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Delegationsreise

Kretschmann im Elsass: Vom Hartmannswillerkopf bis zu Quantenforschung und Militärtechnik

Bei seiner letzten großen Auslandsreise vor der Landtagswahl reist Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ins Elsass. Dort gedenkt er der Gefallenen, warnt vor Nationalismus und spricht mit seinen Gesprächspartnern über Forschung und Grenzkontrollen.
Drei Personen in einer Kirche, eine zeigt mit dem Finger, eine trägt Kopfhörer.

Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) steht im Rahmen einer Delegationsreise im Straßburger Münster.

dpa/Marijan Murat)

Straßburg/Zürich. Winfried Kretschmann steht hier auf der Bergspitze des Hartmannswillerkopfes im südlichen Elsaß. Vor 110 Jahren haben hier entsetzliche Kämpfe stattgefunden: Franzosen und Deutsche lagen in Schützengraben, haben sich mit Granatenhagel eingedeckt oder mit brennenden Flüssigkeiten überschüttet. Zehntausende ließen im Ersten Weltkrieg hier sinnlos ihr Leben.

Unter den Toten am Hartmannswillerkopf war auch Xavher Hanselman, der Bruder des Großvaters von Kretschmanns Ehefrau Gerlinde. „Wir haben davon erst spät erfahren, als ein Verwandter auf dem Sterbebett davon erzählt hat“, sagt der Ministerpräsident in seiner Rede an der neuen Gedenkstätte. Die Geschichte war besonders tragisch: Seine Frau, also Gerlinde Kretschmanns Großmutter, hatte bei einem Heimaturlaub die Uniform versteckt, in der irrigen Hoffnung, ihr Mann müsse dann nicht zurück in den Krieg. Er kam zu spät und ohne Uniform, wurde zur Strafe auf eine Patrouille geschickt – und dort getötet.

Erinnerung an die Schrecken des Krieges

„Europa ist ein Versprechen, dass sich Deutsche und Franzosen nie wieder so gegenüberstehen“, sagt Franck Leroy, der Regionalpräsident der Region Grand Est, das Pendant Kretschmanns auf der anderen Seite des Rheins. Und der 77-jährige Ministerpräsident ist sichtlich bewegt, als er einen Kranz niederlegt über gemeinsamen Gräbern von Soldaten beider Länder. Vor zehn Jahren war er schon einmal hier, als die Präsidenten Joachim Gauck und Francois Hollande den Grundstein für die Gedenkstätte setzten.

Es ist kein Zufall, dass Winfried Kretschmann auf der letzten großen Auslandsreise bis zur Landtagswahl diesen Ort ausgewählt hat. Sein Sohn Johannes hat das Grab seines Urgroßonkels ausfindig gemacht. So schließt sich ein Kreis gegen Ende der Amtszeit von Winfried Kretschmann.  

Und doch blickt der grüne Langzeitregent nicht nur zurück, sondern nimmt zur Kenntnis, dass in der Ukraine sich der Schrecken des Weltkrieges wiederholt. „Die Lehre von Hartmannswiller ist nicht, dass wir gegen jeden Krieg sind“, sagt er. Gegen den brutalen Aggressor Russland müsse sich die Ukraine verteidigen.  

Winfried Kretschmann (Grüne) steht am zweiten Tag der Delegationsreise im Rahmen eines Besuches der Gedenkstätte Hartmannswillerkopf in der Krypta vor Kränzen.
dpa/Marijan Murat)

Kretschmann warnt vor neuem Nationalismus

Es sind geopolitisch schwierige Zeiten, in denen die Amtszeit von Kretschmann ausläuft. Dass die deutsch-französische Aussöhnung hier noch einmal betont wird, ist auch ein Gegenpol gegen den neuen Nationalismus, der allerorten aufkeimt. Kretschmann nennt ihn „das gefährlichste Gift der Moderne“. Das Verhältnis zu den elsässischen Regionalpräsidenten hat er immer gepflegt, man duzt sich, spricht sich mit „lieber Franck“ und „lieber Winfried“ an. Am ersten Abend bei einem großen Dinner in Straßburg findet Franck Leroy dann auch sehr persönliche Worte: „Wir sind dir dankbar für das, was du für unsere beiden Länder getan hast.“ Die Beziehung zwischen dem Grand Est und Baden-Württemberg sei ein Modell europäischer Zusammenarbeit.  

