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Katastrophenschutz im Kriegsfall

In Dettingen/Teck wird der Zivilschutz zur Daueraufgabe

Der Katastrophenschutz ist ausgerichtet auf Naturereignisse oder Unfälle. Doch wie sieht es im Krieg aus? Das wird seit dem russischen Angriff auf die Ukraine auch in Deutschland diskutiert, etwa in Dettingen unter Teck.

Oft geübt, funktioniert der Zivilschutz. Gilt das auch für Kriegszeiten?

dpa/Michael Matthey)

Dettingen unter Teck. Jürgen Holder hat ein Motto: „Über Risiken sprechen, bevor sie zu Krisen werden.“ Lange ist der Feuerwehrkommandant aus Dettingen unter Teck (Landkreis Esslingen) dafür belächelt worden. Doch seit der Corona-Pandemie, der Energiekrise und der Flutkatastrophe im Ahrtal ist seine Expertise auch in Nachbarkommunen gefragt. Seit gut 20 Jahren bereitet Holder Schritt für Schritt seine Heimatgemeinde mit 6200 Einwohnern auf Katastrophen wie Unwetter, Blackout und eine durch Naturgewalten zerstörte Infrastruktur vor. Auslöser war ein Hochwasser, bei dem sein Bruder auf sich allein gestellt versucht hatte, Haus und Familie zu schützen.

Übertragung auf den Kriegsfall ist möglich

Seither beschäftigt ihn, welche Einsatzkräfte und -mittel für die jeweilige Krisenlage nötig sind. Der Spannungs- und Verteidigungsfall hat dabei nie eine Rolle gespielt. Trotzdem lassen sich Katastrophenschutzkonzepte auf die komplexe Gefahren- und Schadenslage im Krieg übertragen. Im Mai 2023 hat das baden-württembergische Innenministerium eine Rahmenempfehlung für Evakuierungsmaßnahmen herausgegeben. Demnach müssen die Kommunen für größere Evakuierungen Unterbringungsmöglichkeiten für ein Prozent der lokalen Wohnbevölkerung schaffen. In Dettingen unter Teck fangen Schule und Sporthalle laut Jürgen Holder rund 100 Menschen auf, die dort mit Feldbetten, Decken, Lebensmitteln, Wärme und medizinischer Hilfe versorgt werden können.

Versorgung aus dem Ort statt von weit her

Brechen Lieferketten, Energieversorgung oder Verkehrswege zusammen, sollen der örtliche Einzelhandel Nahrung und die Apotheke Medikamente zur Verfügung stellen. Störungen der Trinkwasserversorgung kompensiert ein Notbrunnen, der für mehrere rund 1000 Liter große Behälter Wasser liefert, so Holder. Die werden zentral aufgestellt. Von dort wird da Wasser rationiert an die Einwohner verteilt. An sie können die Helfer bei Bedarf sogar bis zu 500 faltbare Wasserbehälter ausgeben.

Bauhof stellt Bagger für die Menschenrettung bereit

Für die Menschenrettung aus beschädigten oder eingestürzten Gebäuden stellt der Bauhof einen Bagger inklusive Fahrer zur Verfügung. Aber der Feuerwehrchef hat noch viel weiter gedacht: „Großflächige Ausnahmelagen binden Hilfsorganisationen wie Technisches Hilfswerk, DRK oder Feuerwehr an vielen Stellen.“ Deswegen sensibilisiert die Lokalverwaltung die Bevölkerung in Kindergarten, Schule, Vereinen und Amtsblatt regelmäßig etwa über Selbstschutz, Nahrungsvorsorge, Notfalltreffpunkte, Erste Hilfe, Brandbekämpfung und sicheres Verhalten in Gefahrenlagen.

Experte sieht Bevölkerung nicht ausreichend informiert

Ortwin Renn vom Helmholtz-Zentrum Potsdam sieht den behördlichen und ehrenamtlichen Katastrophenschutz auch für den Kriegsfall gut aufgestellt. Dringenden Nachholbedarf sieht der Direktor des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit bei der Bevölkerung: „Es fehlt eine proaktive Informationsstrategie von Bund, Ländern und Kommunen, die die Bürger vor Eintritt des Ernstfalls für Risiken und Handlungsmöglichkeiten sensibilisiert.“

Kommunen müssen Grundkenntnisse vermitteln

Das Zivil- und Katastrophenhilfegesetz sieht vor, dass Städte und Gemeinden der Bevölkerung Grundkenntnisse und -fertigkeiten vermitteln, mit denen sie sich selbst schützen und gegenseitig helfen können, bis qualifizierte Hilfe eintrifft oder eine Krisenlage überwunden ist, so der Forscher. Dazu gehören für den Risikoforscher auch Informationen zu Schutz und Verhalten bei chemischen, biologischen und radioaktiven Ereignissen.

Keine Erfahrung mit dem Krieg – wenig Bewusstsein für den Notfall

Das sieht im Übrigen auch die vom Bundesinnenministerium herausgegebene „Konzeption Zivile Verteidigung“ vor. Laut Renn müssen solche Dinge aufgebaut und umgesetzt werden, bevor der Katastrophen- oder Zivilschutzfall droht. Das gelte gerade für eine Gesellschaft, in der ein Großteil der Menschen nie einen Krieg erlebt hat und erst wieder ein Bewusstsein für die damit verbundene Risiken und Probleme geschaffen werden müsse.

Kriegsszenarien spielen kaum eine Rolle

Wie seine Mitglieder auf Evakuierung, Notunterbringung, Notversorgung und den Gesundheitsschutz im Kriegsfall vorbereitet sind kann der Gemeindetag Baden-Württemberg nicht einschätzen. Die in Katastrophenfällen zum Einsatz kommenden Abläufe und Kapazitäten würden auch bei militärischen Konflikten greifen. Laut Städtetag Baden-Württemberg sehe das Katastrophenschutzgesetz zwar vorbereitende Maßnahmen wie Katastrophen-Alarm- und Einsatzpläne vor. „Ob solche Pläne erstellt werden, richtet sich nach Wahrscheinlichkeiten.“

Daniela Haußmann

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