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Mannheims Ex-OB Peter Kurz: „Reformen müssen die Politik wirksamer machen“

Im Jahr 2023 stellte Peter Kurz sein gut hundert Seiten dickes Buch mit dem Titel „Gute Politik – was wir dafür brauchen“ vor.
privat)Wir erleben aktuell global wie national einen Vertrauensverlust in Politik. Kann man dieses Vertrauen zurückgewinnen?
Zunächst müssen wir die Ursachen des Vertrauensverlusts erfassen. Ich sehe hier drei Entwicklungen: Erstens, unsere bisherigen wirtschaftlichen Erfolgsmodelle sind an Grenzen gekommen und haben steigende Ungleichheit erzeugt. Zweitens, auf diese grundlegende Krise hat die traditionelle Politik eher mit „business as usual“ und Verstärkung der Partei-Logiken reagiert und drittens erleben wir einen absichtsvollen Angriff auf die Demokratie durch autoritäre Politik, der gezielt Vertrauen in Institutionen und demokratische Politik zerstören will. Diese grundlegenden Probleme beginnen wir erst jetzt durch die geopolitischen Veränderungen offen anzusprechen.
Was wäre aus Ihrer Sicht zu tun?
Die mangelnde Reaktion auf die Angriffe und die Abkehr von rationaler, auf Konsens zielender Politik verschlechtert unsere Problemlösungskompetenz. Wir meinen weiter, die autoritären Angriffe allein durch „bessere“ Politik oder gar die Übernahme der Thesen der Autoritären abwehren zu können. Das ist eine Illusion. Die nachhaltigen Antworten lägen vielmehr in mehr Rationalität und Ernsthaftigkeit.
In den USA sehen wir den Kahlschlag an politischer Verwaltung. Auch hier war im Wahlkampf Bürokratieabbau Thema. Ist Politik also gut oder besser mit weniger Bürokratie?
In den USA geht es Elon Musk und anderen gerade darum, den Staat in allen Fragen, die wirtschaftliche Macht begrenzen könnte – für den Schutz individueller Rechte, des Wettbewerbs, der Korruptionsbekämpfung, der Umwelt, der Verbraucher – seiner Wirksamkeit zu berauben. Gleichzeitig geht es um den Aufbau einer illiberalen Demokratie, die einen Machtwechsel durch Wahlen unwahrscheinlich werden lässt. Zur Absicherung werden staatliche Mittel zunehmend repressiv eingesetzt – wie in der Türkei oder Ungarn. Mit Bürokratie-Abbau hat das alles nichts zu tun. Es ist eine Kombination aus Zerschlagung und Korrumpierung des Staats. Die Reformen, die wir brauchen, müssen die Politik wirksamer machen und schädliche Effekte wie Überregulierung reduzieren. Es geht also nicht um Abbau, sondern um Effizienz und Wirkung.
Sie betonen die Bedeutung des Lokalen für die Demokratie. Was macht die Kommune in dieser Hinsicht besonders?
Sie ist näher an den Menschen und damit in der Regel wirkungsorientierter und veränderungsbereiter, wenn man sie lässt. Und sie ist vor allem kooperativer, bindet Bürgerschaft und Wirtschaft deutlich stärker ein. Das sind Qualitäten, die jetzt entscheidend sind.
Und wie stärkt man demokratischen Diskurs sowie Bürgerbeteiligung?
Beteiligung ist eine Chance, Ergebnisse besser zu machen und Ziele eher zu erreichen. Sie kann dafür sorgen, dass die „Herrschaft des Arguments“ gestärkt wird. Voraussetzung ist aber, dass die gewählten Prozesse zum Problem passen und professionell gemanagt sind. Schlecht gemachte Beteiligung schadet mehr, als sie nutzt.
In Ihrem Buch plädieren Sie für eine stärkere Einbindung der Kommunen in nationale und internationale Entscheidungsprozesse. Wie kann das konkret aussehen?
Die Einbindung der Kommunen kann Politik mit Blick auf Konsensorientierung, Wirkung und Anpassungsfähigkeit besser machen. Es wäre zentral, schon zu Beginn eines Gesetzgebungsprozesses erfahrene Menschen aus der kommunalen Praxis einzubinden. Auch gehörte eine Umsetzungs- und Ergebnisbetrachtung mit kommunaler Rückkopplung und Nachsteuerung zu einem modernen Politikverständnis. Kommunen haben meist einen viel einigenderen und pragmatischeren Ansatz als Nationalstaaten. Egal, ob Klima, Artenschutz, Armutsbekämpfung, Hunger oder urbane Sicherheit: Die weltweiten Netzwerke der Städte und Kommunen haben breit und oft einstimmig getragene Konzepte.
Gibt es Beispiele, wo eine solche Einbindung die Zielerreichung verbessert hat? Und umgekehrt: Wo wurde ein tragfähiges Ergebnis verspielt?
