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Beate Bube: „Kein Extremismusbereich fällt bei uns hinten runter“

Mit Blick auf die hybriden Bedrohungen und die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit muss man aus Sicht von Beate Bube mehr in die Sicherheitsbehörden investieren.
Achim Zweygarth)Staatsanzeiger: Frau Bube, wie sehr beunruhigt Sie der aktuelle Bericht Ihrer Behörde?
Beate Bube: Aus Sicht der Behördenchefin sage ich, das sind die wesentlichen Erkenntnisse unserer Arbeit. Darin werden Spionage, Sabotage und hybride Bedrohungen umfassend abgebildet. Aus Perspektive der Bürger muss man sehen, dass die Gefährdungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zunehmen. Wir haben in allen Bereichen eine Verschärfung der Situation. Dieser Trend hält nach wie vor an.
Sie hatten schon im vergangenen Jahr gesagt, dass Sie gefordert sind wie nie.
Es kommen einfach immer neue Dinge hinzu. 2024 waren es etwa die säkularen pro-palästinensischen Bestrebungen, eine Folge aus dem Hamas-Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023. Es haben sich Gruppierungen gebildet, die mit einem klar israelfeindlichen, hetzerischen Aktionismus auftreten. Für uns hat sich damit eine neue Aufgabe gestellt. In anderen Bereichen, etwa im Rechtsextremismus gab es auch neue Entwicklungen: hier haben sich neue Jugendgruppen gebildet, die sich überwiegend im Internet zusammenfinden, aber dann auch gemeinsam öffentlich aktiv werden. Oder nehmen Sie die Reichsbürger und Selbstverwalter, deren Zahl ebenfalls weiter steigt. Und in den letzten Monaten hat gerade auch die Gefahr durch Spionage, Sabotage und hybride Bedrohungen stark zugenommen. Aber nicht nur aus Russland.
Worauf müssen wir uns einstellen?
Das muss man differenziert betrachten. Es gibt unterschiedliche Gefährdungen, qualitativ und quantitativ. Es besteht zum einen die Gefahr, dass Gruppen oder Einzelpersonen Gewalttaten verüben – Stichwort Radikalisierung. Und zum anderen haben wir die Gefahr für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenwürde – die zentralen Säulen unserer Gesellschaft. Wenn das Vertrauen in unser staatliches System und seine Repräsentanten erodiert, sind das ganz andersartige Gefahren. Die drücken sich auch in einem Zuspruch für Parteien aus. Stichwort AfD.
Die das Landesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall beobachtet.
Aus guten Gründen beobachten wir den Landesverband Baden-Württemberg dieser Partei. Wir erkennen eine eindeutige Richtung. In der AfD wirken zunehmend Verfassungsfeinde.
Die AfD meint, die Einstufung als Verdachtsfall sei politisch motiviert.
Dem ist so nicht. Wir prüfen nach Recht und Gesetz, ob von der AfD, wie das Gesetz formuliert, Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ausgehen. Wir prüfen, ob es Anhaltspunkte dafür gibt, dass die AfD gegen Menschenwürde, Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip verstößt. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht gibt es dazu ein umfangreiches Kapitel, in dem wir Beispiele aufzeigen, in welcher Form die AfD vorgeht. Es gibt eine Fülle von Indikatoren, die belegen, dass diese Partei ein Menschenbild verfolgt, das gegen die Menschenwürde verstößt. Etwa durch die pauschale Diffamierung von Zugewanderten, den inflationären Gebrauch des Begriffs Remigration, der in einer Form verstanden wird, die eben nicht darauf abhebt, ob ein ausländischer Mitbürger ein Bleiberecht hat oder nicht. Stattdessen wird ein ethnisch homogener Volksbegriff vertreten, der darauf abzielt, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten Teilhabe auszuschließen – was heißt, sie einer Ungleichbehandlung und Diskriminierung auszusetzen, die mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren wäre. Der Verfassungsschutz ist eine Behörde. Wir haben einen gesetzlichen Auftrag. In einem Rechtsstaat können die Entscheidungen von Behörden gerichtlich überprüft werden. Wir haben mittlerweile drei Gerichtsentscheidungen in Baden-Württemberg, die die Beobachtung des Landesverbands der AfD und die Gründe, die dafür vorliegen, geprüft haben. Wir sehen uns in unserer Arbeit bestätigt.
Worauf erstreckt sich denn die Weisungsbefugnis des Innenministers?
