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Unterbringung

Rottenburg hat kein Problem mit Flüchtlingen

In Rottenburg am Neckar ist die Zahl der Geflüchteten wie in anderen Kommunen hoch. Doch laut Oberbürgermeister Stephan Neher (CDU) ist das alles kein Problem, auch weil die Stadt aus den Jahren 2015 und 2016 gelernt hat. Mit seiner Haltung steht er jedoch relativ allein da.

Alles in Ordnung? In Rottenburgs größter Flüchtlingsunterkunft leben rund 100 Menschen.

Achim Zweygarth)

Rottenburg am Neckar. Wohnraummangel? Fehlanzeige. Wütende Bürger? Gibt es in der Bischofsstadt nicht. Und auch die Verwaltung sei nicht überlastet. Es ist in diesen Tagen selten, dass ein Oberbürgermeister über die Flüchtlingssituation in seiner Stadt sagt: „Wir haben die Lage gut im Griff“.

Stephan Neher, Rathauschef in Rottenburg am Neckar im Kreis Tübingen, unterscheidet sich damit von vielen anderen Kommunalpolitikern in ganz Deutschland, auch von seinem Landrat und einem bekannten Bürgermeisterkollegen in unmittelbarer Nähe. Joachim Walter (CDU) warnt als Präsident des Landkreistags vor einer Überforderung der Kommunen und Boris Palmer (parteilos) eckt mitunter mit scharfen Aussagen zur Migrationspolitik an. Beide haben ihren Amtssitz im angrenzenden Tübingen.

Neher hat die Unterbringung schon im Wahlkampf thematisiert

In Rottenburg mit knapp 45 000 Einwohnern scheinen die Uhren etwas anders zu ticken als in der doppelt so großen Universitätsstadt. Neher steht einer konservativ geprägten Kommune vor: Im Gemeinderat ist die CDU deutlich vor den Grünen stärkste Fraktion. Sage und schreibe 17 Ortsteile sorgen für eine ländliche Struktur.

Außerdem ist die Stadt Sitz der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart, die sich in Flüchtlingsfragen zur Hilfsbereitschaft für Schutzsuchende bekennt. Auch Neher bezeichnet „den christlichen Auftrag“ als Ansporn, Geflüchteten zu helfen.

Der ledige Jurist, der ein paar Semester katholische Theologe studiert hat, will am 17. März für eine dritte Amtszeit wiedergewählt werden. Die Unterbringung von Geflüchteten thematisiert er im Wahlkampf, in den er vergangene Woche gestartet ist.

Früh hat der 50-Jährige die Stadt positioniert: Im Jahr 2019 ist Rottenburg der Initiative „Seebrücke“ beigetreten, in der sich Kommunen freiwillig zu mehr Aufnahmen bereiterklären (siehe Kasten).

Ausgerechnet Nehers CDU, einst die Partei des „Wir schaffen das“, setzt sich unter ihrem Vorsitzenden Friedrich Merz vehement für eine Begrenzung der Migration ein – auch mit dem Verweis auf die überlasteten Städte und Gemeinden.

Verzagte Haltung führt zu Politikverdrossenheit

Sein Oberbürgermeister-Kollege Boris Palmer sieht Neher mit seiner Haltung allein auf weiter Flur und verweist auf die Meinung vieler Bürgermeister, dass die Flüchtlingszahlen zu hoch sind. Doch auch Neher würde Anreize, um nach Deutschland zu kommen, reduzieren: etwa durch eine Chipkarte statt Bargeld für Asylbewerber.

Der springende Punkt ist für ihn aber, wie Politiker die Flüchtlingssituation kommunizieren und damit umgehen. So könne die verzagte Haltung eines Rathauschefs zur Politikverdrossenheit führen (siehe Interview) . „Zumindest in Rottenburg gibt es keine Situation, wo man die Lage nicht im Griff hätte“.

Damit es gut läuft, habe die Stadt einiges getan. Und deshalb beschreibt Neher nicht die Grenzen des Machbaren, wenn man ihn nach der Lage in Rottenburg fragt, er erzählt von Erfolgen statt von Krisen: Mit Beginn des Ukraine-Kriegs konnten die Rathaus-Mitarbeiter auf die Erfahrungen der Jahre 2015 und 2016 zurückgreifen. Ein Koordinator kümmert sich seit dieser Zeit um das ehrenamtliche Engagement. Nach dem Kriegsbeginn hat die Stadt angebotene Wohnungen über die Ortsteile schnell angemietet, damit die Hilfsbereitschaft nicht abebbt.

Stadt hat insgesamt 129 Wohnungen angemietet

Die Stadt setzte 2022 einmal mehr auf dezentrale Strukturen in den Ortschaften, wodurch die Integration von Geflüchteten besser gelingen kann als in großen Unterkünften. Aktuell leben in Rottenburg rund 1800 Geflüchtete. Davon sind rund 660 in städtischer Obhut, wovon nur rund 100 Personen in größeren Einheiten wohnen. Insgesamt 129 Wohnungen für rund 550 Menschen wurden angemietet. Neher verweist auf die wesentlich größere Landeshauptstadt, die 141 Wohnungen für die Unterbringung vorhalte.

Gibt es im ländlichen Rottenburg nicht mehr leere und bezahlbare Wohnungen als in größeren Städten? Ja, räumt der Rathauschef ein, die Stadt baue aber auch selbst. Durch die Wohnbau würden jährlich 30 Wohnungen entstehen.

Für die Integration war es Neher immer wichtig, dass jedes Kind schnell in die Kita oder die Schule gehen kann. Dafür gibt es in jeder Ortschaft eine Kita, insgesamt hat die Stadt 15 Grundschulen. Mit der Volkshochschule hat Rottenburg nach Kriegsbeginn vereinbart, dass sie so viele Kurse wie möglich anbietet, neben Sprachkursen auch Integrationskurse und Alphabetisierungskurse. „Auch die Erwachsenen sollten so schnell wie möglich in den Deutschkurs, unabhängig davon, wie lange sie bleiben dürfen oder wie auch immer die Situation sich weiterentwickelt“, betont er.

Zumindest in dieser Frage der Integration hört sich der Rottenburger Rathauschef fast so streng an wie sein Amtskollege in Tübingen.

Philipp Rudolf

Redakteur Kreis und Kommune

0711 66601-184

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