Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Das alte Fieber ist zurück: Der VfB als Spitzenteam

Torjubel von Deniz Undav nach dem Tor zum 2:1.
IMAGO/Frank Hoermann/SVEN SIMON)Stuttgart . Es ist ein bitterkalter Sonntagnachmittag in der MHP-Arena beim Cannstatter Wasen, als die Seele der Fans sich erwärmt. „Der ganze wilde Süden, strahlt in weiß und rot“, tönt es durch das Stadion, der Kultsong des viel zu früh verstorbenen Schwabenrockers Wolle Kriwanek ist so etwas wie die Hymne des Schwabenclubs. Die Cannstatter Kurve, in der die Ultra-Fans als treueste Anhänger Transparente schwingen, hat das Spruchband „Deniz, wir stehen hinter dir“ ausgerollt.
Es bezieht sich auf rassistische Angriffe auf den Nationalspieler Deniz Undav nach dem Spiel am Donnerstag gegen Fenerbahce Istanbul wegen seiner kurdisch-jesidischen Herkunft.
Und mittendrin am Spielfeldrand steht Dietmar Allgaier , der im Hauptberuf eigentlich Ludwigsburger Landrat ist. Neben ihm ist Elrika Gebhardt, Geschäftsführerin des Krebsverbandes Baden-Württemberg, und VfB-Vorstandschef Alexander Wehrle, ebenfalls eines der Gesichter des Erfolgs. Es geht um eine Aktion gegen Brustkrebs.
Eigentlich wollte Allgaier nur als Interimspräsident fungieren, um die Dauerquerelen im Vorstand zu beseitigen. Der Ex-Porsche-Vize Lutz Meschke und Allgaiers Vorgänger Claus Voigt waren Reizfiguren, im Club wurde um das Verhältnis von Sponsoren und Mitgliedern gerungen. All das ist vorbei, Allgaier hat die Gemüter so erfolgreich beruhigt, dass er dauerhaft Präsident ist.
Dann tritt er beiseite, denn das Spiel beginnt, nachdem die Hymnen verklungen sind. 59 000 Menschen sind im Stadion, der Gästeblock ist gefüllt, kribbelige Nervosität, die Fußballfans am Spieltag erfasst, fällt mit dem Anstoßpfiff ab. Was für eine Atmosphäre! Die Ultra-Fans singen durch. „Auf geht’s, Jungs aus Cannstatt!“ etwa, oder „Seht auf, wenn ihr Schwaben seid!“. Die Einpeitscher vor den Ultra-Fans stehen mit dem, Rücken zum Spiel, sind nur auf Choreografie und Songabfolge konzentriert. Auf dem Platz ist zunächst Magerkost geboten. Der Trainer Sebastian Hoeneß hat zehn der elf Spieler vom Donnerstag ausgewechselt. „Es war ein Risiko, aber eine Chance“, wird er später diesen Schritt begründen.
Dan-Axel Zagadou: Das Comeback des Jahres in der Bundesliga
Nur der Keeper Alexander Nübel bleibt von der Stammelf. Am meisten beeindruckt die Rückkehr von Dan-Axel Zagadou nach 399 Tagen ohne Spiel und einer schweren Verletzung. Er köpft alle Bälle weg, grätscht und greift mit an, als wäre er nie weggewesen. Was wäre der Ex-Dortmunder für ein Spieler, wenn er nicht so viel verletzt wäre?
Der VfB erarbeitet sich zunächst wenig Chancen, die kriselnden Mainzer aber auch nicht. Dann wird es ganz still im Stadion: ein medizinischer Notfall, ein Fan im Gästeblock muss reanimiert werden. Auch das ist Fußball: Beide Fangruppen stellen Gesänge ein und rollen die Transparente ein, bis die Person im Krankenhaus ist und es Entwarnung gibt.
Als diese Nachricht der Stadionsprecher Holger Laser durchgibt, ertönt Applaus von allen, so geht Fairness. „Es gibt Wichtigeres als Fußball“, wird der Mainzer Torwart Robin Zentner später sagen. Dann gibt es einen umstrittenen Elfmeter für Mainz, es steht 0:1, was den Spielverlauf auf den Kopf stellt. In den zehn „Seuchenjahren“ des VfB mit zwei Abstiegen wäre jetzt das Teamgebilde zusammengebrochen. Doch seit Sebastian Hoeneß, der Neffe des Bayern-Ehrenpräsidenten Uli Hoeneß, die Mannschaft übernommen und aus den Spielern ihr Potenzial geschöpft hat, läuft es anders.
Der VfB Stuttgart ist im Jahr 2025 viel stabiler als vorher
Der ehemalige Nationalspieler Chris Führich dribbelt wie einst Arjen Robben beim FC Bayern ein und versenkt den Ball traumhaft im rechten Winkel. Das Stadion erwacht, alle reißen die Arme hoch. Gerade in solchen Partien kann ein Tor eine Erlösung sein. Doch das Spiel verflacht.
Erst als der VfB-Keeper Alexander Nübel einen langen Abschlag spielt, und Deniz Undav am schnellsten läuft und direkt daraus ein Tor macht, fällt die Spannung ab. So ist Fußball, ein spätes Siegtor in der 79. Minute lässt die Emotionen explodieren nach so viel Fehlpässen im restlichen Spiel. Und so ist der VfB Stuttgart eine Spitzenmannschaft geworden, die auf Platz 3 steht, nach der Vizemeisterschaft 2023/24 und dem Pokalsieg im Mai 2025. Dietmar Allgaier steht als Ludwigsburger Landrat natürlich nicht auf dem Platz. Doch er ist Teil des Erfolges, und genießt ihn auch. „Das eindrücklichste Bild war der Moment, an dem Bundespräsident Steinmeier unserem Kapitän Atakan Karazor den DFB-Pokal überreicht und er den goldenen Pokal dann im Kreis der Mannschaft in den Berliner Nachthimmel reckt“, sagt er zu seinem schönsten Erlebnis als VfB-Fan. Seine Rolle ist es auch, die Nebengeräusche leise zu halten, damit sich alles auf den sportlichen Erfolg konzentriert.
Es sind viele Aufstiegsgeschichten, die sich damit verbinden. Chris Führich, der nach einer langen Krise zurückkommt. Dan-Axel Zagadou nach der Verletzung, aber auch Deniz Undav ebenfalls nach einer Auszeit. „Ich habe mich noch mehr für Chris gefreut als für mich“, sagt er später in der Mixed Zone zu Journalisten. Sein Traumtor begründet der Scherzvogel so: „Ich habe mich umentschieden, weil ich dumm war.“
Am Ende siegt der VfB 2:1 und bleibt auf Rang 3. Die Fanseele ist zufrieden, 59 000 Menschen fahren mit einem guten Gefühl nach Hause.