Die intensivste Kooperationserfahrung war in Phasen der Corona-Pandemie, in der manche Entscheidung zielgenauer getroffen wurde, als sie ohne Einbindung der Kommunen getroffen worden wäre. Auch wären die durchaus sichtbaren baden-württembergischen Anstrengungen zum Bürokratie-Abbau ohne die Initiativen und die Beteiligung der Kommunen nicht zustande gekommen. Als negative Gegenbeispiele sehe ich die Bereiche Bildung und Betreuung. Hier hätte mehr kommunaler Einfluss, etwa auf die Ressourcensteuerung, und mehr kommunale Entscheidungsmacht bessere Ergebnisse ermöglicht.
Sie fordern mehr Autonomie und Ressourcen für Kommunen. Welche Kompetenzen sollten Ihrer Meinung nach auf die unterste staatliche Ebene übertragen werden?
Die Übertragung von Kompetenzen stünde für mich weniger im Vordergrund als die Neuordnung von Finanzbeziehungen. Mehr direkte Anteile an Steuern und pauschale Zuweisungen für definierte Handlungsfelder, weniger kleinteilige Förderprogramme, dafür Zielvorgaben. Staatliche Leistungen mit individuellen Zielen müssen durch Kommunen gesteuert werden können. Im Bereich Bildung und Betreuung sollten Kommunen frei sein, wie sie die Leistung erbringen. Die Ressourcenzuweisung dafür sollte aber anhand von Sozialdaten erfolgen.
Wie können Städte und Gemeinden besser auf globale Herausforderungen reagieren, wenn sie mehr Entscheidungsbefugnisse erhielten?
Hier bräuchte es ehrlicherweise nicht nur Entscheidungsbefugnisse, sondern eine Verpflichtung, sonst sind diese Ausgaben, etwa beim Klimaschutz, schon rechtlich als freiwillige Leistung nachrangig. Freiheit bräuchte es dann mit Blick auf die Maßnahmen. Der lokal effektivste Einsatz von Haushaltsmitteln sollte auch gewählt werden können. Im Detail kann die Vorgabe, eine bestimmte Kategorie von Gebäuden zu sanieren, unproduktiv sein.
Welche Rolle spielt Digitalisierung in moderner Kommunalpolitik? Kann sie Bürgernähe verbessern?
Sie wird entscheidend werden. E-Partizipation und Feed-Back sind Möglichkeiten der Intensivierung des Dialogs. KI kann, wie open data, Steuerung verbessern und Antragsbearbeitung und Entscheidungen deutlich beschleunigen und Effizienz erhöhen. Das ist dringend nötig. Die zu erwartende Zentralisierung digitaler Leistungen des Staates werden den Service verbessern – dieses ist zwar kein Beitrag zur Bürgernähe der Kommunen, aber das ist hinzunehmen.
Welche Beispiele aus Ihrer Zeit als Oberbürgermeister illustrieren die Vorteile einer starken kommunalen Selbstverwaltung?
Die Stärke der kommunalen Selbstverwaltung zeigte sich vor allem bei Krisenreaktionen. Ich denke in Mannheim an die Unterbringung von Geflüchteten, an die Vervielfachung des Personals des Gesundheitsamts sowie dezentrale Impfangebote in benachteiligten Stadtgebieten während der Corona-Pandemie und vor allem an die rasche Umwandlung ehemaliger Militärflächen der US-Armee in neue Stadtquartiere.
Welche Botschaft haben Sie an junge Menschen, damit Ihre Anregungen in künftigen Politikgenerationen verankert und umgesetzt werden?
Einerseits mutig zu sein, sich des eigenen Verstandes zu bedienen und für die gefundenen Ergebnisse auch zu werben. Andererseits lernbereit und demütig zu sein. Vor allem aber, den Erfolg in der Sache zu suchen. Das heißt auch, sich Sachziele wirklich klar machen und sich nicht vorschnell auf Maßnahmen festlegen, weil sie uns politisch „sympathisch“ sind. Aus diesen Mustern müssen wir raus.
Das Gespräch führte Michael Tschugg
Zur Person
Er hätte auch eine Richterkarriere machen können, doch der promovierte Jurist Peter Kurz verließ das Mannheimer Verwaltungsgericht 1999 zugunsten des Mannheimer Bürgermeisterpostens für Bildung, Kultur, Sport und Stadtmarketing. Acht Jahre später wählten die Mannheimer den Sozialdemokraten zum Oberbürgermeister. 2021 wurde er mit dem World Mayor International Award ausgezeichnet. Eine dritte Amtsperiode lehnte der geborene Mannheimer 2023 ab. Kurz war bis dahin auch Präsident des baden-württembergischen Städtetags. Der heute 58-Jährige legte im selben Jahr ein Buch mit dem Titel „Gute Politik – Was wir dafür brauchen“ vor.