Und dennoch spielt die Weltlage selbst in dieses harmonische Binnenverhältnis hinein. Hinter verschlossenen Türen bei politischen Gesprächen mit Regionalpräsident Leroy und dem Präfekten der Region, Jaques Witkowski als Vertreter der Zentralverwaltung in Paris, gab es durchaus kontroverse Themen. Allen voran die Grenzkontrollen etwa in Kehl , die für viele Grenzpendler ein Ärgernis sind. Wie zu hören ist, gab es hier deutlich artikulierten Unmut der französischen Partner. Für besondere Aufwallung haben Kontrollen am Nationalfeiertag, dem 14. Juli gesorgt. Es gibt Verspätungen, Züge werden verpasst, man fühlt sich schikaniert.

Ärger um Grenzkontrollen

Passend dazu hat der ebenfalls mitreisende Europa-Staatssekretär Florian Hassler (Grüne) einen Brief an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) geschrieben, in dem er Ausnahmen für die besondere Situation im Oberrheintal fordert. Auch Kretschmann wird deutlich: „Das kann kein Dauerzustand sein.“ Mindestens mehr Augenmaß, Ausnahmen für tägliche Grenzpendler und Kennzeichenerfassung. Zwar trägt der grüne Regierungschef die Grenzpolitik mit, um die Migration zu regulieren, aber auch um der AfD den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Aber gerade hier, an einer Grenze zweier wirtschaftsstarker Regionen, scheint die Symbolpolitik besonders wenig praktikabel. Umgekehrt will die deutsche Seite, dass Handwerker weniger Hürden in Frankreich meistern müssen, wenn sie Aufträge annehmen. 

Trotz dieser Irritationen wird gerade an dieser Gedenkstätte Hartmannswiller deutlich, wie stabil die deutsch-französische Freundschaft im Allgemeinen und die zwischen Baden-Württemberg und dem Elsaß im Besonderen ist. Beim Besuch im Straßburger Münster am ersten Besuchstag gibt es wieder so einen Moment, der Kretschmann ehrlich bewegt. „Das Münster ist mein Lieblingsplatz im Elsaß, ich kann es gar nicht oft genug sehen“, sagt er. Mit Franck Leroy lässt er sich vor allem die Gestaltung der Kirchenfenster genau erklären, von dem – elsässisch sprechenden – Domherr Diedier Munzinger erhält er einen Bildband von seinem Lieblingsmünster. Ein Fenster schaut Kretschmann besonders lange an: das mit der Darstellung des Teufels, der allerdings nicht Erwin heißt.  

Auch hier fasziniert Kretschmann die Geschichte, schließlich wurde das Münster im 14. Jahrhundert von den Bürgern ohne die Kirche erbaut, weit vor der französischen Revolution. Und in der neusten Kretschmann-Biografie von Dagmar Seitzer hat der Noch-Ministerpräsident bekanntlich erklärt, er könne sich im Ruhestand gut als Führer durch Kirchen in Oberschwaben vorstellen.  

Quantenforschung als Zukunftsthema

Doch die Reise hat keineswegs nur retrospektivischen Charakter – Kretschmann will nicht an seinem Denkmal arbeiten, sondern bis zum letzten Amtstag als zupackender Regierungschef wahrgenommen werden. Und so wird in Straßburg eine Kooperation der dortigen Universität mit der in Ulm vereinbart – zum Zukunftsthema Quantenmechanik. Mit dabei ist auch Wissenschaftsministerin Petra Olschowski (Grüne). Und der Ulmer Institutsleiter Joachim Ankerhold: „Wir wollen junge Menschen für diese Disziplin interessieren.“ Aber was genau wird hier erforscht?  

Das ist reichlich schwer zu erklären. Die Elementarteilchen werden in einer „Ionenfalle“ gefangen und gruppiert, es geht um die winzigsten Teilchen der Materie. „Mir hat das ein Experte mal so erklärt: Da steht ein Regal, und in der Quantenforschung springen wir zwischen die Fächer“, sagt die mitreisende Göppinger Abgeordnete Sarah Schweizer (CDU).

Und die praktische Anwendung? Man kann die mysteriöse Dunkle Materie untersuchen, die im Universum überall sein soll. Oder irgendwann superschnelle Quantencomputer erschaffen, fast schon Science Fiction. „Wir wollen alle Kanäle nutzen, um die Forschung und den akademischen Austausch voranzubringen“, sagt Ministerin Petra Olschowski.  

