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Interview: Sindelfinger Ex-OB Bernd Vöhringer

„Manche bekamen bei der Fusion mit Böblingen kalte Füße“

Bernd Vöhringer war 24 Jahre lang Oberbürgermeister in Sindelfingen. Im Interview spricht er über die knapp gescheiterte Fusion mit der Nachbarstadt Böblingen, warum die marmornen Zebrastreifen wirtschaftlich sind und wie sein wohl größter Coup, der Krankenhaus-Deal im Kreis Böblingen, zustande kam.
Ein Mann mit Brille und Anzug lächelt.

Bernd Vörhinger wäre als Sindelfinger OB einer Fusion mit der Nachbarstadt Böblingen nicht im Weg gestanden. Fotos: Achim Zweygarth

Achim Zweygarth)

Staatanzeiger:

Sie waren 24 Jahre Oberbürgermeister von Sindelfingen – eine lange Amtszeit. Wie blicken sie zurück?

Bernd Vöhringer:

Ich stamme aus Sindelfingen, das war auch der einzige Grund, warum ich kandidiert habe. Ich hatte das nie als Berufsziel vor Augen, es war eher ein Zufall. Wenn ich zurückblicke, nach 24 Jahren, dann könnte ich viele Investitionen aufzählen, viele Projekte, die wir entwickelt haben, auch gemeinsam mit Böblingen, zum Beispiel das ehemalige Flugfeld. Daimler wurde im Gebiet Mittelpfad erweitert, wir haben viel in Bildung und Betreuung investiert. Aber als Erfolg will ich gar nicht die Investitionen in den Vordergrund stellen.

Sondern was ist wichtiger?

Das Wichtigste ist für mich, dass die Bürgerschaft stärker zusammengerückt ist. Sindelfingen ist nach dem Krieg schnell gewachsen, einhergehend mit der Entwicklung von Daimler. Die Frage war immer: Hat so eine Stadt eine eigene Identität? Identifizieren sich die Menschen mit ihrer Stadt? Ich glaube, es ist uns gelungen, dass die Stadtgesellschaft näher zusammengerückt ist.

Sindelfingen war bekannt für sagenhafte Gewerbesteuereinnahmen und das Sportzentrum Glaspalast mit internationalen Sportevents …

Wir haben nicht auf spektakuläre Neubauten gesetzt, sondern haben die sehr gute Infrastruktur, die wir durch die Finanzlage der 80er Jahre hatten, erhalten und weiterentwickelt. Das Hallenbad mit 50-Meter-Becken – so etwas findet man in Städten der Größenordnung selten. Die Herausforderung war, die Infrastruktur zu sanieren und auszubauen.

Die Marmor-Zebrastreifen haben Sindelfingen in die Tagesschau gebracht – was steckt wirklich dahinter?

Ich bin danach schon so oft von Journalisten gefragt worden (lacht). Immer wenn Kommunen deutschlandweit in der Krise sind und die Automobilindustrie, dann fragen viele Medienvertreter nach Sindelfingen – und nach dem Zebrastreifen. Ich kenne die Geschichte inzwischen auswendig. Meine Fachleute haben ausgerechnet: Dieser Zebrastreifen amortisiert sich nach 2,7 Jahren. Viele kennen Sindelfingen nicht: Der Zebrastreifen liegt am Marktplatz, wo wir Pflastersteine haben. Die Alternative wäre, Pflastersteine weiß anzustreichen – das müsste man jährlich erneuern. Daher ist der Bruchmarmor tatsächlich eine wirtschaftliche Maßnahme. Es gibt ihn übrigens auch in anderen Städten, aber Sindelfingen ist wegen des Reichtums der 70er- und 80er-Jahre damit berühmt geworden.

Nervt Sie, dass wir jetzt auch noch danach fragen, zum 1000. Mal?

Ich habe gelernt, damit zu leben – inzwischen mit einem Schmunzeln. Nach der dritten Haushaltskrise haben mir die Medienvertreter oft gesagt: „Wir wissen, es rechnet sich, aber es klingt einfach so schön, wir schreiben es nochmal.“ Dann wurden Fotos gemacht. Einmal hat mir ein Kollege vom Tiefbauamt erzählt, er habe noch einen Stapel dieser Steine auf dem Bauhof. Ich wollte schon lange einen haben – und seit ein paar Jahren liegt einer in meinem Büro.

Der ehemalige Oberbürgermeister Bernd Vöhringer (CDU) spricht mit Chefredakteur Rafael Binkowski in den Redaktionsräumen des Staatsanzeigers über seine Bilanz.
Achim Zweygarth)

Die Nachbarstadt Böblingen ist nahezu mit Sindelfingen zusammengewachsen, war eine Fusion je realistisch?

