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Natur statt Gips: Entringen erhält ein kleines Paradies

Die Eigentumsverhältnisse von Grundstücken sind in vielen Gegenden Baden-Württembergs sehr kleinteilig. Da kann ein größeres Stück Land eines mittlerweile verfüllten Gipsbruchs die Arbeit von Naturschutzbehörden erleichtern.

Der schöne Ort Entringen, Hauptort der Gemeinde Ammerbuch im Kreis Tübingen, kann aus einem ehemaligen Steinbruch ein Refugium für Pflanzen und Tiere machen - durch eine dort errichtete Streuobstwiese.

dpa/ZB/euroluftbild.de/Werner Riehm)

Ammerbuch. Eine Infotafel erinnert an die Vergangenheit. Das sechs Hektar große Gelände bei Ammerbuch-Entringen (Kreis Tübingen) wurde früher von der Familie Schüle zum Gipsabbau genutzt. Dass daraus heute ein Naturreservat mit vielen seltenen Tier- und Pflanzenarten geworden ist, hält man im Landratsamt sowie im Regierungspräsidium Tübingen für einen Glücksfall. Selten kann ein so umfangreiches Gelände in der kleinteiligen Landschaft Baden-Württembergs für den Naturschutz erschlossen werden.

Nach der Schließung des Gipswerks in Entringen 1974 wurde der Gipsbruch als Erddeponie genutzt und nach der Verfüllung der Natur überlassen. Seitdem die Nachkommen der Familie Schüle verstorben sind, kümmert sich die Gips-Schüle-Stiftung mit Sitz in Stuttgart um die Hinterlassenschaft. Ein Konzept, was daraus werden sollte, gab es nicht. „Als ich 2017 das Gelände das erste Mal gesehen hatte, war mein erster, ganz schwäbischer Gedanke: Da muss richtig aufgeräumt werden“, erinnert sich Stefan Hofmann.

Ein totes Gelände mitten im Naturschutzgebiet

„Alles war mit meterhohem Gestrüpp zugewuchert und zum Teil auch vermüllt“, schildert der Vorstand der Gips-Schüle-Stiftung seine Eindrücke – ein totes Gelände inmitten eines Naturschutzgebiets. So reifte bei der Stiftung der Entschluss, das Gelände wieder in eine naturschutzfachlich hochwertige Streuobstwiesen-Landschaft zurück zu verwandeln. Die Voraussetzungen waren da. So konnte die Stiftung gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Einen Beitrag zur Biodiversität leisten und für Erholungssuchende in der Region Stuttgart ein attraktives Naherholungsgebiet schaffen.

Dafür war ein Zusammenspiel mehrerer Akteure notwendig. Gemeinsam mit dem Landratsamt Tübingen und dem Regierungspräsidium Stuttgart wurden die zugewucherten Flächen wieder freigelegt, Büsche gerodet und Gehölz reduziert. Einen Großteil der praktischen Arbeit leistete der Schäfer Paul Lemke. Er arbeitete sich Stück für Stück mit der Motorsäge durchs Gelände. Damit sich das Gelände auch künftig wieder in blühende Landschaften verwandeln kann, schickt er regelmäßig seine 750 Schafen und Ziegen durch das Gebiet.

Eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten ergibt sich daraus. Um auf einem Gebiet Schafe weiden zu können, müssen mit den Grundbesitzern Verträge abgeschlossen werden. Das ist auch für einen Schäfer mühsam. So hat er für eine große Fläche nur mit einem Partner, nämlich der Stiftung, zu tun. Das schätzt auch Ines Aust, die beim Regierungspräsidium Tübingen für den Naturschutz zuständig ist. Sie weist darauf hin, dass das Naturschutzgebiet Schönbuch-Westhang/Ammerbuch aus mehreren Tausend Grundstücken innerhalb einer Fläche von rund 459 Hektar besteht, zum Großteil in der Hand von Privaten.

Kleinteiligkeit der Flächen hat für Natur auch Vorteile

Die größeren und zusammenliegenden Flächen der Gips-Schüle-Stiftung stellen daher laut Aust eine Besonderheit in dem Realteilungsgebiet dar. „Jede Maßnahme muss mit dem Eigentümer abgestimmt werden, vor allem wenn Holz entfernt wird“, erläutert sie und macht eine einfache Rechnung auf: Für 0,5 Hektar rund zehn Personen fragen zu müssen, dauert länger und bindet mehr Personal und Finanzen als mit einem Eigentümer zu sprechen.

Der Normalfall sei, mit vielen Eigentümern zu sprechen und die Pflege oder Bewirtschaftung abzustimmen. Aus der Sicht von Aust hat das Mosaik aber auch Vorteile. Es ist eine naturschutzfachliche Besonderheit, da keine gleichförmige Bewirtschaftung geschieht.

Aber auch Ralf Wegerer sieht die Vorteile eines zusammenhängenden Gebiets. Denn sowohl die stark gefährdeten Streuobstwiesen und Magerwiesen können in größerem Stil wiederhergestellt und geschützt werden, die Hunderte von seltenen Tier- und Pflanzenarten beherbergen wie die Karthäuser-Nelke oder die Skabiosen-Flockenblume. Der Wendehals oder der Halsbandschnäpper sind auf höhlenreiche Bäume angewiesen. Wegerer weist darauf hin, dass die schützenswerten mageren Flachland-Mähwiesen mit großem Artenreichtum vor allem in Baden-Württemberg verbreitet sind.

Mehrere Gebiete überlagern sich

Auch beim Naturschutz überlagern sich die Zuständigkeitsbereiche. So überlappen sich größtenteils in einem insgesamt 150 Quadratkilometer großen Gelände das Naturschutzgebiet „Schönbuch-Westhang/Ammerbuch“, das Vogelschutzgebiet „Schönbuch“ und das FFH-Gebiet „Schönbuch“. Teil dieses Fauna-Flora-Habitat-Gebiets ist der „Gipsbruch Entringen“ der Gips-Schüle-Stiftung.

www.gips-schuele-stiftung.de

Quelle/Autor: Rainer Lang

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