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Markus Herrera Torrez: „Aufmerksamkeit für die nördlichste Stadt gewinnen“

Markus Herrera Torrez ist seit 2019 Oberbürgermeister der Stadt Wertheim. Die Klinikrettung hat er angepackt, der Klimaschutz ist dagegen liegengeblieben.
Peter Frischmuth/ argus)Staatsanzeiger: Was hätten Sie bei Ihrem Amtsantritt 2019 gerne gewusst?
Markus Herrera Torrez: Dass manche kommunalpolitische Vorhaben in Folge von internationalen Krisen in den Hintergrund geraten. Corona-Pandemie, Ukrainekrieg, in dessen Folge die Energiekrise und viele Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine. Kaum hatten sich diese Krisen etwas gelegt, war die Krankenhausschließung das beherrschende Thema. Es gab wenige Phasen mit normalen kommunalpolitischen Abläufen.
Welche Themen sind bisher zu kurz gekommen?
Das Thema Klimaschutz hätte einen größeren Raum verdient. Vor wenigen Wochen haben wir im Gemeinderat unser Klimaschutzkonzept beschlossen, durch die zuvor benannten Krisen ist das Thema lange in den Hintergrund geraten. Gemeinsam mit Gemeinderat und Bürgerschaft würden wir auch gerne intensiver am Thema „Begegnung und Leben am Wasser“ arbeiten. Wertheim liegt an zwei wunderschönen Flüssen, Main und Tauber. Die Flussufer dienen überwiegend als Parkplätze – eine Entwicklung aus den 70er- und 80er-Jahren. Es wäre ein echter Mehrwert die Ufer zu renaturieren, stärker miteinander zu verbinden und so als Aufenthaltsorte für die Bürger zurückzugewinnen.
Wertheim hat 15 Ortschaften und fünf Stadtteile. Eine Herausforderung?
Ja, denn in allen Ortschaften und Stadtteilen gibt es individuelle Bedürfnisse. Jede Ortschaft möchte, dass der eigene Friedhof, Kindergarten oder die Sporthalle in gutem Zustand ist. Es ist anspruchsvoll, die verschiedenen Interessen auszubalancieren und den gemeinschaftlichen Charakter als Große Kreisstadt zu betonen. Ich sage immer spaßeshalber, unser Gemeinderat ist wie der Bundestag, und die 15 Ortsvorsteher und Stadtteilbeiratsvorsitzenden sind wie der Bundesrat – sie greifen als Korrektiv ein und sind mit gesundem Selbstbewusstsein ausgestattet. Auch die räumliche Distanz ist eine Herausforderung: Von einer Ortschaft zur anderen fährt man mitunter eine halbe Stunde. Wertheim ist flächenmäßig fast so groß wie Mannheim, zählt aber nur 23 000 Einwohner. Eine große Hilfe ist, dass die ehrenamtlichen Ortsvorsteherinnen und Ortsvorsteher viele Aufgaben eigenverantwortlich übernehmen.
Wertheims Wirtschaft ist breit aufgestellt. Welche Zukunftsbranchen können Sie ansiedeln?
Die Attraktivität eines Wirtschaftsstandortes wie Wertheim entscheidet sich zukünftig neben der verkehrlichen Anbindung auch an der Frage nach der Verfügbarkeit vor Ort erzeugter erneuerbarer Energien. Heute liegt Wertheim deutschlandweit auf Platz 5 der Städte mit den meisten Weltmarktführern. Unter anderem sind die Glas- und Halbleiterindustrie sowie die Vakuumtechnik echte Zugpferde. Soll das auch zukünftig so bleiben, braucht es neben der Innovationskraft der Unternehmen gute Rahmenbedingungen. Der Regionalverband plant zusätzliche Flächen für Windkraft – auch auf städtischen Flächen. Diese Chance wollen wir nutzen, ebenso wie die Möglichkeit zur Herstellung und Vermarktung von grünem Wasserstoff.
Der Weg nach Stuttgart ist weit. Wie schaffen Sie es, dort gehört zu werden – zumal bei der Krankenhausrettung, als die Stadt die insolvente Klinik kaufte, viel Abstimmung mit dem Land nötig war?
