingeschränkt. Sie soll auf Infrastrukturvorhaben begrenzt sein, deren geschätzter Auftrags- oder Vertragswert das Zweieinhalbfache der EU-Schwellenwerte erreicht oder überschreitet. Die EU-Schwellenwerte (netto) betragen für Bauaufträge aktuell 5.538.000 Euro. Eine Gesamtvergabe bei Bauvorhaben wäre demnach also möglich, wenn der geschätzte Auftragswert mindestens 13.845.000 Euro beträgt.
Neue Regeln enthalten viele Abers und unbestimmte Rechtsbegriffe
Doch aus Juristensicht sind Zweifel angebracht. „Der Paragraf 97 Absatz 4 GWB sollte zunächst nur um zeitliche Gründe erweitert werden. Doch der ursprüngliche Gesetzesvorschlag wurde gekippt und durch ein komplexes Gebilde ersetzt“, berichtet Mang. Die neuen Regeln seien mit so vielen „Abers“ und „unbestimmten Rechtsbegriffen“ versehen, dass sie in der Praxis kaum anwendbar sein werden. Dabei gehe es nicht allein um Begriffe wie „Dringlichkeit“.
Mang zufolge stellt sich etwa die Frage, was mit Vorhaben ist, die nicht ausschließlich aus dem Sondervermögen, sondern auch aus dem Kernhaushalt oder durch Mischfinanzierung finanziert werden? „Dürfen diese dann auch gesamt vergeben werden?“, fragt er. Und weshalb gelte das nur ab dem Doppelten des Schwellenwerts? Mang führt an, dass es gerade auf kommunaler Ebene viele Brücken gebe, die dringend und schnell saniert werden müssten, aber die Grenze von knapp 14 Millionen Euro nicht überschreiten. „Die neue Ausnahme von der Losvergabe dürfte damit kaum zum gewünschten Ergebnis führen.“
EU stärkt Losvergabe
Auch auf EU-Ebene geht man einen anderen Weg. Aktuell laufen bei der Europäischen Kommission die Vorbereitungen für die Vergaberechtsreform im Jahr 2026. Bislang sieht das EU-Recht keinen echten Vorrang für die Fach- und Teillosvergabe vor. Nach dem Willen der EU soll die losweise Vergabe europaweit zum Standard werden – nicht mehr nur als Option, sondern als verpflichtendes Prinzip, von dem nur mit Begründung abgewichen werden darf.