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Eingewanderte Arten

Warum sich Robinie, Götterbaum & Co hier heimisch fühlen

Nicht nur in Wirtschaft, Wissenschaft und Medien ist Globalisierung ein Thema, sondern auch im Natur- und Pflanzenschutz. Mit einem weltweit wachsenden Waren- und Reiseverkehr gelangen Pflanzen und Tiere über weite Strecken in Regionen, in denen sie ursprünglich nicht heimisch sind. Auch in Baden-Württemberg sorgen gebietsfremde Arten teilweise für massive Probleme.

Der Götterbaum kommt immer häufiger vor in unseren Breiten.

Dieter Möbus)

Stuttgart. Städte sind Hotspots für Arten aus fremden Ländern. Experten wie der Biologie Thomas Steinlein von der Uni Bielefeld gehen davon aus, dass mehr als ein Drittel der in Großstadtzentren vorkommenden Pflanzen aus dem Ausland stammen. Durch die fortschreitende Globalisierung der Märkte, die Zunahme des weltweiten Güter- und Reiseverkehrs gelangen Pflanzen, Tiere, Pilze und Mikroorganismen in Regionen, die sie auf natürliche Weise nie und schon gar nicht in diesem Tempo erreicht hätten. All das kulminiert dem Forscher zufolge in urbanen Ballungsräumen.

Invasoren lieben oft die Wärme

Die meisten bei uns vorkommenden Neobiota sind wärmeliebend. Gemeint sind gebietsfremde Spezies, die nach der Entdeckung Amerikas 1492 durch Kolumbus mit dem Menschen unbeabsichtigt oder ganz bewusst nach Deutschland kamen. Sie stammen laut Steinlein überwiegend aus südlichen Ländern – ein wärmeres Klima kommt ihnen entgegen. Genau das finden sie vor allem in Städten, die durch dichte Bebauung, mangelnde Vegetation, Emissionen von Luftschadstoffen und Abwärme aus Haushalten, Industrie und Verkehr im Jahresmittel um bis zu zehn Grad höhere Temperaturen aufweisen als das Umland, so der Fachmann.

Die wenigsten Neuankömmlinge sind problematisch

Pflanzen kämen die trockenen und basenreichen Böden, die für Städte charakteristisch sind, entgegen. Bautätigkeit und Grünflächenpflege förderten offene Pionierstandorte, die mit keiner oder wenig Vegetation besiedelt seien und oft keine durchgehende Bodenkrume haben. Da die meisten eingeschleppten Pflanzen in ihren Ursprungsgebieten unter derartigen Bedingungen gedeihen, finden sie laut Steinlein auch in baden-württembergischen Städten gute Voraussetzungen zur Ansiedlung und Ausbreitung. Beispiele sind Götterbaum, Hanfpalme oder auch der Blauglockenbaum.

Einwanderer reichert Böden mit Stickstoff an

Die wenigsten Neuankömmlinge sorgen dem Bundesamt für Naturschutz (BfN) zufolge für Probleme. Trotzdem gebe es Fälle in denen es zu unerwünschten Auswirkungen kommt. Ein Beispiel ist laut Alexandra Ickes vom Nabu Baden-Württemberg die aus Nordamerika stammende Robinie, die ursprünglich vor allem in Gärten und Parks gepflanzt worden sei. Von dort hat sie sich in der freien Landschaft ausgebreitet, wo sie auf naturschutzfachlich wertvollem Trocken-, Steppen- und Sandmagerrasen vorkommt. „Dort reichert sie den Boden mit Stickstoff an. Viele, auch gefährdete Pflanzen, von denen teils hochspezialisierte Insekten abhängig sind, verlieren so ihren Lebensraum“, sagt Ickes. „So können Neobiota auch eine Gefahr für die indigene Biodiversität darstellen.“

Ökologische Nischen befördern die Entwicklung

Erfolgreich etablierte Neobionten haben der Expertin zufolge hierzulande ökologische Nischen für ihre Entwicklung entdeckt. Etwa weil sie Ressourcen nutzen, die heimischen Lebewesen verschlossen sind, oder weil natürliche Gegenspieler wie Krankheitserreger, Parasiten oder Fressfeinde fehlen, so die Fachfrau weiter. Aber auch Arteigenschaften wie schnelle Fortpflanzungsraten, starke Wuchskraft oder eine evolutionär bedingt gute Anpassungsfähigkeit an menschliche Einflüsse machen Neobionten laut Ickes oft so stark, dass die Einwanderung gelingt.