Gerade bei der Diskussion um die Krankenhausschließung haben wir dieses Problem deutlich gespürt. Wir haben gelernt, dass wir aktiv werden müssen, um die Aufmerksamkeit der Landesregierung für die nördlichste Stadt im Land zu gewinnen. Zu einer großen Demonstration für den Erhalt des Wertheimer Krankenhauses auf dem Marktplatz wurde Gesundheitsminister Lucha eingeladen – zunächst vergeblich. Erst als wir mit Bussen nach Stuttgart fuhren und vor dem Landtag demonstrierten, kam er zunächst zum Austausch vor dem Landtag und schließlich zu einer Gemeinderatssitzung nach Wertheim. Und am langen Ende wurde das Konzept unseres Bürgerspitals in den Landeskrankenhausplan aufgenommen.
Mit dem Präsidenten des Deutschen Landkreistags Achim Brötel und Bundesgesundheitsministerin Nina Warken gibt es nun zwei überregionale Politiker aus dem Norden. Hilft das der Region?
Für die Region ist das sehr wertvoll. Achim Brötel ist Landrat im benachbarten Neckar-Odenwald-Kreis. Es ist hilfreich, dass er die Schwierigkeiten und Notwendigkeiten des ländlichen Raums artikuliert. Allerdings hätte ich mir bei manchen Aussagen zur Flüchtlingssituation eine differenziertere Betrachtung gewünscht. Es gab Unterschiede zwischen dem ländlichen Raum und Ballungszentren. An Bundesgesundheitsministerin Nina Warken aus der Region gibt es natürlich große Erwartungen, dass sie die gesamte Krankenhauslandschaft im Main-Tauber-Kreis im Blick hat. Das ist für die Ministerin eine Herausforderung, für Wertheim aber sicher kein Nachteil.
Sie haben keinen klassischen Verwaltungshintergrund. Ist das ein Vor- oder Nachteil?
Vor meinem Amtsantritt in Wertheim arbeitete ich in der Vorstandsverwaltung der IG Metall in Frankfurt. Verwaltungserfahrung war also vorhanden, aber nicht im Sinne einer öffentlichen Kommunalverwaltung. Kommunalpolitische Erfahrung habe ich zum Beispiel in meiner alten Heimatstadt Lauffen am Neckar gesammelt.
Konnten Sie bei der Klinikrettung von Ihrer bisherigen beruflichen Erfahrung profitieren?
Ich habe gelernt, in schwierigen Situationen meinem Bauchgefühl zu vertrauen und nicht jede Entscheidung bis ins letzte Detail zu zerdenken. Man muss auch mutig vorangehen. In der gewerkschaftlichen Arbeit konnte ich erfahren, wie wichtig es ist, den Menschen zuzuhören und nicht zu glauben, es besser als sie zu wissen. Bei der Krankenhausrettung gab es große Kundgebungen und Demonstrationen, um Menschen zu mobilisieren und überregionale Aufmerksamkeit zu schaffen, auch da gibt es Parallelen zur gewerkschaftlichen Arbeit.
Wollen Sie in einer zweiten Amtszeit Projekte in Wertheim vollenden, die Sie begonnen haben?
Meine Frau und ich fühlen uns hier zuhause. Wir sind angekommen, haben Freundschaften geknüpft, und ich habe noch viele Ideen und Gedanken für die Zukunft. Ob ich meine Arbeit fortsetzen darf, entscheiden jedoch die Bürgerinnen und Bürger.
Wie die Stadt Wertheim ihr Krankenhaus rettete.
Zur Person
Markus Herrera Torrez (SPD) wuchs in Lauffen am Neckar auf. Von 2012 bis 2015 war er Landesvorsitzender der Jusos. Nach seinem Studium der Geschichte und Politikwissenschaft absolvierte Herrera Torrez ein Trainee-Programm bei der IG Metall. Im Anschluss ging er als Gewerkschaftssekretär für zwei Jahre an den Europäischen Gewerkschaftsbund nach Brüssel, ehe er in Frankfurt als Referent des Ersten Vorsitzenden der IG Metall arbeitete. 2019 wurde er zum Oberbürgermeister in Wertheim gewählt.