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Kolumne

Deep Work im öD? Von einer Tübinger Behörde mit Startup-Vibes

Von wegen verstaubte Ämter! Als unsere Kolumnistin gelesen hat, dass eine baden-württembergische Behörde zumindest zeitweise schloss, um in Ruhe arbeiten zu können, drängte sich der Vergleich zu einem hochmodernen Arbeitskonzept förmlich auf. Professoren, Startups und selbsternannte Produktivitätsexperten schwören auf eine sehr ähnlich klingende Methode, deren Praktikabilität allerdings durchaus anzuzweifeln ist.
Rotes Schild mit der Aufschrift "GESCHLOSSEN", daneben Porträt einer Frau.

Nachdem Rona Eccard über ihren Herbsturlaub einen Stapel liegengebliebener Arbeit abgearbeitet hatte, fielen ihr bei Nachrichten aus einer Behörde ihres ehemaligen Wohnortes interessante Parallelen auf.

IMAGO/Jochen Eckel/privat // Montage: ant)

Den Laden dichtmachen, um in Ruhe arbeiten zu können? Was sich vielleicht so mancher mit viel Walk-in-Kundschaft, überquellendem E-Mail-Postfach oder dauerklingelndem Telefon öfter in Tagträumen ausmalt, hat ausgerechnet ein Amt in der vorletzten Oktoberwoche ausprobiert: Die Tübinger Ausländerbehörde hatte geschlossen, um aufzuarbeiten, was liegen geblieben ist.

Im Ausländeramt der Universitätsstadt wurden sogenannte „schwierige Fälle“ abgearbeitet, das erzählten die Sozialbürgermeisterin und der Leiter des Bürgeramts dem SWR. Ein bisschen Aktuelles hätte zwar dann kurzfristig nicht bearbeitet werden können, aber die Vorteile der geschlossenen Woche haben für die Behörde wohl überwogen.

Laut einer Mitteilung der Stadtverwaltung hat das Amt im letzten Jahr 5600 Anträge bearbeitet, durchschnittlich also knapp mehr als 100 pro Woche – wenn man keine Schließwochen abzieht –, zum Aufholen gingen allerdings 100 der schwierigen Fälle und schlappe 150 weitere über den Tisch. Auch wenn noch weitere 100 schwierige Fälle übrig bleiben, scheint der Arbeitsstapel also zumindest deutlich zusammengeschmolzen.

Hippes Arbeitskonzept in anderem Gewand?

Was damit in Tübingen im Bürgeramt nun „Aufholwoche“ heißt, nennt sich ein paar Straßen weiter in den Universitätsgebäuden „Semesterferien“ und in der Start-Up-Bubble übrigens „Deep Work“. Letzteres ist ein Konzept, das Cal Newport 2016 in einem gleichnamigen Buch beschrieben hat: Ein Arbeitszustand komplett ohne Ablenkungen, der produktiver, effizienter und so weiter sein soll als das, was sich in unserer digitalisierten und globalisierten Welt mittlerweile als normal etabliert hat.

Und Newport müsste wissen, wovon er spricht, immerhin ist er Informatik-Professor – noch dazu in den USA, wo etwa Sprechstunden und E-Mail-Kontakte noch viel zugänglicher und häufiger sind als in Deutschland. Ergebnis: Man kommt zu nix. Sagt zumindest Newport und nennt als dagegen anzustrebendes Beispiel etwa Carl Gustav Jungs „Turm“ im schweizerischen Bollingen, in den sich der Psychoanalytiker quasi monatelang zum Arbeiten einschloss.

Ein bisschen Deep Work für den Arbeitsalltag

So ein Turm oder ein dezidiertes Deep-Work-Büro, wie Newport es hat, sind im Berufsalltag wohl für die wenigsten praktikabel oder machbar – wobei man das über geschlossene Ämter bisher ja auch denken konnte. Im Kleinen lässt sich aber vielleicht trotzdem etwas von der Idee mitnehmen: Einfach für zwei Stunden das E-Mail-Programm zu lassen oder das Telefon stumm schalten. Falls mich gerade jemand erreichen will: Solche Tipps würde ich natürlich nie geben!

Zur Kolumnistin

Jule Rona Eccard gehört zu den Jahrgängen zwischen den Millennials und der Generation Z und ist auch sonst in mehreren Welten zuhause: Sie studiert Literatur an der Duke University, hat als Online-Redakteurin beim Staatsanzeiger gearbeitet, Rhetorik in Tübingen sowie Kommunikationswissenschaft in Hohenheim studiert und war davor im Marketing unterwegs – „irgendwas mit (Online-)Medien“ ist also ihr Spezialgebiet

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