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Essay

Mit Neutralität lässt sich die Demokratie nicht verteidigen

Keine Bevorzugung politischer Parteien durch Amtsträger - das ist der Kern der Neutralitätspflicht, der zum Beispiel auch Rathauschefs unterliegen. Der Grundsatz, dass Bürgermeister im Parteidiskurs mit der Schere im Kopf formulieren müssen, stößt aber aktuell an seine Grenzen.

Ernster Blick von Martin Horn: Den parteilosen Oberbürgermeister von Freiburg hat die AfD wegen einer Äußerung in den sozialen Medien verklagt.

dpa/ROPI/Antonio Pisacreta)

„Keine Stimme den Rechtsextremisten“, fordert Freiburgs parteiloser Oberbürgermeister Martin Horn auf dem Neujahrsempfang und auf Instagram. Prompt schickt ihm der AfD-Kreisverband Mitte Januar zuerst eine Aufforderung, diese Äußerung vor den Kommunal- und Europawahlen nicht mehr zu wiederholen. Als das nicht verfängt, verklagt er den Rathauschef mit einem Eilantrag beim Freiburger Verwaltungsgericht. Neutralitätspflicht lautet das Argument. Horn spricht von Einschüchterungsversuchen der Rechtsaußen-Partei, denen er sich nicht beugen will.

Schieflage soll verhindert werden

Die Pflicht von Amtsträgern, sich aus den parteipolitischen Niederungen herauszuhalten, ist eine komplizierte Sache, die auf Herleitungen aus dem Grundgesetz beruht. Der Wettbewerb unter den Parteien darf durch staatliche Eingriffe nicht verfälscht werden. Hinweise aus dem Rathaus, dem Landratsamt oder einem Ministerium, die eine Partei zu wählen und die andere bitte nicht, bringen diesen Wettbewerb in die Schieflage.

Neutralitätspflicht entwickelt ein hohes Erpressungspotenzial

Doch wie sollen sich Wahlbeamte bei der Wiederwahl der politischen Konkurrenz erwehren? Schweigepflicht wäre auch eine Schieflage, denn Behördenleiter sind oft auch Politiker. Die Janusköpfigkeit, einerseits selbst Behörde, andererseits Politiker, verleiht der Neutralitätspflicht ein hohes Erpressungspotenzial. Um sich am politischen Diskurs beteiligen zu können, müssen Politiker in den Rathäusern Formulierungen finden, die unter ständigem Prüfvorbehalt der politischen Konkurrenz stehen, insbesondere der prozessfreudigen von rechts.

Diplomatischer Aufruf aus dem Raum Stuttgart

So verwiesen 30 Oberbürgermeister aus dem Raum Stuttgart , die sich in einem Appell für einen Schulterschluss der Mitte gegen Rechtspopulisten ausgesprochen haben, auf ihre Neutralitätspflicht – neben der weltanschaulichen Vielfalt der Erstunterzeichner wahrscheinlich ein Grund, warum das Manifest so diplomatisch geraten ist. Und so hat auch Schorndorfs parteiloser OB Bernd Hornikel vor seiner Rede auf der örtlichen Demo gegen rechts seine Eigenschaft als Privatmann betont.

Mehr OB geht nicht in Freiburg

Da war Martin Horn ganz anders unterwegs. Mit Amtskette um den Hals und auf dem vom Rathaus gemanagten Instagram-Kanal haben es die Freiburger quasi amtlich, dass sie keine Rechtsextremisten wählen sollen – mehr OB geht nicht. Doch wer sind diese Rechtsextremisten eigentlich? Die Abkürzung AfD kam Horn in diesem Zusammenhang nie über die Lippen. Dass die AfD sich angesprochen fühlt – ja, getroffene Hunde bellen. Allerdings stand wohl bis zum Rechtsstreit neben der Aufforderung der Zusatz, „Wir sehen gerade den Aufstieg einer Partei, die der Verfassungsschutz in Teilen als gesichert rechtsextremistisch einstuft“. Dieser Fingerzeig auf die AfD ist mittlerweile verschwunden, offenbar um die Lage zu deeskalieren.

Erklingt das Siegesgeheul der AfD?

Trotzdem begibt sich Horn auf unsicheres Terrain. Schon oft sind Politiker dem Neutralitätsgebot nicht gerecht geworden, die Ahnenreihe hat wohlklingende Namen: Angela Merkel, Horst Seehofer, Kölns Oberbürgermeisterin Henriette Reker, sie alle hatten die Infrastruktur ihrer Behörde genutzt, um ihre Ablehnung gegenüber der AfD zu verbreiten und wurden von Gerichten zurückgepfiffen. Ob auch dem Freiburger OB die Wiederholung seiner Aussage verboten wird? Wenn ja, wäre das Siegesgeheul der AfD unüberhörbar.

Schutz des Rechtsstaats für dessen Gegner

Und das ist aktuell das eigentliche Risiko des Neutralitätsgebots. Politische Kräfte nutzen auch diesen Grundsatz, um ihre Distanz zu unserem demokratischen Rechtsstaat unter dessen Schutz frei auszuleben. Amtsträger, die sich gegen diese Kräfte stellen und den Staat schützen wollen, müssen mit der Schere im Kopf formulieren. Zudem ist die Rechtslage von Richterrecht geprägt. Wir brauchen also eine geeignete Normenbasis für diese Frage – klare Regeln.

Verdient die AfD überhaupt noch die Neutralität?

Wenn wir ein Gesetz schreiben, sollten wir klären, ob Problemfälle wie die AfD überhaupt noch die volle Neutralität des Staates verdient haben. Zwar haben wir es hier mit einer Partei zu tun, der die Verfassung Privilegien zubilligt. Andererseits belegen die Befunde etlicher Verfassungsschutzämter, dass AfD-Gliederungen rechtsextremistische Verdachtsfälle oder gar gesichert rechtsextremistisch sind. Dass Amtsträger trotz dieser amtlichen Erkenntnis gerade zur Frage der Demokratie auf Neutralität gegenüber der AfD verpflichtet sein sollen, wäre falsch: Schweigen wird oft als Zustimmung umgedeutet, Rechtspopulisten sind damit bestens vertraut. Wenn es um die Verteidigung der Demokratie geht, ist Neutralität daher das falsche Mittel.

Peter Schwab

Peter Schwab kümmert sich um verschiedene Journale der Zeitung und arbeitet außerdem im Crossmediateam und im Ressort Kreis und Kommune. Schon während seines Jura-Studiums hat er für verschiedene Zeitungen geschrieben, später volontiert und als Lokalredakteur gearbeitet. Nach seiner Zeit als Pressesprecher hat er erneut die Seiten gewechselt und ist 2022 zum Staatsanzeiger gegangen – und damit zum guten alten Journalismus zurückgekehrt.

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