Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Das Intendantenmodell kommt auf den Prüfstand

Derzeit läuft am Theater Konstanz das Stück „Forecast: Ödipus - Living on a damaged planet“ von Thomas Köck.
Ilja Mess Fotografie)Konstanz. „Theaterarbeit inklusiver, demokratischer und innovativer gestalten“: Das Theater Konstanz stellt mit dem Projekt „Rollenwandel“ die althergebrachten Strukturen des patriarchal geprägten Intendantentheaters auf den Prüfstand. „Wir wollen wirklich Mitsprache im Theater möglich machen“, sagt Dramaturgin Maike Sasse, die gemeinsam mit Intendantin Karin Becker das Projekt angestoßen hat.
Damit zeigt sich das Theater Konstanz am Puls der Zeit. Seit der MeToo-Debatte ist der – auch sexualisierte – Machtmissbrauch im Kulturbetrieb, hauptsächlich in Theater und Film, ein Thema. Dass sich die Situation trotz vieler Diskussionen wenig ändert, zeigte etwa die Dokumentation „Gegen das Schweigen – Machtmissbrauch bei Theater und Film“ von Kira Gantner im Dezember 2024 im NDR-Fernsehen. Nach wie vor sind strukturelle Machtgefälle und das bewusste Ausnutzen dieser Macht an der Tagesordnung.
Studie zeigt, Theaterstrukturen befördern Machtmissbrauch
„Macht“ ist das struktur- und organisationsbildende Prinzip am Theater, hatte Thomas Schmidt von der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt/Main in einem Beitrag für die „Zeitschrift für Kulturmanagement“ 2019 festgestellt. Grundlage war die Studie „Kunst und Macht am Theater“, für die rund 2000 Mitarbeitende an Theatern befragt wurden. Fazit: Über 50 Prozent der Teilnehmer waren in ihrer Karriere mindestens einmal Machtmissbrauch ausgesetzt. „Die Theater sind strukturell so aufgestellt, dass sie den Missbrauch von Macht befördern, zudem fehlen Leitbilder und Verhaltenskodizes, um den Gebrauch von Macht zu regulieren“, so Schmidt.
„Rollenwandel“ am Theater Konstanz setzt hier an, weil es eben nicht nur um die Machtbeziehung Einzelner geht, sondern die Institution dahinter Teil der Situation ist, in der Machtmissbrauch stattfinden kann – oder eine Arbeitssituation geschaffen werden kann, die von Wertschätzung getragen ist. „Ziel des Projekts ist es“, so Sasse, „die etablierten Strukturen und Entscheidungsprozesse des Theaterbetriebs zu untersuchen und durch Partizipation, echte Machtabgabe und Entscheidungsverantwortung auf allen Ebenen zu höchster Ergebnisqualität zu gelangen.“ Die Organisationsentwicklerin und Coachin Charlotte Koppenhöfer begleitet und berät die Teilnehmenden. Denn der Prozess stellt Althergebrachtes und Gewohntes infrage.
Das Theater Konstanz beginnt keineswegs bei null. Es gebe, so Sasse, zu jeder Produktion ein Nachgespräch mit allen Gewerken, Schauspielern und Beteiligten oder nach Premieren ein Format, um die ästhetisch-künstlerische Umsetzung zu reflektieren. Ergebnisse werden in der Spielplangestaltung aufgenommen.
Alle Mitarbeitenden können sich bei der Produktion mit einbringen
„Rollenwandel“ geht einen Schritt weiter. Von den Gewerken über die Verwaltung bis hin zum Schauspielensemble – alle interessierten Mitarbeitenden können sich einbringen. „Gemeinsam wird entschieden, welches Stück gespielt wird, welches Regieteam dafür engagiert wird und welche Spielenden auf der Bühne stehen werden. Ich gebe gerne Verantwortung ab“, so Intendantin Becker. Weniger Hierarchie, bedeutet aber auch mehr Eigenverantwortung. Für das Team stellt sich dann Fragen: Wie organisieren wir uns? Wie kommen wir zu fairen und künstlerisch wertvollen Entscheidungen? Welche Aufgaben werden wie verteilt?
Als Nebeneffekt entstehen gegenseitige Anerkennung, Verständnis und Wertschätzung für die Arbeit des Anderen, weil Prozesse transparenter werden. Wie sich das im Projekt Erarbeitete in den Theaterbetrieb, in andere Produktionen integrieren lässt, muss sich erst noch zeigen.
Theater Konstanz leistet mit „Rollenwandel“ Pionierarbeit
Laut der Coachin Charlotte Koppenhöfer leistet das Theater Konstanz mit „Rollenwandel“ Pionierarbeit. Es gehe um „verantwortungsvollen Machtgebrauch“, Organisation und Struktur des Theaters und die Handelnden werden hinterfragt. Die Leitung wage sich daran, Entscheidungsmacht und -verantwortung abzugeben. Das habe Auswirkungen auf die Unternehmenskultur. Gefördert wird das Projekt durch den Innovationsfonds Kunst des Kunstministeriums.