Natürlich gibt es im Beamtenrecht Weisungen. Wenn ich aber eine rechtswidrige Weisung erhalten sollte, wäre ich dazu verpflichtet, zu remonstrieren. Da muss ich als Beamtin sagen, das geht nicht. Jeder Beamte leistet einen Amtseid auf die Verfassung und die Bindung an Recht und Gesetz.
Nun verzeichnen Sie mehr Rechtsextreme, was Sie vor allem auf die AfD zurückführen. Auch von links gibt es mehr Gewalt. Wie bewerten Sie das?
Die Straf- und Gewalttaten haben keine dynamische Entwicklung genommen, auch wenn die rechtsextremistisch motivierten Straftaten gestiegen sind, die Gewalttaten auch etwas. Genauso im Linksextremismus. Der Blick allein auf die Zahlen ist aber nur ein Mosaikstein bei der Bewertung des Gefährdungspotenzials. Wir müssen genauer hingucken.
Inwiefern?
Im Bereich des Rechtsextremismus haben wir eine dynamische Entwicklung in einer sehr heterogenen Szene. Es gibt vielfältige Aktivitäten, es entstehen neue Gruppen, und es werden neue Themen besetzt, etwa die Queer-Feindlichkeit. Und: Je präsenter Rechtsextreme öffentlich sind, desto eher gibt es Gegenreaktionen von Linksextremisten, die einen undemokratischen Antifaschismus vertreten und im Kampf gegen den politischen Gegner auch den Einsatz von Gewalt legitimieren. So kann sich die Gewalt gegenseitig hochschaukeln. Diese Mechanismen gibt es schon lange, aber wir hatten 2024 und Anfang 2025 Wahlkämpfe und einige tätliche Übergriffe auf Stände der AfD. Wir haben in Baden-Württemberg insbesondere in Stuttgart eine aktive und gewaltorientierte linksextremistische Szene. Dort spielt das Glorifizieren von und die Solidarität mit militanten Personen eine große Rolle und stärkt den Zusammenhalt in der Szene.
Wie erklären Sie es sich, dass der Linksextremismus dennoch für viele als eher salonfähig gilt als der von rechts?
Der Linksextremismus führt für sich ins Feld, für das Gute, das Richtige einzutreten. Linksextreme sind gegen Rechtsextremismus. Das sind wir alle. Aber die Frage ist eben, mit welchen Mitteln und mit welchen politischen Zielen man dagegen ist. Wer meint, ein konsequenter Kampf gegen alle, die als „Rechts“ definiert werden, rechtfertige auch Gewalt, der missachtet das Gewaltmonopol des Staates und lehnt letztlich den demokratischen Verfassungsstaat ab.
Manche meinen, der Verfassungsschutz sei auf dem linken Auge blind.
Früher hieß es das andersrum. Je nach Perspektive meinen Menschen das eine oder das andere sei zu stark betont oder komme zu kurz. Klar müssen wir Schwerpunkte setzen. Aber, und das ist mir wichtig, wir erfüllen unseren gesetzlichen Auftrag neutral, schauen in alle Richtungen. Bei uns fällt kein Extremismusbereich hinten runter.
Wir befinden uns in einem hybriden Krieg. Welche Rolle spielt dabei das Thema Desinformation?
Es ist ein Element, eine Methodik der hybriden Kriegsführung beziehungsweise der hybriden Bedrohungen. Die können unterschiedlich daherkommen: Sabotageaktivitäten, klassische Spionage, Cyberspionage. Und dazu gehört auch die Desinformation, die in die Breite der Gesellschaft wirkt. Das bedeutet, es werden Falschinformationen gestreut. Es werden gezielt und manipulativ falsche Narrative in die Bevölkerung gegeben. Da soll ein Meinungsbild bei den Bürgern generiert werden, das den Interessen eines anderen Staates dient. Zum Beispiel die russische Sichtweise auf den Ukraine-Krieg oder auf die gesamte westliche Welt, die typischerweise als moralisch verkommene Welt dargestellt wird.
Desinformation ist nicht immer auf den ersten Blick zu erkennen. Was kann man ihr also entgegensetzen?
Unsere Aufgabe ist es, Inhalte als gezielte Desinformation zu entlarven, dies zu benennen und dadurch zu sensibilisieren. Allein wenn die Bürger wissen, dass sie genau prüfen müssen, woher eine Information kommt, kann das helfen. Wenn man weiß, es gibt Internetauftritte, die sich als seriöses Nachrichtenmedium ausgeben – etwa die aus Russland gesteuerte „Doppelgänger“-Kampagne – tatsächlich aber gezielte Falschnachrichten verbreiten, gehe ich anders damit um.
