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Freie Träger kritisieren Stuttgart für Null-Euro-Ticket

Die Landeshauptstadt übernimmt für ihre Mitarbeiter die Kosten für ein Deutschland-Ticket. Die 49-Euro-Fahrkarte ersetzt die bisherige Unterstützung von 28,30 Euro für die Jobtickets. Stuttgart möchte damit bei den begehrten Fachkräften auf sich aufmerksam machen, Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU) spricht von einem „bärenstarken Angebot“. Das finden nicht alle so.
Mann im Mantel vor gelber Bahn

Kostenfreier Nahverkehr bietet Stuttgart seinen Mitarbeitern an. Die Idee wird nicht überall als „abgefahren“ angesehen.

dpa/Sebastian Gollnow)

STUTTGART. Mit der Entscheidung, allen Mitarbeitern ein kostenloses Deutschlandticket als „Null-Euro-Ticket“ anzubieten, greift Stuttgart tief in die Stadtkasse. Bislang haben etwa 60 Prozent der rund 15 500 Mitarbeiter der Stadt und des städtischen Klinikums das Jobticket genutzt. Nun rechnet die Verwaltung mit einer hohen Nachfrage des in ganz Deutschland gültigen Nahverkehrstickets. Damit wären die Mitarbeiter auf dem Arbeitsweg sowie in der Freizeit im ÖPNV kostenlos unterwegs.
Bislang hat der Gemeinderat für das alte Jobticket 3,8 Millionen Euro in den Haushalt eingestellt. Mit der neuen Beschlusslage kommen Investitionen von 5,7 Millionen Euro hinzu – und das nur für die Kollegen in der Verwaltung und den Eigenbetrieben. Den Klinikmitarbeitern würde ein Zuschuss aus der Stadtkasse von insgesamt 4,2 Millionen Euro zustehen, wenn dort die Gremien den Fahrtkostenzuschuss billigten.

Auch Kita-Mitarbeiter werden bezuschusst

Das Angebot der Landeshauptstadt richtet sich außerdem an Mitarbeiter, die gar nicht bei der Kommune arbeiten. OB Nopper hatte die Idee des Null-Euro-Tickets für Stuttgart-Mitarbeiter bereits 2022 den Räten vorgelegt. Die waren unzufrieden, weil Klinikumsbeschäftigte sowie Mitarbeiter von Kindertagesstätten freier Träger nicht begünstigt waren. Die freien Träger hatten kritisiert, dass so ein unfairer Wettbewerb um die gefragten Kindergarten-Mitarbeiter entstünde. Dem trägt nun der Beschluss Rechnung, ihnen die Kosten fürs Deutschlandticket zu 95 Prozent zu erstatten. Kosten: 3,07 Millionen Euro zusätzlich. Damit steigen die ursprünglichen Ausgaben für das Jobticket von 3,8 Millionen Euro um 11,7 auf 15,5 Millionen Euro.

Doch von den freien Trägern kommt nun ein scharfer Konter. Der Stuttgarter Caritas-Direktor Uwe Hardt, er steht einem der großen Akteure der Stuttgarter Sozialdienstleister vor, kritisiert in einem offenen Brief an OB Nopper einen „Kannibalismus auf dem Arbeitsmarkt“ und eine „Unverantwortlichkeit der Stadt“ gegenüber den freien Trägern, die neben der Kita etwa in der Pflege, der Flüchtlings- und Wohnsitzlosenhilfe oder bei der Ganztagesbetreuung von Schülern aktiv sind.
Gegenüber dem Staatsanzeiger spricht Hardt von einem moralisch verwerflichen Griff in die Steuerschatulle. Damit könnten die freien Träger nicht mithalten. Die Kostenträger, etwa Pflegekassen bei Pflegeheimen, würden ein 49-Euro-Ticket für den Personalaufwand nicht bezahlen. Die Stadt, die für die Dienste der Träger bezahlt, bezahle ebenfalls nicht, und wie die Kommune auf Steuergelder können die Träger nicht zugreifen. Hardt möchte nun mit der Stadt über die Kostenübernahme verhandeln.

Freie Träger können Kosten nicht weiterreichen

Auch von der Evangelischen Gesellschaft (eva) gibt es Kritik. Der Vize-Vorstandvorsitzende Jürgen Armbruster fordert die Stadt auf, das Null-Euro-Ticket zum Gegenstand der Tarifverhandlungen zu machen. Die kirchlichen Anbieter, die einen Sonderstatus im Arbeitsrecht genießen und vom Streikrecht grundsätzlich ausgenommen sind, könnten so in ihren an den TVÖD angelehnten Tarifwerken das Jobticket übernehmen und über diesen Umweg Kostenträger zur Bezahlung bringen.
Im Gemeinderat wundert man sich über den Aufschlag der Caritas. So habe die SPD-Fraktion stets engen Kontakt mit den freien Trägern in der Fahrtkostenfrage gehabt, sagt Lucia Schanbacher. Die Stadträtin unterstützt das Null-Euro-Ticket, das sich erweitern ließe. Ihr geht es um die Stellenbesetzung im Bürger- und Ausländeramt, wo Dienstleistungen nur noch schwer leistbar sind. Von den 14 200 Stellen der Landeshaupstadt sind 1300, also neun Prozent, unbesetzt.

Unbeeindruckt von der Stuttgarter Personalansage zeigen sich Nachbarkommunen. Carsten Kramer, Abteilungsleiter für Personal und Chancengleichheit, verweist auf Ideen, das Deutschlandticket für Sindelfingens Stadtbedienstete kostenlos anzubieten. In Fellbach möchte Markus Sturm nichts von einer Konkurrenzverstärkung wissen: „Die Vorteile der jeweiligen Arbeitgeber unterscheiden sich,“ sagt der Hauptamtsleiter. In beiden Städten gibt es Kilometergeld für die radelnden Kollegen. Überregionale Konkurrenz zwischen Großstädten gebe es im öffentlichen Dienst weniger, heißt es aus Freiburg. Jobtickets habe man mehr für den Umweltschutz aufgelegt.

Deutschlandticket sorgt auch für Skepsis

Nach dem Auslaufen des Neun-Euro-Tickets kommt nun das Deutschlandticket, das ab dem 1. Mai für monatlich 49 Euro freie Fahrt im öffentlichen Personen-Nahverkehr Deutschlands erlaubt. Zusätzlich wird das digital geplante Ticket von Bund und Ländern als Jobticket mit fünf Prozent Abschlag gefördert.
Während Stuttgart das Ticket als Öko-Benefit zur Mitarbeitergewinnung nutzt, sorgt sich die Stadt Freiburg darum, dass die Förderung nach einem Jahr auslaufen könnte und es auf dem Land zu wenig ÖPNV gibt, während in Ballungszentren Kapazitäten nicht ausreichen. Bund und Länder seien gefragt.

Peter Schwab

Peter Schwab kümmert sich um verschiedene Journale der Zeitung und arbeitet außerdem im Crossmediateam und im Ressort Kreis und Kommune. Schon während seines Jura-Studiums hat er für verschiedene Zeitungen geschrieben, später volontiert und als Lokalredakteur gearbeitet. Nach seiner Zeit als Pressesprecher hat er erneut die Seiten gewechselt und ist 2022 zum Staatsanzeiger gegangen – und damit zum guten alten Journalismus zurückgekehrt.

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