Ameisen lösen Stromausfälle aus

Deutlich wird das auch in Kehl (Ortenaukreis). Dort drangen Ameisen der als invasiv geltenden Art Tapinoma magnum in Häuser ein, lösten Stromausfälle aus , verursachten Internetstörungen und zerstörten Fugen einer Gartenmauer. Obendrein haben die Insekten einen Kinderspielplatz unterhöhlt, worauf er wegen Unfallgefahr geschlossen wurde. Außer in Kehl, wo man die Nester mit heißem Wasser bekämpft, wurde die aus dem Mittelmeerraum stammende Art auch in Lörrach, Schutterwald, Karlsruhe, Weinheim, Heidelberg und Ketsch gesichtet.

Gebetene Gäste sollen ungebetene Gäste im Zaum halten

Viele invasive Arten haben hierzulande keine natürlichen Gegenspieler, die die Bestände eindämmen, wie Johannes Steidle von der Uni Hohenheim berichtet. Eine wirkungsvolle Bekämpfung wäre aus Sicht des Ökologen, Nützlinge aus den Ursprungsgebieten nachzuführen, zumindest dann, wenn alle anderen Optionen ausgeschöpft sind. Dazu sei eine wissenschaftliche Vorbereitung nötig, um sicherzustellen, dass die nachgeführten Antagonisten nicht zu unerwünschten Auswirkungen führen. Diese Form der biologischen Schädlingsbekämpfung werde in den zuständigen Stellen aber kritisch gesehen. Mit der Anpassung vieler Kommunen an den Klimawandel wird laut Steidle versucht, heimische Straßen- und Parkbaumarten durch hitze- und trockentolerantere Exoten zu ersetzen. Dazu gehören aber auch Robinie und Roteiche, die gelegentlich invasiv in die Landschaft vordringen.

Exoten bieten heimischen Arten oft keinen Nutzen

Für pflanzenfressende Insekten seien die Exoten nahezu bedeutungslos, da sie ihnen vielfach weder Nahrung noch Lebensraum böten. Um das Insektensterben zu bekämpfen, sei es besser, die Standortbedingungen für heimische Gehölze zu verbessern oder Bäume aus dem Mittelmeerraum zu wählen, die wegen ihrer engen Verwandtschaft zu einheimischen Arten zum Erhalt der hiesigen Insektenvielfalt beitragen können. Da Städte in manchen Bereichen eine höhere Biodiversität aufweisen als Agrarlandschaften, stehen sie aus Sicht der Forscher beim Management gebietsfremder Arten in einer besonderen Verantwortung.

Mit den Römern kamen die Apfelbäume

Spezies, die sich fern ihrer Heimat in Lebensräumen etablieren, sind nichts Neues. Die meisten Pflanzen wanderten nach der letzten Eiszeit auf natürliche Weise neu in Mitteleuropa und Deutschland ein. Seit Beginn des Ackerbaus in der Jungsteinzeit bringen Menschen gebietsfremde Arten in neue Umgebungen. Obstsorten wie Apfel, Birne oder Pflaume und Heilpflanzen wie Kornrade oder Echte Kamille kamen mit den Römern hierher. Längst haben sie sich als Bereicherung der heimischen Flora und Fauna etabliert. Die Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 ist der Ausgangspunkt praktisch uneingeschränkter Mobilität und stark intensivierter Handelsbeziehungen über Kontinente hinweg. Seither sind rund 12  000 fremde Pflanzen- und 1000 fremde Tierarten nach Europa gelangt. Etwa 1015, also etwa ein Prozent des gesamten Artenbestands, konnten sich laut dem Bundesamt für Naturschutz in Deutschland dauerhaft etablieren.

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