Viele Menschen sind verunsichert, was real ist, verlieren das Vertrauen.
Unsere Aufgabe als Verfassungsschutz ist es, die Realität zu benennen, auch wenn sie Besorgnis auslöst. Wir leben einfach in Zeiten, die von einer gewissen Unsicherheit in vielerlei Hinsicht geprägt sind. Auch dieser Umstand führt extremistischen Szenen neue Anhänger und Menschen zu, das haben wir auch in der Corona-Pandemie erlebt. Daher muss man gerade bei jungen Menschen die Medienkompetenz stärken. Da sind andere Akteure gefragt. Das Land hat sich in Sachen Desinformation Großes vorgenommen. Im Rahmen des Sicherheitspakets der Landesregierung wurde eine Taskforce gebildet, die im Innenministerium und auch bei uns angesiedelt ist. Aber eines ist auch klar: Desinformation ist nicht nur ein Thema für Sicherheitsbehörden und den Verfassungsschutz, sondern eines für die gesamte Gesellschaft. Deshalb erarbeitet die Task Force Desinformation in Zusammenarbeit mit mehreren Ministerien einen gemeinsamen Aktionsplan.
Mit Blick auf islamistischen Extremismus hat man es zunehmend mit Minderjährigen zu tun, die sich radikalisieren. Welche Rolle spielen soziale Medien?
Eine riesige. Der islamistische Extremismus und Terrorismus ist keine neue Bedrohung. Was wir aber feststellen, ist eine hohe Anziehungskraft junger Menschen im Rahmen der sozialen Medien für extremistische Einstellungen. Da spielt bei den islamistischen Szenen auch der Nahostkonflikt eine große Rolle und wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Gerade junge Menschen werden durch Influencer in Szenen gezogen, die den Westen pauschal als Feind der Muslime darstellen. Das Abtauchen in diese digitalen Welten kann zu einer Radikalisierung führen, an deren Ende schwere Straftaten stehen können. In den letzten ein, zwei Jahren haben wir eine hohe zweistellige Zahl von Hinweisen bearbeitet. Immer geht es darum, zu erkennen, ob tatsächlich eine konkrete Gefahr droht. Die Zahl der Fälle, die dann auch strafrechtlich für die Strafverfolgungsbehörden relevant wurden, war nicht so hoch. Aber dafür sind wir ja ein Frühwarnsystem. Unsere Aktivitäten setzen früher an, als die der Polizei.
Spiegelt sich die Mehrarbeit in Ihrer Behörde in mehr Personal wider?
Im Haushalt 2025 haben wir 16 Personalstellen dazubekommen. Je mehr Ressourcen wir haben, ob für Personal oder Technik, desto intensiver können wir arbeiten. Mit Blick auf die hybriden Bedrohungen und die Stärkung der Verteidigungsfähigkeit muss man aus meiner Sicht mehr investieren. Schließlich steht was auf dem Spiel. Ja, wir haben es mit einer neuen Weltordnung zu tun, sprechen vom Kalten Krieg 2.0. Spionageabwehr, Desinformationsabwehr, Cyberabwehr müssen aus meiner Sicht dringend gestärkt werden.
Trotz allem bleiben Sie zuversichtlich.
Weil die Mehrheit der Menschen an unser demokratisches System glaubt, das Vertrauen nicht verloren hat. Daraus schöpfe ich Hoffnung.
In eigener Sache:
Beate Bube, Präsidentin des Landesamts für Verfassungsschutz, spricht beim zweiten BOS-Tag des Staatsanzeigers am 11. November 2025 im Landratsamt in Ludwigsburg über das Thema Desinformation: https://akademie.staatsanzeiger.de/bos-tag-2025
Zur Person
Beate Bube ist seit 2008 Präsidentin des Landesamtes für Verfassungsschutz. Zuvor war die Juristin im Justizministerium tätig, erst als stellvertretende Leiterin des Personalreferats, später als Leiterin des Personalreferats für den Justizvollzug. Die 60-Jährige war viele Jahre lang Richterin, unter anderem am Verwaltungsgericht Karlsruhe, und war Mitglied der Leitung der Justizvollzugsanstalt Bruchsal.