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Interview

Sascha Binder: „Da wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht“

Der SPD-Abgeordnete Sascha Binder bezweifelt, dass die vom Landessportverband eingesetzte Kommission die Missstände im Turnsport wirklich aufklären wird. Diese waren Ende vergangenen Jahres von Turnerinnen öffentlich gemacht worden. In der Sitzung des Bildungsausschusses hatte ein Mitglied der Kommission, die Professorin und Sportwissenschaftlerin Carmen Borggrefe, über die Arbeit berichtet.
Mann im Anzug spricht, hält Brille in der Hand, Namensschild auf Jacke.

Der SPD-Abgeordnete und Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Sascha Binder, ist nicht zufrieden. Er hält die Aufklärungsarbeit im bei den Missständen im Turnsport für nicht zielführend.

IMAGO/Achim Zweygarth)

Staatsanzeiger: Sie haben die Aufklärungsarbeit durch den Landessportverband als gescheitert bezeichnet. Was läuft aus Ihrer Sicht schief?

Sascha Binder: Mehrere Dinge. Ich glaube, dass diese Herangehensweise nicht wirklich Vertrauen schafft. Die Erwartungshaltung des Kultusministeriums und des Parlaments war eine Aufklärung aller Versäumnisse. Die Vertreterin der Kommission hat im Ausschuss dazu allerdings nichts gesagt, sondern vielmehr betont, dass man die Strukturen für die Zukunft aufbauen wolle, ohne die Ereignisse wirklich aufzuklären.

Wie steht es um die Verantwortung der Verbände?

Das Kultusministerium und wir als Parlament erwarten, dass auch die Verantwortlichkeiten der Verbände genau unter die Lupe genommen werden. Auch das hat Professorin Borggrefe nicht genannt, als sie berichtete, was die Aufgabe der eingesetzten Kommission ist. Zudem ist die Kommission weit hinter dem Zeitplan. Der Vorsitzende hatte uns versprochen, bis Juli einen Zwischenbericht vorzulegen. Das ist nicht erfolgt, und deshalb werden wir noch lange warten müssen, bis wirklich Aufklärung passiert. Deshalb glaube ich, dass diese Kommission gescheitert ist. Und das Kultusministerium muss sich überlegen, ob es wirklich auf diese Aufarbeitung baut oder in anderer Weise aufklärt.

Wie muss denn eine Aufarbeitung aus Ihrer Sicht aussehen?

Eine Aufarbeitung muss unabhängig sein. Sämtliche Mitglieder der Kommission haben eine direkte oder indirekte Verbindung zum organisierten Sport. Das mag in Teilen richtig sein, um auch Kompetenz aus dem organisierten Sport zu haben. Aber es würde der Kommission, glaube ich, guttun, auch Leute außerhalb des organisierten Sports, vielleicht sogar betroffene Vertreter, in die Kommission aufzunehmen, um wirklich aufklären zu wollen – ohne Ansehung der Personen oder Verbände.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt derzeit ebenfalls. Behindert das die Aufklärungsarbeit?

Das sehe ich nicht so. Es geht ja auch darum: Haben die Verbände alles getan? Hat der organisierte Sport alles getan, um diese Vorkommnisse zu verhindern? Da kommt auch das Land ins Spiel, weil der organisierte Sport von Zuschüssen des Landes profitiert. Deshalb muss man das genau aufklären.

Die Kommission, die der Landessportverband eingesetzt hat, richtet den Blick auf die Strukturen, gerade auch, damit solche Vorkommnisse nicht wieder passieren können.

Da wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Es geht auch um das Vertrauen der Betroffenen in diese Aufklärung. Es geht darum, die einzelnen Vorfälle aufzuklären, die Verantwortlichkeiten zu klären und dann daraus die Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Eine Kommission, die über Monate hinweg eine wissenschaftliche Aufarbeitung vorbereitet, darf nicht den Eindruck erwecken, dass man versucht, das Thema aus der Öffentlichkeit zu ziehen und darauf hofft, dass niemand mehr danach fragt. Denn das wird nicht passieren, weil wir nachfragen werden.

Welche Einflussmöglichkeiten hat das Land?

Der entscheidende Hebel ist, die Fördergelder an die Fähigkeit zu koppeln, ob der organisierte Sport in der Lage ist, sich selbst restlos zu kontrollieren oder ob man über andere Kontrollmechanismen nachdenken muss. Es geht mir nicht um das Ansehen des organisierten Sports, sondern um die Betroffenen, die bereits Opfer von Missbrauch waren, aber auch um diejenigen, die es in Zukunft sein könnten, wenn nicht endlich Eingeständnisse gemacht werden und eine restlose Aufklärung passiert. Im Notfall muss man auch über die Streichung von Fördergeldern nachdenken.

Wie sehen Sie die Zukunft des Spitzensports im Turnen im Land?

Ich sehe sie positiv. Ich möchte, dass wir viele erfolgreiche junge Turnerinnen und Turner haben, die aufgrund ihrer Leistungsfähigkeit und vor allem ihrer Begeisterung für diesen Sport nicht nur während ihrer Karriere erfolgreich sind, sondern auch danach keine weitreichenden Nachteile und keine psychischen oder körperlichen Schäden davontragen. Das muss das Ziel des organisierten Sports sein. Es geht um junge Menschen, um ihre Zukunft – hoffentlich mit einem erfolgreichen Sport, der ihnen Spaß macht.

Weitere Informationen:

Missstände am Bundesstützpunkt Turnen in Stuttgart: SPD fordert Anhörung der Turnerinnen und Verbände | Staatsanzeiger BW

Sascha Binder: Aufarbeitung wird betroffenen Turnerinnen nicht gerecht | Staatsanzeiger BW

Nach Turnskandal: Trainersituation in Stuttgart geklärt | Staatsanzeiger BW

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Zur Person

Der SPD-Abgeordnete Sascha Binder vertritt den Wahlkreis Geislingen im Landtag. 2011 zog er erstmals über ein Zweitmandat in den Landtag ein und erreichte es damit, dass die SPD zum ersten Mal mit einem Abgeordneten in dem Wahlkreis vertreten war. Der 42-jährige Rechtsanwalt kennt seinen Wahlkreis gut: Er wurde in Geislingen an der Steige geboren und ist dort aufgewachsen. Der innenpolitische Sprecher und Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion im Landtag ist zudem seit 2018 auch Generalsekretär der Landespartei.

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