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Schutz von Kulturgütern

Naturkatastrophen und Kriege: Noch viele weiße Flecken in der Kultur-Notfallhilfe

Im Land gibt es fünf Notfallverbünde, in denen sich Archive und Museen zur gegenseitigen Unterstützung im Notfall zusammengeschlossen haben. Doch es gibt auch viele weiße Flecken. Dort fehlt ein Bindeglied zwischen Kultureinrichtungen und Rettungsdiensten im Krisenfall.

Wie können Kulturgüter bei Naturereignissen - zum Beispiel Übrschwemmungen wie an der Eifel - noch besser geschützt werden?

dpa/ Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres)

Stuttgart. „Zerstört, geplündert, der Witterung ausgesetzt“: Mit diesem Hilferuf haben die Arolsen Archives Ende November auf die Not ukrainischer Archive aufmerksam gemacht. Deren Gebäude und Bestände sind immer wieder Ziel im russischen Angriffskrieg. „Das kulturelle Gedächtnis der Ukraine ist in akuter Gefahr“, heißt es in der Pressemitteilung. Das betrifft auch Teile der deutschen Geschichte, denn in den Archiven sind Dokumente aus der NS-Zeit und damaliger NS-Verbrechen.

Dass Kulturgüter durch Naturkatastrophen und kriegerische Ereignisse bedroht sind, war hierzulande lange nicht im Fokus. Erst nach Ereignissen wie dem Elbhochwasser, der Zerstörung des Kölner Stadtarchivs oder dem Brand in der Anna-Amalia-Bibliothek wurden verstärkt Maßnahmen ergriffen, um Kultureinrichtungen auf Notfälle vorzubereiten.

Vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe gibt es ein Positionspapier zum Risiko- und Krisenmanagement in Kulturgut bewahrenden Einrichtungen. Auf Bundesebene wurde 2011 die Koordinierungsstelle für die Erhaltung des schriftlichen Kulturguts gegründet, die den Aufbau von Notfallverbünden unterstützt.

Im Land gibt es fünf Notfallverbünde: In Freiburg hat sich 2021 das Bundesarchiv mit vier weiteren Archiven und dem Zentrum für Populäre Kultur und Musik zusammengeschlossen. In Karlsruhe, mit Gründung 2011 der älteste im Land, sind es elf Archive und Museen. Der Notfallverbund Landkreis Konstanz (2019) ist der einzige, der in die Fläche ausgreift. In Stuttgart haben sich 16 Einrichtungen zusammengetan. Der Notfallverbund Archive Rhein-Neckar hat Vereinsmitglieder über Bundesländergrenzen hinweg.

Die fünf Notfallverbünde im Land haben Ende 2022 eine AG gegründet

Ende 2022 haben die fünf Notfallverbünde eine Arbeitsgemeinschaft gebildet. „Die AG soll die Themen bearbeiten, die alle betreffen“, sagt Dietmar Cramer, Senior Officer Company Archives im Unternehmensarchiv von Heidelberg Materials. Dabei geht es um scheinbar kleine Dinge: etwa die Harmonisierung der Farbe der Warnweste, die den Kulturgutsachverständigen für die Feuerwehr kenntlich macht. Doch es geht auch um die Organisation von Tagungen oder den Kontakt zum Denkmalamt, um auf der für Denkmale erstellten Hochwasserkartierung für Archivgut sichere Bergeorte zu eruieren. „Jeder Notfallverbund plant erst mal für sich“, so Cramer. Im Stuttgarter Verbund etwa hat man festgelegt: „Unter Beibehaltung der institutionellen und inhaltlichen Eigenständigkeit der Partner besteht die Zielstellung des Notfallverbunds darin, die bestehenden Ressourcen im Rahmen der jeweiligen Möglichkeiten in einem eventuell eintretenden Notfall zum Schutz des Kulturgutes zusammenzuschließen und die zu leistenden Aufgaben in gegenseitiger Unterstützung zu bewältigen.“

Den Häusern fehlt oft auch die Ausstattung für eine Erstversorgung

Im Raum Stuttgart und in der Metropolregion Rhein-Neckar halten die Kultureinrichtungen und Rettungskräfte immer wieder Notfallübungen ab. „Doch die Notfallnetzwerke im Land umfassen nur rund 100 Institutionen“, meint Cramer. „Es gibt noch sehr viele weiße Flecken.“

Ein anderes Problem ist die Ausstattung. Für die Erstversorgung von verunreinigten Dokumenten ist schnelles Handeln erforderlich. Dazu dient ein Rettungscontainer mit separater Wasserversorgung, in dem Papierdokumente erstgereinigt und für die Tiefkühlung vorbereitet werden. „Wenn Papier nass und verunreinigt ist, sind die ersten 24 Stunden entscheidend“, so Cramer. „Das Land hat dieses wichtige Bergeinstrument nicht finanziert.“ Nun wird ein Container, der rund 150 000 Euro kostet, über die Württembergische Landesbibliothek angeschafft. Thüringen habe fünf davon.

Während die Zusammenarbeit zwischen Archiven, Museen und den örtlichen Feuerwehren funktioniert, sieht Cramer im Bereich der „weißen Flecken“ eine Organisationslücke. Es gebe kein übergeordnetes Bindeglied, das die Erfordernisse der Institutionen und die Kompetenzen der Rettungsdienste verknüpft. „Hier wäre die Zusammenarbeit mit dem Land wichtig“, so Cramer. „Die institutionenübergreifende Information und Zusammenarbeit muss wachsen.“

Studie zu den bundesweit rund 60 Notfallverbünden

In einer aktuellen Studie hat die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina die Situation der rund 60 Notfallverbünde bundesweit untersucht.

Herausforderungen seien die Erstellung von Notfallplänen und die Zusammenarbeit mit Feuerwehr und Katastrophenschutz. Grundsätzlich sei nur ein Fortschritt zu erzielen, wenn die Verantwortlichen auf Trägerseite aktiv einbezogen werden und es gelingt, Entscheidungspersonen in Politik und Verwaltung für den Kulturgutschutz zu sensibilisieren, so die Studienautoren.

Beate Mehlin

Korrektorat und freie Mitarbeiterin beim Staatsanzeiger

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