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Neutralität selbst gegenüber nackten Tatsachen

Der Mannheimer Stadtrat Julien Ferrat hat mit einer Veröffentlichung im Amtsblatt Wellen geschlagen.
dpa/Uwe Anspach)Mannheim/Freiburg . Medien haben sich begierig darauf gestürzt. Mitte Mai erschien im M annheimer Amtsblatt der Beitrag von Julien Ferrat, der „Die Mannheimer“ alleine im 49-köpfigen Gemeinderat vertritt. Der Nudist lud zu einer politischen Bildungsfahrt nach Cap d’Adge ein, um dort die FKK- und Swinger-Kultur zu erkunden und Anknüpfungspunkte für Mannheim zu identifizieren.
Was unter dem Versprechen „Geplant ist ein unvergesslicher FKK-Swinger-Urlaub mit interessantem Politik-Programm“ zu verstehen ist, illustrierte der 33-Jährige mit einem Foto, das ihn nackt am Strand zeigt, nur mit dem Schild seiner Wählervereinigung vor der Blöße. Das beflügelte den Boulevard ebenso wie die Lokalpresse und das Fernsehen – für den 33-jährigen Stadtrat ein PR-Erfolg auf ganzer Linie, dem die Rats-CDU nur noch laut ihre Abscheu hinterherrufen konnte: „Zum Fremdschämen“.
Alles war geprüft, alles ist in Ordnung
Dem Aufruhr hätte die Stadtverwaltung einen Riegel vorschieben können, wenn sie die Veröffentlichung unterbunden hätte. Denn es gibt Anhaltspunkte, die dem Redaktionsstatut für das Mannheimer Amtsblatt widersprechen könnten, gerade beim Lokalbezug: Immerhin liegt Mannheim nicht am Mittelmeer, Rhein und Neckar bieten keinen Strand. Die Wortwahl Ferrats – „Urlaub“ – könnte ein Signal dafür sein, dass sich der persönlich erarbeitete Erkenntnisgewinn im Bereich der Lustreise bewegt, und nicht in der Bildungsfahrt. Dennoch ist der Beitrag erschienen. Eine Stadtsprecherin sagt: „Wir haben den Text geprüft. Er entspricht den Regeln des Redaktionsstatuts.“
Ob die Schmallippigkeit durch die Sorge begründet ist, dass es Streit um die Veröffentlichungspraxis geben könnte? Dies kommt immer wieder vor, wie Volker Haug erklärt. Der Professor für öffentliches Recht an der Verwaltungshochschule Ludwigsburg kennt das Gerangel um das Amtsblatt aus eigener Anschauung. Er ist Gemeinderat in Aichwald (Kreis Esslingen). Moralische Aspekte bei Veröffentlichungen im Amtsblatt lehnt der Staatsrechtler dagegen ab.
Aus dem Informationsanspruch der Bürger gegenüber der Gemeinde leite sich die Möglichkeit ab, regelmäßig ein Amtsblatt zu veröffentlichen. So sieht es die Gemeindeordnung in Paragraf 20 vor. Anspruch auf eine Publikation gebe es nicht, so der Jurist. Wenn die Kommune sich aber fürs Amtsblatt entscheidet, gelten Regeln eines Redaktionsstatuts, das besonders die Beiträge der Räte reguliert. So bestimmt es die Häufigkeit und Menge der Texte und ob neben Fraktionen auch Gruppen oder Einzelstadträte veröffentlichen dürfen. In jedem Fall aber müsse ein thematischer Bezug zur Handlungshoheit der Kommune vorliegen.
Es gilt die Neutralität des Herausgebers
Für Haug besonders wichtig: Es gilt die Neutralität des Herausgebers. Moral oder ein ungetrübtes Ansehen der Kommune bleiben außen vor. Allerdings birgt das Zündstoff, denn auch der herausgebende Bürgermeister hat ein Interesse daran, mit dem Amtsblatt einen möglichst positiven Eindruck zu erzeugen. Haug will dieses Interesse gar nicht in Abrede stellen, doch die Fraktionen dürfen Kritik üben und so heile Bilder zerstören. Außerdem verlange das Gesetz von der Kommune etwas anderes: Information, keine Werbung
Während Jurist Haug die Causa in Mannheim nicht im Einzelnen beurteilt, waren seine Kollegen vom Freiburger Verwaltungsgericht in einem anderen Fall genau dazu aufgerufen. Die Redaktion des Freiburger Amtsblattes wartete für die letzte Oktober-Ausgabe 2024 vergeblich auf einen Beitrag für die Rubrik „Aus dem Gemeinderat“. Die AfD-Gruppe war säumig. Erst auf Anfrage flatterte viereinhalb Stunden nach Redaktionsschluss ein Text ins Mailpostfach der Redaktion, der zwei Überfälle in Freiburg mit der steigenden Ausländerkriminalität in Deutschland in Verbindung brachte, die von der BKA-Statistik belegt werde.
Um 20.25 Uhr lehnte die Redaktion den Text ab, er entspreche nicht dem Redaktionsstatut. Bis zum nächsten Morgen um 9 hätten die Autoren Zeit, Ersatz zu liefern. Der vorgesehene Platz im Amtsblatt blieb aber leer. Dafür füllte sich die Akte beim Verwaltungsgericht, die AfD klagte gegen die Zurückweisung, erfolglos. Der Beitrag verstoße gegen das Redaktionsstatut, beschieden die Richter, die der AfD-Anwalt zuvor wegen Befangenheit abgelehnt hatte.
Nur Themen, für die eine Kommune zuständig ist
Die Behauptung, nur die AfD könne eine vernünftige Migrationspolitik und Sicherheit in Freiburg garantieren, wertete das Gericht als verbotene Parteienwerbung. Forderungen wie „es müsse Schluss damit sein, durch die Verteilung von gratis Geld immer mehr ‚Kulturbereicherer‘ anzulocken“, fielen nicht in die Zuständigkeit kommunaler Befassung.
Pressefreiheit oder Zensur seien im Organstreitverfahren nicht einschlägig. Ein Gemeinderat könne so ein Recht gar nicht für sich beanspruchen. Auch der Hinweis, dass andere Beiträge ebenfalls rechtswidrig erschienen seien und daher der Gleichheitsgrundsatz verletzt sei, ließen die Richter nicht gelten. Gleichheit bei der Rechtswidrigkeit könne man nicht verlangen, so das Urteil.
Solche Klagen bilden die Ausnahme. In Freiburg habe es laut Stadt in den vergangenen 25 Jahren wegen einer Veröffentlichung im Amtsblatt keine Klage gegeben. Zwar kommt es gelegentlich zu Verstößen gegen Redaktionsstatute, doch aus Mannheim wie aus Freiburg ist zu hören, dass die Fraktionen kooperativ seien.
Das bewirkt ein Redaktionsstatut
In Amtsblättern veröffentlicht die Kommune alles Wichtige von öffentlichem Belang. Ratsfraktionen haben hier die Chance, ihre Sicht der Dinge den Bürgern der Gemeinde zu erklären, sofern sie dem Redaktionsstatut Rechnung tragen. Das sieht die Gemeindeordnung im Paragraf 20 vor. Statute sind vor allem Instrumente, um den Umfang von Fraktionsbeiträgen zu bestimmen. In Freiburg bekommt jede Gruppe ein Achtundvierzigstel vom vorhandenen Platz für jeden Rat, der zu der Gruppe gehört: ein Quorum nach der Größe des Gremiums. Bestimmte Punkte verbietet das Statut, darunter auch die Parteienwerbung. Diese ist aber von der Eigen-PR der jeweiligen Fraktion zu trennen.