Winfried Kretschmann (links) und Franck Leroy, Präsident der Region Grand Est, stehen in einem Labor des Centre Européen des Sciences Quantiques (CESQ).
dpa/Marijan Murat)

Militärforschung im Zeichen neuer Bedrohungen

Am nächsten Tag geht es um Forschung, die ebenfalls der neuen Weltlage geschuldet ist: In Saint Louis nahe Mulhouse besucht die Delegation das binationale Militärforschungsinstitut ISL. Es wird von Deutschland und Frankreich finanziert, und forscht ausschließlich für die beiden Armeen. Die Sicherheitskontrollen sind streng, Ausweise müssen an der Pforte abgegeben werden, Fotos sind nicht erlaubt. Warum, das sehen Kretschmann und Olschowski in einer riesigen Halle.  

Dort steht eine 50 Meter lange Elektro-Abschussrampe, auf der ein riesiger Elektromotor gigantische Mengen Energie von vielen Gigawatt freisetzt, um ein Projektil auf 3000 Meter pro Sekunde zu beschleunigen. Aus Sicherheitsgründen sieht man das nur im Video: Es blitzt und knallt, Lichtbögen bilden sich, und mit unfassbarem Tempo rast das Projektil in einen blauen Stahltank, wo es aufgefangen wird. „Wir können hier schneller schießen als die US-Army auf ihren Schiffen mit Maschinengewehren“, sagt Bernd Fischer, der deutsche Leiter des Labors. Mit Rüstungsfirmen ist man schon im Dialog, hier wird nur Grundlagenforschung betrieben.  

Noch relevanter auch für aktuelle Kriege wie in der Ukraine sind die Drohnen. Hier forscht man an günstigen Lösungen. „Mit einer Rakete, die 1,3 Millionen Euro kostet, eine Drohne für 50 000 Euro abzuschießen, das kann nicht die Lösung sein“, sagt Winfried Kretschmann. Ein grüner Politiker, der mehr und bessere Rüstung fordert, daran muss man sich immer noch gewöhnen.

Doch am ISL gibt es schon Projekte, wie Drohnen kurz aufsteigen, dann wie ein Flugzeug gerade fliegen, um dann im 90-Grad-Winkel sich auf Panzer zu stürzen. Günstig und effektiv. Oder ganze Drohnenschwärme, die sich mit Künstlicher Intelligenz selbst organisieren und andere Drohnen abfangen. „Schon beeindruckend, über welche Technologie wir hier reden, und leider auch reden müssen“, sagt der Singener SPD-Landtagsabgeordnete Hans-Peter Storz, der für die Opposition mitreist.

Innovationscampus soll Kräfte im Südwesten bündeln

Die Wissenschaftsministerin Petra Olschowski arbeitet daran, nicht nur den Südwesten mit dem Elsaß zu vernetzen. „Wir müssen die Player auch in Baden-Württemberg erst einmal zusammenbringen“, sagt sie. Die gibt es zuhauf: Die Universitäten wie in Stuttgart , deren Rektor Peter Middendorf mit dabei ist. Die vielen Fraunhofer-Institute, aber auch Rüstungsfirmen wie Diehl oder Rheinmetall. Die Ministerin will alle mit einem „Innovationscampus“ vernetzen, auch der Ministerialdirektor Michael Kleiner vom Wirtschaftsministerium hört aufmerksam zu. Schließlich wird durch das Sondervermögen für die Bundeswehr viel Geld investiert – mancher wegfallende Arbeitsplatz in der Automobilindustrie könnte vielleicht hier substituiert werden.  

Dann reist die Delegation mit dem Ministerpräsidenten weiter nach Zürich, wo es um Luft- und Raumfahrtforschung geht. Kretschmann trifft den Kantonspräsidenten Martin Neukom. Auch hier kennt und schätzt man sich, das Verhältnis zur Schweiz ist allerdings anders. Von Fluglärmstreit bis hin zum Endlager nahe der deutschen Grenze, und nicht verlängerte Kooperationsverträge. Doch die Gemeinsamkeiten wachsen wieder, auch weil Donald Trumps Zollchaos die Eidgenossen besonders hart trifft. „Multilateralismus beginnt nicht in Genf oder Brüssel, sondern im regionalen Kontext – dort, wo Vertrauen und gemeinsame Interessen aufeinandertreffen“, sagt Martin Neukom. In der Krise rücken auch Baden-Württemberg und die Schweiz enger zusammen.  

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