Das Thema lag in der Luft, als wir das gemeinsame städtebauliche Entwicklungsprojekt Flugfeld auf den Weg gebracht haben – für das beide Städte allein rund 30 Millionen Euro für das Gelände gezahlt haben.

Das riesige Areal, das jeder entlang der Autobahn A 81 sieht …

Ja, ein gemeinsames Areal, der ehemalige Landesflughafen: zwei Drittel Böblingen, ein Drittel Sindelfingen. Wir haben uns entschieden, das Gelände zu kaufen und zu entwickeln, nachdem sich die Großen der deutschen Wirtschaft nicht herangetraut hatten. Da war auch eine Fusion der Städte Thema. Es gab viele und lange gemeinsame Gemeinderatssitzungen dazu mit einer sehr guten Stimmung. Ich habe dabei einmal zu meinen Leuten gesagt: „Wenn diese Sitzung noch eine Stunde länger dauert, fusionieren wir heute noch.“

Woran ist die Zusammenlegung der Städte am Ende doch gescheitert?

Es gab Begeisterung, auch seitens der Räte, immer wieder Gespräche mit Dezernenten und Oberbürgermeistern aus Böblingen. Irgendwann habe ich mir gesagt: „Wenn nicht wir als Verantwortungsträger, wer soll es dann konkret angehen?“ Der langjährige Böblinger OB Alexander Vogelgsang (SPD) wollte es kurz vor Ende seiner Amtszeit nicht mehr angehen, hatte aber inhaltliche Sympathien dafür. Mit seinem Nachfolger Wolfgang Lützner war ich mir einig. Wir hatten relativ viel Unterstützung, auch wenn es lautstarke Gegner gab.

Und wie dachte die Bevölkerung?

Umfragen direkt zu Beginn der Diskussion zeigten: Fast die Hälfte der Bevölkerung war grundsätzlich für das Thema zu haben, ein Viertel direkt dafür, ein Viertel unentschieden. Ich glaube nach wie vor, es wäre richtig gewesen – bei Erhalt der eigenen Identität, das ist wichtig. Woran es letztlich gescheitert ist, das kann ich nicht sagen. Ich glaube, manche Akteure in der Politik haben kalte Füße bekommen.

Eher auf Böblinger Seite oder eher auf der Sindelfinger Seite?

(Schmunzelt) Sagen wir so. Kritiker gab es auf beiden Seiten, aber die politische Situation in Böblingen wurde auch ohne dieses Thema komplexer. Bei so einem Thema muss man Realist sein. Wenn man das macht, geht es auch um die Frage, wer welche Positionen zukünftig innehat und wer Oberbürgermeister wird. Wolfgang Lützner und ich waren uns jedenfalls einig: Keiner von uns. Sonst stellt sich die Frage, wer wen übernimmt. Wir wären zum Verzicht bereit gewesen.

Das städtische Krankenhaus wurde für das neue Klinikum auf dem Flugfeld aufgegeben, war das Ihr größter Coup?

Ich war früh überzeugt, dass die Entwicklung – der fast ruinöse Wettbewerb zwischen Sindelfingen und dem Landkreis – auf Dauer nicht gut war. Das Böblinger Kreiskrankenhaus lag nur zwei Kilometer weit entfernt. Sindelfingen war das Flaggschiff im Landkreis, das wurde auch von Wettbewerbern zugegeben.

Manche sagen, Sie hätten den Landrat geschickt ausmanövriert dabei.

Nein, aber erst als der Landkreis seine drei Häuser in Böblingen, Leonberg und Herrenberg auch tatsächlich organisatorisch wirkungsvoll zusammengeführt hatte, konnten wir fusionieren und die beiden Kliniken in Böblingen und Sindelfingen zusammenlegen. Der letzte Schritt war der Neubau auf dem Flugfeld – konsequent, wenn man eine Klinik an zwei Standorten hat. Das ist nicht effizient. Ich bin dem jetzigen Landrat Roland Bernhard dankbar, dass er den Mut hatte, das gemeinsam mit uns auf den Weg zu bringen. Mit dem neuen Klinikum ist die medizinische Versorgung für die Bevölkerung im Landkreis, und damit auch für Sindelfingen, gesichert.

Lesen sie hier einen Bericht über die Wahl von Vöhringers Nachfolger.

Zur Person

Bernd Vöhringer ist 1968 in Sindelfingen geboren. Er studierte und promovierte an der Universität Hohenheim in Wirtschaftswissenschaften, arbeitete für Hewlett Packard und eine Unternehmensberatung, ehe er 2001 mit 32 Jahren zum jüngsten OB in Deutschland gewählt wurde. Seit 1990 ist Vöhringer CDU-Mitglied. Seit 2021 ist er Präsident der Lokalkammer im Kongress der Gemeinden und Regionen im Europarat. 2025 kandidierte er nicht wieder, sitzt aber noch in Kreistag und Regionalversammlung.

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